Karl-May-Romane DDR-Verleger verfälschten "Winnetou"
Karl Mays kritische Bemerkungen über die Situation der Indianer in Nordamerika im ersten Absatz seines wohl berühmtesten Werkes "Winnetou" wurden von DDR-Verlegern ersatzlos gestrichen. "Ja, die rote Nation liegt im Sterben!" resümierte May, was die sozialistische Leserschaft womöglich zu falschen Interpretationen verleitet hätte. Also wurde der Satz kurzerhand umgeschrieben. "Der rote Mann liegt im Sterben!", lautete er nun.
Textbearbeitungen der Werke von Karl May waren und sind keine Seltenheit. Schon zu seinen Lebzeiten hatte der in Hohenstein-Ernstthal bei Chemnitz geborene Autor solche Ansinnen, oft ergebnislos, zu verhindern versucht. Und diese Änderungen griffen oft einschneidender in seine Bücher ein, als die "politisch notwendigen" Korrekturen zu DDR-Zeiten. Dort war man bemüht, beispielsweise jegliche Deutschtümelei zu verhindern, schreibt Klaus Hoffmann in seinem neusten Buch "Karl Mays Werke", das im Verlag Neues Leben erschienen ist. Die Begrüßung zwischen Old Shatterhand und Klekih-petra fällt in der DDR-Übersetzung weit spärlicher aus als im Originaltext. Eine komplette Passage fiel dem Rotstift zum Opfer. Wer wollte auch die folgenden Sätze in der Zeit des Kalten Krieges verantworten? "Wir Deutschen sind eigentümliche Menschen. Unsere Herzen erkennen einander als verwandt, noch ehe wir es uns sagen, dass wir Angehörige eines Volkes sind - wenn es doch nur endlich einmal ein einiges Volk werden wollte!"
Verfemter Autor und produktiver Impuls
Fast immer waren es politisch nicht genehme Teile, die sich in Wohlgefallen auflösten. Und auch religiöse Reflexionen Mays gehörten dazu. Dabei konnte der Verlag nicht eigenverantwortlich über die Straffungen bestimmen. Die Entscheidung lag bei der "Hauptverwaltung Verlage und Buchhandlungen" des DDR-Kulturministeriums. Sogar das Politbüro der SED beschäftigte sich mit dem bis dato verfemten Autor aus Sachsen. Im November 1981 kam von den Genossen grünes Licht für eine Edition von Werken Karl Mays. Schließlich waren dessen beste Bücher in der Lage, "der Bildung sozialistischer Persönlichkeiten produktive Impulse zu geben". Wer musste da nicht an die Neubewertung historischer Persönlichkeiten wie Martin Luther oder des "alten Fritz" denken. Auch sie tauchten, lange Zeit totgeschwiegen, eines Tages aus der Versenkung auf, um fortan als Wegbereiter des Sozialismus von der DDR-Historie vereinnahmt zu werden.
Für den Verlag Neues Leben Berlin sollte sich die Besinnung auf Karl May zu einem ungeahnten Erfolg gestalten, berichtet Prokuristin Hannelore Lange. 250.000 Exemplare je Titel wurden in der DDR gedruckt. Trotzdem war der Kampf um eines der grünen Exemplare groß. Inzwischen hat der Verlag nur mühsam seine Existenz retten können. Statt 90 Mitarbeitern beschäftigt er gerade noch zwei. Von Karl May wolle man jedoch nicht lassen, versichert Hannelore Lange. 66 Bände wurden bereits aufgelegt, auf rund 90 Titel ist die Gesamtauflage konzipiert.
Bitternis und Rechtsstreit
Hoffmanns Arbeit über "Karl Mays Werke" darf das Verlagshaus in Berlin allerdings seit Anfang April nicht ausliefern. Die Beschreibung des verlegerischen Umgangs mit den Manuskripten des Sachsen aus Radebeul hat zu Verstimmungen geführt, denn Hoffmann geißelt nicht allein die DDR-Verleger. Auch die Herausgeber im Westen erscheinen in keinem guten Licht. Zu Unrecht, wie der Karl-May-Verlag Bamberg/Radebeul findet. Deshalb hat er eine einstweilige gerichtliche Verfügung erwirkt, um den Verkauf des Titels zu stoppen. "Damit müssen wir erst einmal leben", sieht Hannelore Lange die Lage mit einer gewissen Bitternis. Schließlich sei es nicht das erste Mal, dass sich beide Verlage vor Gericht treffen.
May litt nach eigenen Aussagen immer schwer an den Veränderungen an seinen Manuskripten. Ob nun der Zeitgeschmack, politische Konformität oder einfach nur verlegerische Willkür am Werk waren: An keinem Stück deutscher Literatur ist vermutlich so oft und so viel redigiert worden wie an den Büchern Karl Mays. Selbst schrieb er einmal: "Ich habe Korrekturen und Kürzungen nie geduldet. Der Leser soll mich so kennen lernen, wie ich bin, mit allen Fehlern und Schwächen, nicht aber, wie mich der Redakteur zusammenstutzt."
Von Klaus-Peter Voigt, ddp