Kinderbücher über Flüchtlinge Ein Zaun gegen den Schusch

"Der schaurige Schusch"
Foto: Charlotte Hafersack, Sabine Büchner/ Ravensburger
Über den Schusch haben die Tiere auf dem Dogglspitz - dem höchsten Berg weit und breit - nur schreckliche Sachen gehört. Angeblich stinkt er nach nassem Hund. Er ist riesig, so groß wie ein Cola-Automat. Und hässlich! "So zottelig wie eine alte Zahnbürste!" Und es kommt noch schlimmer: Es gibt Gerüchte, dass er Eier klaut und Hasen frisst, und irgendein weitläufiger Verwandter hat angeblich berichtet, dass der Schusch ungefragt andere wild küsst.
Nein, so einen wollen Hase, Murmeltier, Huhn, Gams und Hirsch auf gar keinen Fall auf ihrem schönen Spitzberg haben. Das Murmeltier hat eine Idee: einen Zaun bauen!
Einen Zaun bauen? Das kommt einem ja irgendwie bekannt vor? Doch Hase, Murmeltier und Co. sind keine EU-Bürger und auch keine EU-Politiker, die mit einem Grenzzaun in Mazedonien die Balkan-Route der Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder Afghanistan abriegeln. Die Tiere bevölkern als Bedenkenträger das Bilderbuch "Der schaurige Schusch" von Charlotte Habersack (Text) und Sabine Büchner (Illustration), aber sie werden von den gleichen Ängsten umgetrieben wie viele Europäer.
Weit über eine Million Flüchtlinge sind seit 2015 über nach Europa gekommen, und inzwischen sind 20 Prozent von ihnen jünger als 17 Jahre. Die Chance ist also groß, dass deutsche Kinder Flüchtlingskinder kennenlernen, und da kann ein Bilderbuch eine guter Weg sein, dieses Thema in Kitas, Schulen und zu Hause anzusprechen. Der "schaurige Schusch" jedenfalls ist, man kann es sich denken, weder furchterregend noch unangenehm, sondern ein kleines, ängstliches und ziemlich freundliches Wesen, das sich überdies auch noch vegetarisch ernährt. Das finden die Tiere aber nur heraus, weil ausgerechnet der Hase alle Vorurteile und Ängste überwindet und mit dem Schusch eine Party feiert.

"Immerzu mussten sie Angst haben. Immerzu"
Die Hamburger Bestseller-Autorin Kirsten Boie hat auch ein aktuelles Bilderbuch zum Flüchtlingsthema geschrieben: "Bestimmt wird alles gut" (Bilder: Jan Birck). Dieses ist eine kindgerechte Dokumentation einer mehr oder weniger typischen Flucht: Es erzählt auf Deutsch und auf Arabisch "die wahre Geschichte von Rahaf, die ist jetzt zehn Jahre alt. Und von ihrem Bruder Hassan, der ist jetzt neun". Die beiden kommen aus Syrien, doch die Bombenangriffe und Straßengefechte machen aus einer fröhlichen Kindheit ein Leben in Angst. Manchmal reichte die Vorwarnzeit nicht, "dann haben sich die Kinder in den Klassen unter ihren Schultischen versteckt. Immerzu mussten sie Angst haben, immerzu!"
Die Eltern fliegen nach Ägypten, von dort aus bringen geldgierige Schleuser sie übers Mittelmeer nach Europa, nehmen ihnen aber vorher noch Geld und Gepäck ab. Mit dem Zug schafft die Familie es schließlich nach Deutschland. Doch während es für die Kinder bald losgeht mit dem Schulalltag und so auch mit der Integration, darf der Vater, ein Arzt, nicht arbeiten. Erst mal jedenfalls.
Das lebendig erzählte und emotional bebilderte Buch endet mit Hoffnung - und mit einem Wörterbuch für Deutsch-Arabisch. Bis zum 30. April können Lehrer die Geschichte fürs Smartboard kostenlos herunterladen unter www.onilo.de und als Anfang nehmen, um über die Situation der Flüchtlinge in Deutschland zu sprechen. Schön ist, dass Boie ohne verkitschte Willkommenskultur den Blick öffnet für die Geflüchteten, die Freunde werden wollen.

