
Grass holt gegen Israel aus: "Gealtert und mit letzter Tinte"
Grass-Gedicht über Israel Lyrischer Erstschlag
"Was gesagt werden muss" hat Günter Grass sein Gedicht überschrieben. Es beginnt mit den Worten: "Warum schweige ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist". Es geht in diesem, in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichten Gedicht um Grass' Schweigen zu Israel und zum drohenden militärischen Konflikt zwischen Israel und Iran. Es geht um deutsche Waffenlieferungen. Es geht um das Verhältnis von Deutschen und Israelis. Es geht um ein Thema, bei dem allein eine Überschrift wie "Was gesagt werden muss" schon eine ungute Frivolität birgt: die Frivolität des Tabubruchs.
"Was gesagt werden muss", das ist, lyrisch kaum verhüllt, nichts anderes als das, was man dort, wo man keinen Literaturnobelpreis vorzuweisen hat, nur unwesentlich schlichter ausdrückt. Am deutschen Stammtisch: "Man wird ja noch mal sagen dürfen, dass..."
Man wird ja wohl darüber reden dürfen, genau - wenn da nicht dieses ungeschriebene Gesetz wäre, dass man eben nicht darf. Und so liefert der Dichter, nachdem er die rhetorische Einstiegsfrage nach dem Grund für sein Schweigen gestellt hat, wenige Zeilen später die Erklärung für seine bisherige Zurückhaltung: Er habe sich damit einem Zwang untergeordnet. Einem Zwang, "der Strafe in Aussicht stellt, sobald er missachtet wird."
Günter Grass hat viele politische Schlachten geschlagen in seinem Leben. Er ließ sich mit Eiern bewerfen, als er für Willy Brandt Wahlkampf machte, für seine "Blechtrommel" wurde er wegen vermeintlich jugendgefährdender Schweinereien angezeigt. Welchem Zwang unterliegt er, welche Strafe schreckt ihn, dass er sich versagt, wie er in seinem Gedicht schreibt, "jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten - ein wachsendes nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist"? Es ist die Strafe mit dem "Verdikt 'Antisemitismus' belegt zu werden."
Gabriels "Apartheid"
Vier gewundene Strophen braucht Grass, um endlich zu dem zu kommen, was er mit seiner Überschrift gedanklich vorbereitet hatte. Denn wenn es einen Argumentationsstrang gibt, der hierzulande fast immer auf die Einleitung "Man wird ja noch mal sagen dürfen" oder - wie es bei Grass heißt "Was gesagt werden muss" - folgt, dann hat er entweder mit den in Deutschland lebenden Ausländern zu tun. Oder mit Israel.
Grass vollzieht hier eine bemerkenswerte Gleichsetzung, die logisch klingen soll, es aber eben nicht ist: Kritik an Israel ist antisemitisch. Müsste man sie im Zweifelsfall nicht eher antiisraelisch oder vielleicht antizionistisch nennen? Und ist sie in Deutschland tatsächlich unter Strafe gestellt? Erst kürzlich konnte der SPD-Chef Sigmar Gabriel doch ganz unbehelligt von "Apartheid" in Hebron schwadronieren. Wurde er bestraft? Nein. Ignatz Bubis hat sich, als er schon Vorsitzender des Zentralrats der Juden war, einmal darüber beschwert, dass man ihm gegenüber Israel als "sein Land" bezeichne. Bubis war deutscher Staatsbürger. "Die Juden", das hat zumindest Günter Grass noch immer nicht begriffen, sind nicht "die Israelis".
In seinem Fall allerdings würde selbst diese Erkenntnis kaum noch weiterhelfen: Ob man die sinisteren Strippenzieher, die jede Kritik an ihnen mit gesellschaftlicher Ächtung bestrafen, nun Juden oder Israelis nennt, ist fast egal - es steckt ja doch das gleiche Klischee dahinter: die Weltverschwörung. Und das ist, den Gefallen muss man Grass an dieser Stelle leider tun, antisemitisch.
"Der Heuchelei überdrüssig"
Grass ist so eitel, dass er es in der "Zeit " einst fertigbrachte, sogar anlässlich der Beerdigung von Heinrich Böll fast nur über sich selbst zu schreiben; seine politische Meinung packt er in ein derart schlicht gemachtes Gedicht. Was für ein Pathos! Hätte er seine Verse doch besser nicht mit dem Wort "Ich" in der ersten Zeile begonnen. Sondern sich ausführlicher mit der Lage Israels auseinander gesetzt. Dann hätte er recht schnell eine Ahnung davon bekommen können, wie es sich psychologisch für die Bevölkerung Israels anfühlen muss, von Feinden umzingelt zu sein. Ob die Iraner wirklich, wie es Grass vom Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad glaubt, nur "Maulhelden" sind, das Volk nur "unterjochte, zum organisierten Jubel gelenkte" Massen - das würde sich wohl erst im Ernstfall zeigen. Dann allerdings wäre der Staat Israel, auch wenn Grass das nun für mit "flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert" hält, sehr wohl auf U-Boote angewiesen. Auch aus Deutschland.
Aber nein, Grass braucht derartige Erwägungen nicht anzustellen, schließlich ist er "Israel verbunden". Wo ist der Gong? Klischee erfüllt! Schließlich kommt auch an den Stammtischen der Satz "Man wird ja wohl noch mal sagen dürfen" nicht mehr ohne den Zusatz "Einige meiner besten Freunde sind Ausländer" aus. Wohl also einem Land wie Israel, das solche Freunde hat: In jungen Jahren in der Waffen-SS, jetzt, wie Grass schreibt, "gealtert und mit letzter Tinte", "der Heuchelei überdrüssig."
Es ist geschmacklos, wenn ausgerechnet Deutsche den Israelis erklären, was sie zu tun haben. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik allerdings hat sich ein prominenter Intellektueller auf so eitle Weise mit so dumpfen Klischees gegen Israel gestellt. Seine Forderung, das israelische Atompotential müsse wie das iranische durch "eine internationale Instanz" kontrolliert werden, geht dabei unter.
Ob es in absehbarer Zeit, wie im Gedicht unterstellt, zu einem Atomangriff kommt, mit dem Israel das "iranische Volk auslöschen könnte", ist keineswegs sicher. Eines aber ist gewiss: Der lyrische Erstschlag ist geführt - und das von deutschem Boden.