Intellektuellen-Hatz Übersetzer in Türkei vor Gericht
Istanbul - Den beiden Übersetzern wird "Beleidigung des Türkentums" vorgeworfen, weil sie ein Buch des amerikanischen Autors John Tirman über die Folgen des US-Waffenhandels ins Türkische übertrugen. Dies teilte heute der Menschenrechtsverein IHD mit.
Gegen den türkischen Verleger des Buches läuft bereits seit dem vergangenen Jahr ein Verfahren; nun entschied das Gericht, auch die beiden Übersetzer in die Anklage einzubeziehen. Der IHD erklärte, damit werde erstmals Übersetzern eines Buches vorgeworfen, durch ihre Arbeit eine Straftat begangen zu haben.
Nach Angaben von Amnesty International schreibt Tirman in seinem Buch "The Spoils of War", dass die türkische Armee in den achtziger und neunziger Jahren in den Kurdengebieten des Landes Menschenrechtsverletzungen beging. Zudem enthalte das Buch eine Landkarte, auf der Teile des türkischen Staatsgebietes als kurdische Gebiete gekennzeichnet sind. Verleger und Übersetzer sind unter dem Strafrechtsparagraphen 301 angeklagt, der bei "Beleidigung des Türkentums" bis zu drei Jahre Haft vorsieht.
Es ist nicht das erste Verfahren, mit dem türkische Rechtsnationalisten versuchen, die EU-Bemühungen des Landes zu boykottieren. So kam der Schriftsteller Orhan Pamuk vor Gericht, weil er mit einer Äußerung zum Massenmord an den Armeniern angeblich das Türkentum beleidigt hatte. Noch extremer ist der Fall von Pamuks Kollegin Elif Shafak. Die Autorin muss sich morgen vor Gericht verantworten, weil in ihrem Bestseller "Der Bastard von Istanbul" eine Figur von "Völkermord" und "türkischen Schlächtern" spricht.
"Sie rufen zur Lynchjustiz auf", erklärte Shafak dem "Tagesspiegel". "Ich glaube nicht, dass ich das eigentliche Ziel bin. Das eigentliche Ziel ist der EU-Prozess." Den sieht man in Ankara jedoch durch den Paragrafen 301 scheinbar nicht gefährdet: Bei der gestrigen Sondersitzung zum Reformpaket für den EU-Beitritt stand die Klausel nicht zur Debatte.