Krimis aus Finnland Von Mord nach Süd
Manchmal scheint es, als könne Taavi Soininvaara, 42, noch immer nicht so ganz fassen, dass er vor sieben Jahren sein Leben umkrempelte, einfach so, und Schriftsteller wurde. Immerhin war er als Chefjurist für bedeutende finnische Unternehmen erfolgreich im Geschäft. "Besser verdienen konnte ich in Finnland eigentlich kaum noch", sagt er.
Nur der Preis für ihn, der war hoch: viel im Ausland, nie zu Hause, wenig Freizeit. "Willst du das machen, bist du 56 bist?", fragte er sich immer öfter. Und dann nagte da noch "ein alter Kindheitstraum" in ihm. Also entschloss er sich 2001 kurzerhand, neu anzufangen und Bücher zu schreiben ein guter Schritt, wie sich zeigt.
Seine Polit-Thriller um den Ermittler Arto Ratamo und dessen Kollegin Riita Kuurma verkaufen sich bestens. In Deutschland zählt er inzwischen zu den Bestsellerautoren auf dem heiß umkämpften Krimi-Markt. Und zur ersten Reihe der Generation neuer finnischer Krimi-Schreiber, die etablierten Marktführern vor allem aus Schweden wie Henning Mankell, Håkan Nesser oder Åke Edwardson langsam den Rang ablaufen.
Von Bagdad nach Helsinki
Ein richtiger Newcomer war Soininvaara eigentlich schon längst nicht mehr, als 2004 mit "Finnisches Requiem" sein erster Roman in Deutsch auf den Markt kam und auf Anhieb zum Erfolg wurde. Denn Nummer eins in Deutschland war bereits der Dritte in Finnland. "Das ist ein bisschen schade", findet der Autor, denn eigentlich sollen die Leser mit seinen Hauptfiguren ja wie in Finnland mitwachsen können und Fall für Fall, Story für Story älter werden.
Sein Serienheld Arto Ratamo ist ein ehemaliger Virologe der Nationalen Forschungsanstalt für Veterinärmedizin, der sich nun als Ermittler der finnischen Sicherheitspolizei und als allein erziehender Vater durchs Leben schlägt. Das wird erschwert durch seine Gefühle für die Ex-Geliebte und Kollegin Riita, die vor Artos Bindungsunfähigkeit zu Europol nach Den Haag flüchtet. Und, natürlich, durch das globale Verbrechen, das auch vor der vergleichsweise beschaulichen finnischen Metropole nicht Halt macht.
In "Finnischer Tango", Soininvaaras neuestem Buch, muss Ratamo nicht nur gegen islamistischen Terror bestehen, der Helsinki zur internationalen Drehscheibe auserwählt hat. Er muss auch noch sein kleinbürgerliches Privatleben in Ordnung halten und die Unschuld einer Freundin beweisen.
Das wirkt streckenweise arg konstruiert, wenn die Terrordrähte bis nach Bagdad, Afghanistan und in die PKK glühen, wenn Glaubenskriege zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden ausgetragen werden, die Geheimdienste von Moskau bis London involviert sind und dann ausgerechnet Helsinki das Problem löst. Doch Soininvaara präsentiert den gut recherchierten Plot in einer dramaturgischen Dichte, mit Witz und Spannung, dass für Langeweile keine Zeit bleibt und die Auszeichnung zum besten finnischen Krimi 2004 kein Zufall war.
Alter Schwede, die Finnen!
Der Erfolg für Soininvaara in Deutschland, wo er den Großteil seiner inzwischen an die 500.000 verkauften Bücher abgesetzt hat, kam für ihn unerwartet. Zwar wusste er von vielen Geschäftsreisen vom anhaltenden und schwer erklärbaren Boom skandinavischer Krimis hierzulande. Aber der war schon einige Jahre alt und hatte ja bereits nacheinander die Schweden, Norweger und dann sogar die Isländer in die Bestsellerlisten geschwemmt.
Und nun, in einer Art "zweiten Welle", wie Soininvaara sagt, und mit großer Verspätung, auf einmal auch die Finnen? Es sind eine ganze Handvoll neuer und vor allem auch jüngerer Autoren, die nach vorne drängen, aus einem Land, das bislang vor allem für eine etwas seltsamen Sprache, für schrullige Kaurismäki-Filme und schwermütige Tango-Lieder stand.
