James Ellroys "Perfidia" Lustvoll im Schmutz

Ellroy-Verfilmung "Die schwarze Dahlie": In "Perfidia" kehren die Figuren dieses Buchs zurück
Foto: ddp imagesCaptain William H. Parker hat eine Vorliebe für rothaarige Frauen, Whiskey und Gott. Machtgier und Schuldgefühle beherrschen ihn gleichermaßen. Eine explosive Mischung. "Whiskey Bill" ist gewalttätig und bigott. Selbst wenn er bei Besprechungen gern mal ein alkoholisiertes Nickerchen hält: Irgendwann wird er Polizeichef sein.
Sergeant Dudley Smith, vierfacher Familienvater, kommt gerade von einer Liebesnacht mit dem Hollywood-Star Bette Davis. "Bring mir zuliebe einen Japsen um" gibt sie ihrem Lover scherzhaft mit auf den Weg. Dudley jagt dem ersten Japaner, der ihm über den Weg läuft, eine Kugel in den Kopf. Es sind die Tage nach Pearl Harbor. Alles ist möglich. Vor allem, wenn man kein Gewissen hat.
Hideo Ashida, Polizeichemiker, ein in den USA geborener Japaner, hat gleich zwei Doktortitel und versucht krampfhaft seine Homosexualität zu verbergen. Auch vor sich selbst. Er fotografiert heimlich einen Freund nackt unter der Dusche. Er bricht in fremde Wohnungen ein, unterschlägt Beweismittel, dient sich jedem an, von dem er sich Protektion verspricht.
Kay Lake lebt mit einem Cop zusammen, schläft mit vielen anderen. Sie kann C.G. Jung zitieren und Klavier spielen. Sie lässt sich als Spitzel anheuern, unterwandert Hollywoods Linke. Später wird sie die Seiten wechseln und fast zur Mörderin.
Wiederkehr der schönen Toten
Die miteinander verwobenen Schicksale dieser vier Menschen stehen im Mittelpunkt von James Ellroys "Perfidia", seinem ersten Roman seit 2009. "Perfidia" ist Rückkehr und Neuanfang zugleich. Eine Rückkehr nach Los Angeles, dem Schauplatz des "L.A. Quartetts", das ihn berühmt gemacht hat. Ein Neuanfang, weil Ellroy ein zweites "L.A. Quartett" in Angriff nimmt, ein Prequel, das im Dezember 1941 beginnt.
Wenn er diese Aufgabe bewältigt hat, wird Ellroy eine gewaltige Gegengeschichte der USA geschrieben haben, ein Zigtausende Seiten starkes Epos von Gier und Grausamkeit, das die Jahre 1941 bis 1978 umfasst. Balzac gehört zu den Vorbildern Ellroys, und zumindest was ihre Ambitionen angeht, sind der amerikanische Berserker und sein französischer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert auf Augenhöhe.
"Perfidia" ist ein Gespenstertreffen: Die Verstorbenen, die Vermissten und die Verlorenen aus "Die schwarze Dahlie", aus "L.A. Confidential" oder "Ein amerikanischer Thriller" kehren zurück. Neben Smith, Lake und Parker reanimiert Ellroy die Cops Scotty Bennett und Lee Blanchard, den Klatschreporter Sid Hudgens, den FBI-Mann Ward Littell, den chinesischen Großverbrecher Uncle Ace Kwan, den Zuhälter Pierce Patchett und sogar Elisabeth Short, die schöne Tote aus der "Schwarzen Dahlie".
Reale Figuren wie Bert Brecht und Gary Cooper
Dazu kommen jede Menge reale Figuren, Hollywoodstars wie Gloria Swanson und Gary Cooper, Mobster wie Bugsy Siegel und Mickey Cohen, Exilanten wie Bert Brecht und Sergej Rachmaninow.
Verbürgte Geschichte und erfundene Geschichten sind ununterscheidbar miteinander verwoben. Der Hintergrund ist belegt: Direkt nachdem die Japaner am 7. Dezember Pearl Harbor zerstören, beginnt an der Westküste die Internierung der japanisch-amerikanischen Bevölkerung. Durch die Straßen von Los Angeles schrillt das Kriegsgeheul vom Adrenalin wachgeputschter Männer und Frauen. Die Schlangen vor den Rekrutierungsbüros werden täglich länger, Rassismus und Gewaltbereitschaft nehmen stündlich zu. Ein Rückfall in die Barbarei.
Um die Situation nicht noch mehr eskalieren zu lassen, bekommt der Fall einer ermordeten japanischen Familie, der normalerweise kein weiteres Aufsehen erregt hätte, beim LAPD oberste Priorität. Dudley Smith erhält den Auftrag, die Sache zu klären. Er soll schnell einen Täter präsentieren, nur: Es darf kein Weißer sein. Kein Problem für den skrupellosen Cop, der nebenbei mit Heroin dealt und Raubüberfälle organisiert. Ganz im Gegenteil: Der Pragmatiker der Macht wittert fette Beute, schließlich werden die Japaner gerade im großen Stil enteignet. Alles könnte glatt laufen, wäre da nicht seine alte Nemesis Bill Parker, der die Situation nutzen will, um seine Ambitionen auf den Posten des Polizeichefs zu untermauern. Ein erbitterter Zweikampf entspinnt sich, und jeder, der zwischen die beiden gerät, wird zermalmt.
Ort der Verdammnis
Los Angeles, die Stadt der Engel, wird bei Ellroy zu einem Ort der Verdammnis. Die Korruption hält die Stadt im Klammergriff, keiner kommt dagegen an, eigentlich versucht es auch niemand wirklich. Politiker und Polizisten, Drogenhändler, Kirchenmänner und Immobilienhaie, sie alle ziehen am selben Strang, solange die Geldquellen sprudeln. Allianzen werden geschmiedet und gebrochen, Loyalität ist eine Lüge, Moral ein Witz.
Ellroy überlässt es seinen Lesern, über die Figuren zu urteilen. Einfach macht er es uns nicht mit seiner Erzählweise, die ganz nah dran ist an seinen Protagonisten, ihren Rassismus, ihren Frauenhass, ihre Gier und Geilheit ungefiltert weitergibt. Manchmal scheint Ellroy selbst der Abstand zu fehlen, scheint er sich allzu lustvoll im Schmutz zu wälzen. Dann wird aus seiner Version der "Menschlichen Komödie" ein Sudelbuch in der Tradition von Kenneth Angers "Hollywood Babylon": eine Einladung, sich genüsslich an den Verfehlungen der Reichen, der Mächtigen und der Schönen zu weiden.
James Ellroy schreibt wie ein Boxer auf Speed: Sätze wie Hiebe, immer auf maximale Wirkung ausgelegt. Und er wird nie müde, anders als seine Gegner, Verzeihung: Leser, die er nach 940 Seiten Maschinengewehr-Prosa k.o. auf dem Ringboden zurücklässt. Doch eines ist gewiss: Sie werden wieder aufstehen. Und sich auf den nächsten Fight mit James "Demon Dog" Ellroy freuen. Denn selten hat es so höllischen Spaß gemacht, verprügelt zu werden.

James Ellroy:
Perfidia
Aus dem amerikanischen Englisch von Stephen Tree
Ullstein Verlag; 960 Seiten; 25 Euro.
