Kapuscinski-Biografie Weltreporter mit Wahrheitsproblem

Er traf Che Guevara, wurde im Kongo zum Tod durch Erschießen verurteilt - oder doch nicht? Eine neue Biografie kratzt am Image der Reporterlegende Ryszard Kapuscinski - und hat in dessen Heimat Polen eine heftige Debatte ausgelöst.
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Ryszard Kapuscinski: Eher Literat als Journalist

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Der Verlag "Welt des Buches" hatte noch nicht einmal die Rezensionsexemplare verschickt, da war schon klar: Dieses Buch wird ein Bestseller. Obwohl "Kapuscinski Non Fiction" erst am 3. März in die Buchläden kommt, liefern sich die Feuilletons schon seit Wochen bisweilen heftige Debatten: So wie der Autor der Biografie, Artur Domoslawski, vergreifen sich nur "Hyänen" am Lebenswerk eines Verstorbenen, schrieben die einen. Für die anderen macht das Buch die Legende Kapuscinski erst menschlich.

In den siebziger und achtziger Jahren hatte sich Kapuscinski mit seinen Reportagen aus Afrika, dem Nahen Osten und Lateinamerika einen Weltruf erschrieben. In Deutschland sind bekannt geworden: "Afrikanisches Fieber", Reportagen vom Schwarzen Kontinent, "Schah-in-Schah", ein Bericht aus Iran kurz vor der islamischen Revolution, oder "Fußballkrieg" mit Berichten aus der Dritten Welt.

Artur Domoslawski, selbst Journalist bei der Warschauer "Gazeta Wyborcza", ist ein alter Freund Kapuscinskis: "Er rief oft an und sagte: Artur, komm vorbei, lass uns reden." Noch heute nennt Domoslawski Kapuscinski liebevoll "Richi" und sich einen seiner "Verehrer".

Manches bunter gefärbt

Um so verwunderlicher, dass ihm mit der Biografie alles andere als eine Heiligenchronik gelungen ist. Drei Jahre hat Domoslawski recherchiert, hat die Freunde, Bekannten und Feinde Kapuscinskis besucht. Er hat das Privatarchiv in der Warschauer Wohnung durchforsten dürfen und kommt zu dem Schluss: Nicht selten war Kapuscinski eher Literat als Journalist. Nicht immer war Kapuscinski dem Geschehen seiner Artikel so nahe, wie er suggerierte, und manches "färbte" er bunter, als es war.

Zum Beispiel weist Domoslawski nach, dass Kapuscinski Che Guevara nicht gekannt und den kongolesischen Rebellen Patrice Lumumba nicht getroffen haben kann. Klappentexte seiner Bücher behaupten das aber, und seine Artikel klingen auch so. "Übertrieben" sei auch eine Episode, nach der Kapuscinski im Kongo zum Tode durch Erschießen verurteilt worden sein soll.

"Er hat natürlich bewusst an seiner Legende gebastelt", sagt Domoslawski, aber: "Kapuscinski war Künstler, er experimentierte. Er dehnte die Grenzen der Reportage weit auf das Gebiet der Literatur aus."

Für manche Polen scheint das eine schlimme Nachricht zu sein - und so erklärt sich die heftige Reaktion auf das Buch. Kapuscinski gilt vielen Polen als die Stimme des kleinen, armen Volkes im Schatten der Sowjetunion. Mit Kapuscinski kommentierte ein Pole das Weltgeschehen zu einer Zeit, als das Land sich in der Welt sonst kaum Gehör verschaffen konnte.

Fauler Stasi-Zuträger?

Der Verlag Znak aus Krakau zog sich zurück und lehnte es ab, "Kapuscinski Non Fiction" zu veröffentlichen, nachdem Lektoren das Manuskript studiert hatten. Kapuscinskis Witwe Alicja, die Domoslawski jahrelang kennt und ihm auch Zutritt zum Archiv des Meisters gewährte, versuchte gar per Beschluss, das Buch zu verhindern.

Womöglich störte sie sich daran, dass Domoslawskis Buch auch Schwänke aus dem Privatleben des Reporters enthält. Das überaus schwierige Verhältnis zur Tochter wird ausgeleuchtet, und auch Frauengeschichten fehlen nicht.

Heftige Diskussionen löste auch die Passage über die Stasi-Verstrickungen Kapuscinskis aus. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass der Weltreisende beim polnischen Geheimdienst registriert war. Jedoch, da ist Domoslawski sicher, war Kapuscinski eher ein fauler Zuträger: "Er hat niemandem geschadet."

Schwerer noch wiegt aber, dass der Reporter verbreitet hatte, sein Vater, Offizier der polnischen Armee, sei 1940 nur mit knapper Not aus einem Gefangenentransport entkommen, der ihn nach Katyn und damit in den sicheren Tod hätte bringen sollen. In dem Ort bei Smolensk ermordete Stalins Geheimdienst mehr als 20.000 polnische Militärs, Geistliche, Intellektuelle und Ingenieure.

Domoslawski fand heraus: Kapuscinskis Vater war niemals in sowjetische Gefangenschaft geraten. Der Reporter habe sich wohl mit dieser Geschichte eine patriotischere Familiengeschichte zulegen wollen.

Was würde Kapuscinski heute zur Biografie aus der Feder seines Freundes sagen? "Er wäre nicht sehr zufrieden."

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