Und nun also auch für Polizeiromane und Detektivgeschichten. Namen wie Soininvaara, Matti Rönkä, Auli Mantila oder Ilkka Remes liegen auf deutschen Büchertischen auf einmal prominent neben Henning Mankell oder Jo Nesbø. Und das zu recht. Denn die neuen Finnen haben das Genre nicht nur um neue Schauplätze, sondern auch um originelle Ideen und Formate bereichert.
Soininvaara zum Beispiel mischt die klassische Detektivgeschichte geschickt mit Elementen des Polit-Thrillers. Helsinki ist der Ausgangspunkt, nach Finnland geht es immer wieder zurück, aber die Bühne für seine Geschichten ist das globale Verbrechen, vor allem politisch motivierter Terrorismus. In "Finnischer Tango", seinem neuesten und zugleich sechsten Roman um Arto Ratamo, geht es um einen Anschlag auf ein Kreuzfahrtschiff Auftakt eines weltweiten Dschihad, der in Helsinki seinen Ausgang nimmt und den Leser in zum Teil atemberaubenden Tempo bis in die aktuellen politischen Krisenherde mitnimmt.
Die Schweden-Krimis seien die Vorreiter der neuen Finnen-Welle, aber nicht das Vorbild, sagt Soininvaara selbstbewusst. Damit ist vor allem die politische und historische Randlage Finnlands in Europa gemeint. Sie war bis zum Eintritt in die Europäische Union 1995 immer von der besonderen, oft spannungsgeladenen Nachbarschaft zu Russland und der Sowjetunion geprägt. Das hatte Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung. "Die ganze Stimmung war bei uns nicht so offen und global wie bei den anderen Nordländern", sagt Soininvaara.
Und vor allem eines war vielen Finnen lange besonders fremd: Die von den schwedischen Nachbarn zur Schau getragene politische Moral. "Die schwedischen Krimis sind so politisch korrekt", stöhnt Autorenkollege Matti Rönkä. "Wir mussten deshalb mehr über Dinge schreiben, die uns unterscheiden als verbinden."
Finnlands Krimistarautorin - eine Schwedin?
Umso verwunderlicher, dass die lange Zeit wohl bekannteste und über ihre Landesgrenzen hinaus erfolgreichste Finnin, Leena Lehtolainen, 44, zugleich die schwedischste war. Denn ausgerechnet die Literaturwissenschaftlerin aus Helsinki schuf mit Mario Kallio die feministische und politisch korrekte Antwort auf Kurt Wallander und seine Macho-Kumpel, von Erik Winter bis Van Veeteren oder Varg Veum.
Lehtolainens Ermittlerin von der Polizei in Espoo spielt Fußball, trinkt Whisky und kennt sich aus mit Autos. Kallio kämpft gegen Frauenunterdrückung, Rollenklischees und Gewalt, die sich oft, wen wundert's, gegen Frauen richtet. Und bringt nebenbei noch Kinder zur Welt.
"Das beste Buch, das man schreiben kann, schafft einen Charakter, an den man sich lange erinnert", sagt Lehtolainen. Das Rezept ist offenbar erfolgreich. Zehn Romane mit Maria Kallio hat sie bereits geschrieben, Nummer elf ("Auf der falschen Spur"), in der eine Journalistin ermordet wird, kommt im Januar auf den Markt.
Ob politisch korrekt oder nicht, Lehtolainen und Kallio waren für die Finnen so etwas wie die Türöffner zum internationalen Markt. Die neue (männliche) Generation der Soininvaaras profitiert davon ebenso wie die etablierten Schreiber.
Pentti Kirstilä, 60, zum Beispiel, einer der wenigen Granden unter den finnischen Krimi-Autoren. Er schrieb seinen ersten Krimi immerhin schon 1977, wurde zuhause zweimal mit dem Krimipreis ausgezeichnet und kam doch erst 2004 mit seinem eigenbrötlerischen Kommissar Lauri Hanhivaara in die deutschen Buchläden.
In "Klirrender Frost", seinem vierten Fall für Hanhivaara, geht es um einen finnischen Unternehmer, der verrückt wird und am Ende seinem eigenen Komplott zum Opfer fällt. Die Geschichte entwickelt sich langsam, wie ein skurriler Gesellschaftsroman, bis sich der Fall als mitreißende Detektivstory mit hohem Unterhaltungswert entpuppt.
Ilkka Remes, 46, gilt mit seinen Polit-Thrillern als "meistgelesener Autor" in Finnland. "Am atemberaubendsten" sei die Erkenntnis, hat Remes einmal gesagt, "dass die realen Ereignisse die Grenzen der Phantasie längst überschritten haben". Das gilt für seinen neuesten Roman, "Das Erbe des Bösen" exemplarisch.