Aus Workshops der Berliner Illustratorin Patricia Thoma entstanden ist das Bilderbuch "Willkommen in Deutschland" . Bei den Workshops mitgemacht haben Schüler aus Berliner Willkommensklassen, die in anderen Bundesländern Integrationsklassen heißen - also Kinder, die aus dem Ausland kommen und erst Deutsch lernen müssen, bevor sie die Regelklassen besuchen können. In dem Buch stellen die Kinder sich und ihr Land vor, auf Deutsch und in ihrer Muttersprache, und vor allem mit ihren doppelseitigen Buntstift-Zeichnungen.
Welche Zutaten braucht man für Couscous?
Florentina, 11 Jahre alt, kommt aus Rumänien und spielt gerne Fußball. Auch Safa aus Libyen, 12 Jahre alt, betreibt Fußball als Hobby. Sie erklärt in ihren bunten Zeichnungen, welches die richtigen Zutaten für Couscous sind und wie man Tee auf libysche Art korrekt herstellt: immer hin und her zwischen Teekanne und Teetasse gießen, bis Schaum entsteht. Und dann kommt noch Zucker dazu. Das Bilderbuch ist nicht tiefschürfend, aber auch ein schöner Auftakt für ein Gespräch mit Kindern über das Leben in anderen Ländern.

Das finsterste Buch zum Thema Fremde ist eine Neuauflage: "Die Insel - eine tägliche Geschichte" von Armin Greder, das ursprünglich 2002 erschien. Inselbewohner finden einen nackten Mann, der mit einem Floß am Strand angekommen ist. "Er war nicht wie sie. Sie starrten ihn an. Sie wunderten sich. Sie fragten sich, warum er hierhergekommen sei. Was er hier wolle. Was nun zu tun wäre." Der Fischer kann gerade noch verhindern, dass der Mann gleich wieder zurück ins Meer getrieben wird.
Obwohl der Fremde nichts tut und nichts sagt, wird er zum Feind, und der Fischer, der ihm als einziger helfen will, wird ebenfalls zum Außenseiter. Alle anderen, die denken wie der Fischer, schweigen. Immer mehr Hass türmt sich auf gegen den Fremden, und am Schluss werfen die Inselbewohner ihn ins Meer und zerstören die Existenz des Fischers, indem sie sein Boot abfackeln. Und dann bauen sie eine Mauer und Türme und schießen die Vögel ab, damit niemand von der Insel erfährt.
Ein bitterböses Bilderbuch ist dies und schwer zu ertragen, auf jeden Fall für jüngere Kinder zu schwer mit seinen finsteren Kreidezeichnungen furchteinflößender, übergewichtiger Männer - obwohl der Verlag es zumutbar findet für Grundschulkinder. "Die Insel" ist das dunkle Gegenstück zu "Der schaurige Schusch". Die Inselbewohner - allesamt Erwachsene - lernen nichts dazu, sondern begehen auf Basis von Vorurteilen ein Verbrechen. Die kindlichen Tiere vom Dogglspitz dagegen überwinden ihre Ängste und gewinnen einen neuen Freund. Da wäre man froh, wenn Erwachsene öfter von Kindern lernen würden.

Sabine Büchner, Charlotte Habersack:
Der schaurige Schusch
Ravensburger; 32 Seiten; gebunden; 12,99 Euro (ab 3 Jahre).
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Kirsten Boie, Jan Birck:
Bestimmt wird alles gut
Übersetzung ins Arabische von Mahmoud Hassanein.
Klett Kinderbuch; Arabisch, Deutsch; 48 Seiten; gebunden; 9,95 Euro (ab 6 Jahre).
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Patricia Thoma (Hrsg.):
Willkommen in Deutschland
Jacoby&Stuart; 32 Seiten; gebunden; 12,95 Euro (ab 6 Jahre).
Buch bei Jacoby&Stuart: Patricia Thoma (Hrsg.) "Willkommen in Deutschland"
Armin Greder:
Die Insel
Fischer Sauerländer; 40 Seiten; gebunden; 16,99 Euro (ab 8 Jahre).
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