Roman über Rechtspopulismus "Wegen der Möse einer Frau Faschist geworden"

In seinem Roman beschreibt der Schriftsteller Jérôme Leroy ein Frankreich im Ausnahmezustand. Im Zentrum steht eine rechtspopulistische Partei namens "Der Block", die an den Front National erinnert.
Jérôme Leroy: Der Block

Jérôme Leroy: Der Block

Noch bevor der Film "Chez Nous" Ende Februar in Frankreich in den Kinos starten sollte, löste er Empörung aus. Ein Propaganda-Streifen à la Goebbels sei das, tönten Mitglieder und Anhänger des Front National. Die Geschichte einer Krankenschwester aus dem Norden Frankreichs, die zum Postergirl der Rechtspopulisten aufgebaut wird, stammt von dem Schriftsteller Jérôme Leroy.

Während "Chez Nous" in Deutschland erst Monate nach der französischen Präsidentschaftswahl im April in die Kinos kommen wird, liegt jetzt die deutsche Übersetzung seines 2011 geschriebenen Romans "Der Block" vor.

Wie im Film heißt der Front National auch im Buch "Bloc patriotique", im Nachwort zur deutschen Ausgabe erklärt Leroy, dass er eine "verpixelte" Version der Realität schreiben musste, um nicht Gefahr zu laufen, verklagt zu werden. Eine Entscheidung, die angesichts der heftigen Reaktionen auf "Chez Nous" nachvollziehbar scheint. Zumal sie dem Roman guttut, weil die Ablösung von der Tagespolitik die Allgemeingültigkeit erhöht. "Der Block" wirkt sechs Jahre nach Erscheinen und angesichts der erstarkten rechtspopulistischen Bewegungen überall in Europa aktueller als je zuvor.

TV-Sender zählen die Toten im Liveticker

Leroy bedient sich eines Kunstgriffs, der nicht ohne Risiko ist, aber gerade deshalb funktioniert: Er erzählt seine Geschichte aus der Sicht zweier prototypischer Mitglieder des "Blocks", verschwindet als Autor komplett hinter seinen Figuren. Indem er seinen Lesern die Perspektive dieser Männer aufzwingt, fordert er von ihnen, ihre eigene Position zu finden und permanent zu überprüfen. Was umso schwieriger ist, da seine Antihelden keine eindimensionalen Abziehbilder sind, sondern Menschen mit Gedanken, Gefühlen und einer Geschichte.

Diese Geschichte lassen beide Figuren im Verlauf einer einzigen, entscheidenden Nacht Revue passieren, in parallelen inneren Monologen. Nachdem Frankreich seit Monaten von bürgerkriegsähnlichen Unruhen erschüttert wird - ein TV-Sender zählt die Toten bereits mittels eines Livetickers - soll jetzt der rechtsradikale Bloc patriotique an der Regierung beteiligt werden, zehn Ministerien sind im Gespräch.

Antoine und Stanko, Freunde seit Jahrzehnten, sind gemeinsam in den Rängen der Partei aufgestiegen. Antoine, der gescheiterte Schriftsteller und Lehrer, als intellektueller Propagandist, Stanko, der Prolet, als Mitglied und späterer Anführer des GPP (Groupe de Protection du Parti), des Schlägertrupps des Blocks. Leroy erzählt von der Nacht, in der ihre gemeinsame Geschichte ein Ende finden wird. Während Antoine in seinem Luxusappartement auf die Rückkehr seiner Frau wartet, die als Vorsitzende der Partei die Verhandlungen führt, versteckt sich Stanko in einem schäbigen Hotelzimmer. Für den brutalen Schläger ist kein Platz mehr im Block, er soll von seinen eigenen Leuten umgebracht werden.

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Leroy, Jérôme

Der Block: Kriminalroman

Verlag: Edition Nautilus GmbH
Seitenzahl: 320
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Preisabfragezeitpunkt

28.03.2023 18.14 Uhr

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"Letztlich bist du also wegen der Möse einer Frau Faschist geworden", lautet der erste Satz des Romans. Die "klassischen antifaschistischen Denkmuster" genügten nicht mehr, um zu verstehen, warum der Rechtsradikalismus sich in Europa ausbreite, schreibt Leroy im Nachwort. Folglich verweigert er sich in seinem Roman allzu simplen Erklärungsmustern. Seine Antihelden mögen brutale Schläger und zynische Misanthropen sein. Aber eben nicht nur: Antoine ist Cineast, erzählt voller Einsicht von den Filmen Godards und den Romanen Philip K. Dicks, er ist ein leidenschaftlicher Liebender und vor allem: Er versteht sich nicht als Rassist. Er handelt aus einem Unbehagen heraus, einem unbestimmten Gefühl, dass die Welt nicht so funktioniert, wie uns glauben gemacht wird. In einer perfiden Volte adaptiert er den Leitspruch aller Verschwörungstheoretiker und Paranoiker, "Die Wahrheit ist irgendwo da draußen" aus der Sci-Fi-Serie "Akte X", um für die Partei junge Mitglieder zu werben - ein gigantischer Propagandaerfolg.

Der Horror verschwindet nicht, wenn man die Augen schließt

Antoine teilt die Welt in ein "Davor" und ein "Danach" ein, der Wandel setzt für ihn mit den Studentenunruhen Ende der Sechziger ein und vollzieht sich in den frühen Achtzigern, als der "Ausverkauf aller Werte seinen Anfang nahm, in einer Zeit, die im Geld ertrank, die in der pseudo-moralischen Linken, in Koks und New Wave unterging, während man einander in irgendwelchen Hinterzimmern im Marais-Viertel in den Arsch fickte und dabei Klaus Nomi hörte".

Während Antoine sein Unbehagen immerhin noch in Worte fassen kann, verstand Stanko von Anfang an nur die Sprache der Gewalt. Für den verwirrten Jugendlichen, der schon mit 17 den arabischen Geliebten seiner Mutter erschlug und sich lange seine eigene Homosexualität nicht eingestehen kann, ist der Block so etwas wie eine Heimat. Ein Ort, wo seine Tugenden - extreme Gewaltbereitschaft und Loyalität - gebraucht werden. Leroy macht auch bei Stanko nicht den Fehler, ihn zum Monster zu stilisieren. Dass er zu Gefühlen wie Freundschaft fähig ist, sogar zu Humor ("Zwei Jahre lang habe ich einen auf Skin gemacht, und nun jammere ich, weil ich meine Haare verliere"), macht ihn zu einer viel furchterregenderen, weil realistischen Bedrohung.

Ambivalenz auszuhalten, das macht Leroy mit seinem, ob der distanzlos geschilderten Grausamkeiten zeitweise schwer auszuhaltenden Roman spürbar, ist das Wesen und zugleich die Herausforderung der Demokratie. "Der Block" ist Innenansicht und Warnung zugleich. Leroy zeigt, wie die extreme Rechte tickt - und wie sie in die Nähe der Macht kommen konnte. Man kann den Roman auch als Aufforderung lesen: nicht zu ignorieren, nicht zu schweigen. Der Horror verschwindet nicht, wenn man die Augen schließt. Dass es anders ist, glauben nur Kinder.

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