Der exzellent recherchierte Thriller verknüpft die reale deutsche Nazi-Vergangenheit - mit Euthanasie-Programmen, Menschenversuchen, Hitlers Atomforschungen und Wunderwaffentests - auf packende Weise mit fiktiven politischen Machenschaften der Gegenwart.
Vom Star-Journalisten zum Krimi-Autoren
Die vielfach ausgezeichnete Regisseurin und Drehbuchautorin Auli Mantila, 44, legt in ihrem Erstling "Eine gefährliche Art von Glück" ein glanzvolles Debüt hin. Sie hat mit der Versicherungsdetektivin Inkeri Arte nicht nur einen neuen Ermittler-Typ kreiert. Sie erzählt die Geschichte eines Bombenanschlags auf ein Einkaufszentrum und der Sicht der gleich doppelt darin verwickelten Versicherungsagentin: als Ermittlerin für ihr Assekuranzunternehmen und als tragisch verstrickte Schwester eines der Bombenopfer.
Shooting Star unter den neuen Finnen dürfte Matti Rönkä sein. Der 48-jährige Journalist war Redaktionsleiter und Anchorman eines beliebten Fernsehnachrichtenmagazins, eine Art Tom Buhro beim größten finnischen Privatsender. Bis ihm, ähnlich wie bei Soininvaara, der Druck des TV-Geschäfts mit komplizierten Personal- und Budgetentscheidungen zu groß wurde.
"Ich wollte ein besserer Mensch werden", beschloss Rönkä 2000, "und Geschichten schreiben". Anders als sein Kollege war er allerdings weniger überzeugt von sich. "Ich glaubte nicht an meine Idee, dass ich den Leuten was zu sagen hatte", erzählt Rönkä, deswegen entschied er sich für Kriminalromane.
Rönkä stammt aus dem Norden Kareliens, jener heiß umkämpften Grenzregion zwischen Finnland und Russland nordöstlich von St. Petersburg, die seit dem Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen sowjetisch und jetzt russisch ist. Aufgrund der wechselhaften Geschichte leben bis heute Zehntausende Ingermanländer in der Region - sogenannte "russische Finnen", deren Vorfahren aus Finnland in die Sowjetunion oder nach Estland ausgewandert waren und bis heute dort leben - wenn sie nicht ihre Übersiedlung in die alte Heimat organisieren konnten.
Handlanger russischer Freunde
Viktor Kärppä ist so einer, der es gerade noch geschafft hat. Die Hauptfigur Rönkäs ist halb Russe und halb Finne und entsprechend zerrissen in seinen Gefühlen und seinem Alltag. Als heruntergekommener Privatdetektiv schlägt er sich in Helsinki durch. Kärppä verdingt sich einerseits als Handlanger alter russischer Freunde, die am Rande der organisierten Kriminalität (und manchmal auch mittendrin) allerlei anrüchige Geschäfte machen. Dabei entwickelt der ausgebildete Elitesoldat seine ganz eigene Moral: "Er ist zum Töten ausgebildet, aber er kann's nicht", sagt Rönkä.
Andererseits versucht Kärppä ein echter Finne zu werden. Deshalb versorgt er einen Kommissar mit Insiderinformationen, um das Schlimmste zu verhüten und sein Gewissen zu beruhigen. Die Figur ist einzigartig im ausufernden Krimi-Genre, ein Außenseiter mit einer eigenen "moralischen Balance", so Rönkä. Ein "Grenzgänger" wie auch sein erster Roman heißt, der erst in Finnland und 2008 auch in Deutschland als bester Krimi ausgezeichnet wurde.
In Finnland sind bereits vier Bücher mit Kärppä auf dem Markt, in Deutschland ist gerade der zweite herausgekommen: "Bruderland". Es geht um klinisch reines Heroin, dass auf einmal in großes Mengen über die russische Grenze ins Land kommt und um Viktor Kärppäs Vergangenheit. Rönkä erzählt erneut mit Witz und Ironie, die seinen journalistischen Hintergrund erkennen lässt, und manchmal vielleicht sogar schon etwas zu unernst für den Geschmack orthodoxer Krimi-Fans.
"In Finnland gibt's keine Privatdetektive wie Phillip Marlowe", jenen unbestechlichen, sentimentalen Einzelgänger aus der Feder des legendären Raymond Chandler, verteidigt sich Rönkä. Und: "Finnen sind anders eben als die meisten Skandinavier". Krimileser wissen das. Und sind dankbar dafür.