Jonathan Lethem und die US-Gegenkultur Links und egomanisch

Kommunisten, Hippies, Occupy-Bewegung: Jonathan Lethem porträtiert in seinem neuen Roman mehrere Generationen linker Gegenkultur. Was die Aktivisten verbindet? Dass sie am Ende allein dastehen.
Demonstranten in New York: Eine missionarische linke Szene

Demonstranten in New York: Eine missionarische linke Szene

Foto: John Moore/ Getty Images

Wenn Rose Zimmer ihr Maul einmal aufgemacht hat, bekommt sie es so schnell nicht mehr zu. Sie ist eine Wichtigtuerin, eine Besserwisserin, eine Querulantin. Sie ist eine Sozialistin, die die große weite Welt befreien will, aber auch eine Egomanin, die jedes arme Würstchen unterdrückt, das ihr über den Weg läuft. Mit Worten unterdrückt.

Rose herrscht in Sunnyside Gardens, einer New Yorker Sozialistensiedlung, in die sie einst gemeinsam mit ihrem Mann Albert gezogen ist. Albert jedoch lebt schon seit Jahren nicht mehr dort. Die Kommunistische Partei hat ihn, den Juden mit deutschen Wurzeln, in die DDR geschickt, um ihn zum Spion fortzubilden. Rose und die gemeinsame Tochter Miriam sind zurückgeblieben.

"Der wahre Kommunist", sagt Rose, "steht am Ende immer allein da", und das gilt nicht nur für sie, sondern für fast alle Figuren in Jonathan Lethems autobiografisch gefärbtem Roman "Der Garten der Dissidenten". Es ist ein Familienroman, in dem die Figuren ihre Familie opfern. Ein Polit-Roman, in dem die Figuren die Politik über die Familie stellen - und doch immer wieder von ihrer Familiengeschichte eingeholt werden.

Sex mit einem schwarzen Cop

1955 wirft die Partei Rose raus, weil sie mit einem Schwarzen fickt. So zumindest sieht Rose es. So anklagend. So selbstgerecht. Und übersieht dabei nur zu gerne, dass der Schwarze nicht einfach ein Schwarzer ist, sondern ein reaktionärer schwarzer Cop. Übersieht zudem, dass ihre Parteigenossen auf eine Gelegenheit gelauert haben, die machtbewusste Egomanin aus der Gemeinschaft zu entfernen.

Denn wirklich gewachsen ist Rose nur der Mensch, der bei ihr aufgewachsen ist: ihre Tochter Miriam, ein Wunderkind, das eine Klasse überspringt und schon als Teenager den Wortschatz eines Literaturprofessors hat. Auch Miriam ist eine Besserwisserin. Auch Miriam ist attraktiv und hat die Männer im Griff, allen voran ihren Mann: den Folksänger Tommy Gogan, den sie politisch auf Linie bringt. Mit ihm lebt sie gemeinsam in einer hippiesken Kifferkommune, mit ihm geht sie gemeinsam auf Mission nach Nicaragua.

Ihr gemeinsamer Sohn Sergius, gerade einmal acht Jahre alt, muss zunächst allein in den USA zurückbleiben. Und bald auch alleine aufwachsen, denn seine Eltern bezahlen die Reise mit dem Tod. In einem Quäker-Internat reift Sergius zum Pazifisten heran, der Jahre später über eine "rattenscharfe Barrikadenbraut" an die Occupy-Bewegung gerät.

"Am Mast ihrer Starbucks-Becher"

Lethem erzählt die große Geschichte der Familie Zimmer, aber er erzählt sie nicht in einem großen, einem allumfassenden Bogen. Er greift Einzelgeschichten aus der Geschichte heraus, reißt Geschehnisse nur an, springt durch die Jahrzehnte, wechselt ständig die Erzählperspektive, und wie er das so tut, das verrät großes Talent. Einerseits. Denn Lethem gelingt das Kunststück, in seinem Roman-Puzzle mehrere Generationen linker Gegenkultur zu porträtieren: die Großeltern Kommunisten, die Eltern Hippies, die Kinder Anhänger der Occupy-Bewegung.

Andererseits macht Lethem es dem Leser nicht einfach mit seinem weitschweifigen Stil. Manchmal meint man, er parodiere das Milieu seiner Protagonisten: eine missionarische linke Szene, welcher Generation auch immer, in der sich alle gerne reden hören. Am Ende aber ist man sich sicher, dass das, was für Lethems Figuren Rose und Miriam gilt, auch für ihn selbst gilt: Wenn sie einmal angefangen haben zu salbadern, hören sie so schnell nicht wieder auf.

Die linken Aktivisten, die er porträtiert, reden selbstverliebt. Lethem schreibt selbstverliebt. Er greift dutzendfach zu Sprachbildern, die arg gewollt sind. Ein Beispiel: "Beim Hochseilakt zwischen einem Himmel des Misstrauens und einem Abgrund der Verachtung konnte sich das Hochseil einem in jenen Tagen als Schlinge um den Hals legen, wenn es aus schwarzen Kollegen bestand, die sich unter der Schirmherrschaft der Guardians an die schmutzige Schweigepflicht hielten." Ein anderes: Studenten, die frühmorgens in der Uni von ihrem Dozenten zugetextet werden, werden "am Mast ihrer Starbucks-Becher ausgepeitscht".

Es ist, als wisse Lethem, das Mega-Talent der US-Literatur, nicht wohin mit seinem Mega-Talent, mit seiner kreativen Kraft. Oder, um es auch mal mit einem Sprachbild zu versuchen: So wie ein junger Hund über eine Frühlingswiese tollt, so tollt Lethem über das weite Feld der Sprache. Er wirkt übermütig - und das ermüdet den Leser doch sehr.

Jonathan Lethem: "Der Garten der Dissidenten". Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Tropen bei Klett-Cotta; 476 Seiten; 24,95 Euro (bei Amazon  erhältlich).

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren