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Bioökonomie: Die Natur als Kapital

Foto: Patrick Pleul/ DPA

Zukunftsmarkt Bioökonomie Alles Leben wird zu Geld gemacht

Unter dem harmlos bis nett klingenden Label "Bioökonomie" kämpft die Industrie für die maximale kommerzielle Nutzung aller biologischen Ressourcen. Ihr Verbündeter ist die Bundesregierung unter Angela Merkel. Und die Leidtragenden könnten wir sein.
Von Anita Krätzer

Die derzeitigen Geheimverhandlungen zwischen Industrievertretern und der EU-Kommission über ein Freihandelsabkommen mit den USA, das Bundeskanzlerin Angela Merkel möglichst bald auf Asien ausgeweitet wissen will, alarmieren die Öffentlichkeit. Ein Abschluss könnte hier geltende Gesetze und Standards außer Kraft setzen und die Einfuhr von bisher bei uns verbotenen Produkten wie Klon-Fleisch oder Gen-Mais ermöglichen.

Für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte zuletzt auch die Stimmenthaltung Deutschlands bei der Abstimmung der EU-Landwirtschaftsminister über die Zulassung der Gen-Mais-Sorte Pioneer 1507. Dadurch wurde die Zulassung von Gen-Mais auch in Deutschland ermöglicht. Da Auskreuzungen im Freiland unvermeidbar sind, bedeutet dies das Aus des gentechnikfreien Ökolandbaus. Zwei Ereignisse, die ebenso schockierend wie absehbar waren: als weitere Schritte auf dem Weg zur Realisierung eines umfassenden Strategiekonzepts der Bundesregierung zur Bioökonomie, das bis 2030 umgesetzt sein soll.

Unter Bioökonomie ist die wirtschaftliche Nutzung biologischer Ressourcen zu verstehen. Sie verspricht gewinnträchtige Zukunftsmärkte. Und so hat sich in den vergangenen Jahren ein internationaler Zusammenschluss von Unternehmen aus den Bereichen Biotechnologie, Chemie, der Pharmabranche sowie Agrar-, Nahrungsmittel- und Energieindustrie gebildet - unter Einbindung von Politik und Forschung.

Unkritischer Bioökonomierat

Mit dem Versprechen, die Bioökonomie biete lukrative Lösungen für zentrale Zukunftsprobleme der Menschheit, haben Firmen wie BASF, Bayer, Merck oder K+S die Bundesregierung ins Boot geholt. Mit großem Aufwand an Lobbyarbeit, Forschungs- und Investitionsförderung, gesetzlichen Verordnungen und Landkäufen wurden inzwischen globale Weichenstellungen für eine möglichst unbehinderte Nutzung der zur "Biomasse" erklärten Umwelt vorgenommen - unter Abbau von Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz.

Den ersten offiziellen Schritt machte 2009 die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit dem Konzept The Bioeconomy to 2030. Designing a Policy Agenda. Es skizziert die von der Politik zu schaffenden Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer global aufgestellten Bioökonomie, wobei der Biotechnologie, vor allem der Gentechnik, eine Vorrangstellung zukommt. Neben auch finanziell beteiligten Firmen und Forschungseinrichtungen haben hieran zahlreiche Regierungsvertreter mitgewirkt, unter anderem aus Deutschland.

Die Bundesrepublik hatte, angeführt von Kanzlerin Merkel, längst beschlossen, zu einem führenden Forschungs- und Innovationsstandort der Bioökonomie zu werden. Und so wurde 2009 von den damaligen Bundesministerinnen Annette Schavan (Forschung) und Ilse Aigner (Landwirtschaft) unter Einbeziehung des Auswärtigen Amts, des Innenministeriums, des Umweltministeriums und des Wirtschaftsministeriums ein Bioökonomierat berufen. Dieser war federführend an dem 2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung verabschiedeten und mit 2,4 Milliarden Euro an Steuergeldern geförderten Programm "Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030" beteiligt.

Monopolbildung und Umweltzerstörung

Auffällig an diesem Strategiepapier ist vor allem seine unkritische Einseitigkeit: Umstrittene technologische Entwicklungen wie die grüne Gentechnik werden darin uneingeschränkt befürwortet und verteidigt, ihre Risiken ausgeblendet. Außerdem bleibt eine Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ursachen zentraler Themen wie Umweltzerstörung, Klimawandel oder Hunger - für die die Bioökonomie angeblich die Lösung liefert - aus.

Nachvollziehbar wird diese unkritische Haltung, wenn man einen Blick auf die Zusammensetzung des Rates  wirft, der mit genau jenen Vertretern der Bioökonomie bestückt war und ist, deren Forderungen und Vorschläge er eigentlich kritisch überprüfen sollte; so unter anderem Andreas J. Büchting, Vorsitzender des Aufsichtsrats der KWS Saat AG, die auch gentechnisch verändertes Saatgut vertreibt.

Die im Rat vertretenen Konzerne, Forschungsinstitute und Berater profitieren von den von ihnen selbst empfohlenen Fördermitteln. Erklärtes Ziel ist es zudem, sogenannte Innovationshemmnisse abzubauen. Dazu wird eine ressort-, länder- und branchenübergreifende, interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung von Wirtschaft, Politik und Forschung gefordert. Das heißt unter anderem, dass hinderliche hohe nationale und regionale Standards durch Anpassung an die niedrigeren internationalen Standards zu ersetzen sind - zugunsten von Gentechnik und industriellem Landbau und auf Kosten des Naturschutzes.

Angesichts der massiven und mit Steuergeldern geförderten Eingriffe in unsere Lebensgrundlagen wird es höchste Zeit, dass wir eine gesellschaftliche Diskussion über das Bioökonomiekonzept der Bundesregierung beginnen. Das darin verankerte Bekenntnis zur massiven Förderung einer genlastigen Biotechnologieforschung benachteiligt alternative Forschungsbereiche. Und es degradiert die Forschung zum Dienstleister der Profiteure der Bioökonomie, was gegen das Verfassungsgut Freiheit der Wissenschaft verstößt.

Gleichzeitig behindert die Unterstützung bioökonomischer Unternehmen den freien Wettbewerb als Grundprinzip der Marktwirtschaft. Dies sowie die Ungleichverteilung von Agrarsubventionen zugunsten von Großbetrieben mit Massentierhaltung und Monokulturen fördert Monopolbildung und Umweltzerstörung. Wird dieser Weg weiter beschritten, werden Tatsachen geschaffen, die sich nicht mehr umkehren lassen und auch vor dem Menschen nicht haltmachen. In der Praxis bewährte alternative Konzepte gibt es genug.

Anita Krätzer ist Wissenschaftsjournalistin und Mitverfasserin des Buchs "Irrweg Bioökonomie. Kritik an einem totalitären Ansatz" (edition unseld).

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