
Kommunismus und Komik Honecker furzt, Volk freut sich
Was haben wir gelacht! Auch so könnten die Erinnerungen gewöhnlicher Zeitgenossen an die langen Jahrzehnte unter Stalin oder Breschnew, Ulbricht oder Honecker, Ceaucescu oder einem andern großen und kleinen Potentaten des "realen Sozialismus" durchaus lauten. Es war jedenfalls eine vielleicht einzigartig fruchtbare Ära des Volkswitzes, der auf alle Fragen eine Antwort wusste.
Zum Beispiel: "Der Kapitalismus soll am Rande des Abgrunds stehen. Wann wird der Kommunismus ihn überholen?" "Welches Stadium kommt zwischen dem Sozialismus und dem vollen Kommunismus? Der Alkoholismus." "Stimmt es, dass es keine politischen Witze mehr geben wird, wenn wir den Kommunismus erreicht haben? Ja, bis auf den hier."
Das Spektrum reichte von tiefgründigen Kalauern bis zu hoch sophistischen, mit kunstvollem suspense ausgemalten "anekdoty" russischen Stils wie zum Beispiel (in Kurzfassung) dieser: Der sowjetische Generalsekretär Breschnew lässt auf einer Konferenz des Warschauer Pakts nach dem Mittagessen gewaltig einen fahren. Der bulgarische Parteichef Schiwkow springt auf und entschuldigt sich zerknirscht. "Genossen, ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte..." So geht es mehrmals hintereinander. Schließlich springt Erich Honecker auf und kräht im Falsett: "Genossen, die nächsten fünf übernimmt die DDR!"
Lasar Scherewski, ein ehemaliger Gulag-Häftling, stellte sogar die These auf, man könne die gesamte Geschichte des Kommunismus in Witzen erzählen. Warum das so war, ist für Geschichtsforscher wie Kultursoziologen ein hoch interessantes und zugleich ziemlich unterhaltsames Thema. Das eben erschienene Buch des britischen Fernsehjournalisten Ben Lewis "Das Komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989" will dieses historische Phänomen tiefer ergründen.
Komische Diagnose
Allzu weit kommt er dabei nicht. Das beginnt mit der ernst gemeinten Behauptung, es habe sich um eine spezifische kulturelle Ausdrucksform der Ideen und Werte dieses Systems gehandelt. Wie die Griechen ihre Mythen, die Elisabethaner ihre Theaterstücke, die westliche Nachkriegskultur ihre Popmusik, so hätten die Kommunisten "ihre politischen Witze" hervorgebracht.
Die Kommunisten - ihre Witze? Natürlich weiß Lewis, dass es sich fast ausnahmslos um Witze über die kommunistischen Führer, ihre surrealen Losungen und Praktiken gehandelt hat. Aber er möchte unbedingt darauf hinaus, dass Herrschende und Beherrschte im realen Sozialismus am Ende durch eine "gemeinsame Kultur" verbunden gewesen seien. Die subversive Rolle der Witze und die oppositionelle Haltung ihrer Erzähler für den Sturz des Kommunismus sei eher überschätzt worden, befindet der Autor mit einem gewissen, nun ja, Bierernst.
Mag sein - obwohl man ebenso gut die gegenteilige These vertreten könnte: dass die korrodierende Macht des Humors bei diesem Weltereignis noch kaum recht gewürdigt worden ist. Sicherlich war es eine emphatische Übertreibung, als George Orwell einst sagte: "Jeder Witz ist eine kleine Revolution." Schön wär's. Dennoch muss man erst mal erklären, warum Zehn- oder Hunderttausende für nichts als einen saftigen Witz oder Mutterfluch wegen "antisowjetischer Propaganda" in die Lager geschickt worden sind.
Subversive Schafe
Als in den späten fünfziger Jahren die kommunistischen Regimes endlich auf offene Repressionen verzichteten, fachte ihre hypochondrische Humorlosigkeit die volkstümliche Witzproduktion erst recht an. Natürlich waren das goldene Zeiten, wenn, wie ein Redakteur der staatlich lizenzierten DDR-Satirezeitschrift "Eulenspiegel" sich erinnerte, "sein Artikel über einen Schäferwettbewerb abgelehnt wurde, weil der Chefredakteur mutmaßte, das Hüten der Schafe könnte als Kritik an der DDR-Führung verstanden werden". So fungierte die Zensur selbst als eine Art Feuerleitzentrale des Volkswitzes.
Dass die scheinbar unerschöpflichen Quellen dieses Humors schon vor 1989 und erst recht danach weitgehend versiegten, wie Lewis' Interviewpartner bedauernd feststellen, ist sicherlich wahr - aber doch nur, weil die professionelle Massenproduktion von Kabarett bis Comedy aus allen Programmkanälen jede hausgemachte Witzproduktion im Keim erstickt. Und weil heute jeder Politiker den Kakao, durch den er gezogen wird, breit lachend schlürft wie feinsten Champagner. Wir amüsieren uns zu Tode, aber haben unseren Witz verloren. Dass die bourgeoise Ordnung auch so untergehen könnte, hatte Marx definitiv nicht bedacht.
Übrigens, kennen Sie den? Kommt ein alter, grauhaariger Mann an die von den Kommunisten eingenommene Himmelspforte und wird vom wachhabenden Genossen Peter Petrowitsch routinemäßig verhört: Also, wer war dein Vater? Ein Rechtsanwalt. Und deine Mutter? Tochter eines Kaufmanns. Deine Frau? Eine Adlige. Was hast du im Leben so gemacht? Och, gereist und Bücher geschrieben. Tja, mein Lieber, das wird schwierig. Wie war noch der Name? Marx, Karl.
Ben Lewis, "Das komische Manifest. Kommunismus und Satire, 1917 - 1989", Karl Bessing Verlag, 22, 95 Euro.