NSA-Kritiker Ilija Trojanow "Die Regierung verteidigt unsere Rechte nicht"
SPIEGEL ONLINE: Herr Trojanow, eigentlich wollten Sie gestern von Brasilien aus in die USA fliegen, wo Sie in Denver an einem Kongress amerikanischer und deutscher Germanisten teilnehmen sollten. Doch dazu ist es nicht gekommen, weil Ihnen bereits in Brasilien am Flughafen mitgeteilt wurde, dass Sie nicht in die USA einreisen dürfen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Trojanow: Nein. Wie schon letztes Jahr, als ich wegen eines Arbeitsvisums für eine Gastprofessur in St. Louis lange Zeit hingehalten wurde, hat man mir auch diesmal nicht mitgeteilt, was diese Entscheidung motiviert hat.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben aber Grund zur Annahme, dass man Ihnen die Einreise verweigert, weil Sie sich in der Vergangenheit kritisch mit der Überwachung durch die NSA auseinandergesetzt haben?
Trojanow: Das ist eine der möglichen Erklärungen. Sie erscheint mir nicht völlig abwegig.
SPIEGEL ONLINE: Was wären die anderen Möglichkeiten?
Trojanow: Bei einem großen Beamtenapparat wie dem der US-Grenzbehörde könnte man natürlich auch an einen Fehler denken. Merkwürdig wäre aber dann, dass sich dieser Fehler in zwei aufeinander folgenden Jahren wiederholt. Das lässt mich denken, dass dies weniger wahrscheinlich ist.
SPIEGEL ONLINE: Dem Text über die Verweigerung Ihrer Einreise, den Sie auf faz.net veröffentlicht haben, ist zu entnehmen, dass Sie mit dem Programm zur visafreien Einreise, bekannt als ESTA-Verfahren, in die USA reisen wollten.
Trojanow: Das muss man laut den Bestimmungen von ESTA als deutscher Staatsbürger, der für einige Tage zu einer Konferenz in die USA reist. Es gibt keinen Grund, ein Visum zu beantragen, wenn einem ESTA genehmigt wird. Ich hatte also alle gültigen und erforderlichen Papiere.
SPIEGEL ONLINE: Wie kann man überhaupt herausfinden, warum Sie nicht einreisen durften?
Trojanow: Ich kann Ihnen nur sagen, was ich zufällig in Rio mitbekommen habe, als ich versucht habe, über Umwege die Meinung des deutschen Generalkonsulats einzuholen. Wie ich erfahren habe, ist der amerikanische Generalkonsul in Rio mit einer Kolumbianerin verheiratet - und dessen Schwager ist Ähnliches wie mir widerfahren. Und selbst als Generalkonsul hatte er überhaupt keine Möglichkeit, herauszufinden, wieso und was er dagegen unternehmen kann. Das fand ich insofern interessant, als es aufzeigt, was uns der Snowden-Skandal noch klarer vor Augen führt: Die Geheimdienste und Sicherheitsorgane operieren zunehmend als Staat im Staat, ohne Kontrolle und Überprüfung. Und man, selbst wenn man zu einem anderen Teil des Staatsapparates gehört, keinerlei Möglichkeit hat, da ein bisschen mit der Taschenlampe hineinzuleuchten.
SPIEGEL ONLINE: Sie gehen also nicht davon aus, dass Sie jemals erfahren werden, warum Sie nicht einreisen durften?
Trojanow: Nein. Letztes Jahr habe ich mehrfach beim Generalkonsulat in München telefonisch und per E-Mail um Auskunft gebeten. Ich habe jedes Mal die Antwort erhalten: Wir erteilen grundsätzlich keine Auskunft über die Gründe unserer Entscheidung.
SPIEGEL ONLINE: Damals haben Sie Ihr Arbeitsvisum dann aber doch noch bekommen. Warum?
Trojanow: Die Universität hat auf sehr hohem Niveau reagiert, der Präsident hat einen Protestbrief geschrieben. Das hat dann dazu geführt, dass plötzlich und unerwartet das Visum doch noch erteilt wurde und ich meine Gastprofessur antreten konnte - allerdings mit sehr großer Verspätung. Das Semester hatte schon begonnen.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Ihre Kollegen, die Sie auf der Konferenz erwartet hatten, reagiert, als sie von Ihrer verhinderten Einreise erfahren haben?
Trojanow: Die sind enorm wütend. Da ist viel vorbereitende Arbeit vergeblich gemacht worden. Sie wollen jetzt einen offenen Brief schreiben. Es ist natürlich ironisch, dass das gerade bei einem Event passiert, das Deutschland und die USA zusammenführen soll. Thema des Seminars war "Transnationalismus".
SPIEGEL ONLINE: Gerade befinden Sie sich auf der Rückreise nach Deutschland. Werden Sie auch künftig versuchen, in die USA zu reisen, oder ist Ihnen die Lust darauf vergangen?
Trojanow: Doch, das werde ich versuchen. Mich interessiert einfach, was da passiert. Deswegen werde ich jetzt als nächsten Schritt ein Visum beantragen. Ich will sehen, wie sich die Geschichte entwickelt.
SPIEGEL ONLINE: Erwarten Sie, dass sich die deutschen Behörden für Sie einsetzen?
Trojanow: Ich bin da nicht naiv. Ich weiß, dass das Auswärtige Amt da überhaupt keine Einflussmöglichkeiten hat und nichts machen kann. Die wenigsten Leute wissen vielleicht, dass es eine sehr einseitige Einreisepolitik gibt. Denn die Amerikaner können ja ohne jedwede Formalitäten bei uns einreisen. Die USA sind eines der wenigen Länder, dessen Bürger nach Belieben nach Deutschland einreisen können. Wenn so etwas wie mir passiert öfters geschieht - und ich habe allein gestern und heute mehrmals gehört, dass ich kein Einzelfall bin -, dann muss man sich schon fragen, ob sich so ein einseitiges Reglement überhaupt auf Dauer durchhalten lässt: Dass grundlos deutschen Bürgern die Einreise in die USA verweigert wird, dass aber Amerikaner völlig frei nach Deutschland reisen können.
SPIEGEL ONLINE: Sie fordern also, dass Deutschland die Einreise für US-Bürger erschwert?
Trojanow: Was soll ich von Deutschland erwarten, wenn unsere Bundeskanzlerin ja nicht einmal in der Lage ist, die unglaublich skandalösen Vorgänge, die durch Snowden bekannt wurden, kritisch zu thematisieren - wie es zum Beispiel die brasilianische Staatspräsidentin Dilma Rousseff vor der Uno-Vollversammlung getan hat? Wenn wir eine Regierung haben, die offensichtlich nicht daran interessiert ist, die Bürgerrechte und die verfassungsrechtlich verbrieften Freiheiten der eigenen Bürger gegenüber einem anderen Staat zu verteidigen, dann kann ich doch nicht erwarten, dass sie jetzt in einem Einzelfall etwas unternimmt.
SPIEGEL ONLINE: Sie waren einer der Erstunterzeichner der Petition der Schriftstellerin Juli Zeh gegen die Untätigkeit der Bundesregierung angesichts der NSA-Überwachung. Mehr als 60.000 Unterschriften wurden gesammelt und übergeben. Gab es darauf eine Reaktion der Bundeskanzlerin?
Trojanow: Nein. Nichts.