Kult-Autor Jörg Fauser Diven, Dealer, Drahtseiltänzer

Letzte Worte eines Unbehausten: 20 Jahre nach dem Tod von Jörg Fauser erscheint nun der unvollendete Roman "Die Tournee". Ein kluges Sittengemälde der achtziger Jahre, in dem der Autor den Mief der Bundesrepublik freilegt.

Es war ja nicht alles widerwärtig an den achtziger Jahren. Die Frauen, um ein Beispiel zu nennen, kamen auf einmal mit einem wunderbar saloppen Selbstbewusstsein daher. Saßen plötzlich in den Chefetagen von neu gegründeten Lifestyle-Postillen, tranken schon um elf Uhr morgens gut gekühlten Weißwein und übernahmen souverän die Jobs der Männer, die im Laufe der Siebziger drogen- und karrieretechnisch unter die Räder gekommen waren.

Der Schriftsteller Jörg Fauser, der eines Nachts im Jahr 1987 im Alter von 43 Jahren stark alkoholisiert von einem LKW überfahren wurde, hat dieser neuen weiblichen Lässigkeit der Achtziger kurz vor seinem Tod ein kleines Denkmal gesetzt.

In seinem unvollendet gebliebenen Roman "Die Tournee", der nun endlich in einer exquisiten Edition mit opulentem Anhang erscheint, gibt es eine tolle Szene: In der Redaktion eines neu gegründeten Reportage-Magazins mit dem Titel "Crème" trifft eine junge hungrige Journalistin auf die ebenso junge und hungrige Textchefin des Blattes, um ein paar Storys auszuhecken. Dabei wird von den beiden Frauen auch ohne falsche Emotionen die Männerfrage besprochen: "Diese ganze Generation ist ja ausgebrannt", sagt die Textchefin. "Die Männer, meine ich. Noch ein Glas?"

Jörg Fausers Talent zum Zündeln und Ausbrennen ist legendär, gelegentlich feierte und vermarktete man ihn als deutschen Bukowski. Dabei wird leicht übersehen, dass er in seinen Texten auf Distanz zu sich selbst und seinen Figuren bedacht war. Diese Skepsis den eigenen Sujets gegenüber mag daran gelegen haben, dass er in allen möglichen Subkulturen mitgemischt hat, aber nirgendwo wirklich heimisch war. So etwas hält zwangsweise wach.

Vagabund durch Lebensstile und Medien

Ende der Sechziger blieb Fauser wie so viele andere seiner Generation auf dem Hippietrip in Istanbul mit seinen günstigen Rauschmittelbasaren hängen, mit den üblichen Entgrenzungsfantasien jener Tage indes hatte er nichts am Hut: Als Junkie im nahen Osten quälen dich dieselben Ängste wie in der mittelständischen Provinz Deutschlands, so die lakonische Erkenntnis des Schriftstellers, die er in seinem Roman "Rohstoff" zu einem großartigen Zeitporträt verarbeitete.

Später schlug sich Fauser dann durch den deutschen Medien- und den Literaturbetrieb. Doch so richtig geerdet war er offensichtlich nie zwischen all den linksalternativen Stadtzeitschriften und Männerreportagemagazinen, für die er schrieb, zwischen verpatzten Literaturwettbewerben und versoffenen Stipendien.

"Die Tournee", Mitte der Achtziger begonnen, sollte nun sein Opus Magnum werden, mit dem er es allen zeigen und sich zugleich als Romancier verabschieden wollte. Keine 170 Seiten lang ist das Werk geblieben, geplant war wohl die dreifache Länge. Doch auch so wird Fausers Kunst deutlich, mit knappem Strich große schillernde Zeitgemälde zu entwerfen.

Hochkarätige Abstürze

Geschickt verknüpft er hier die Wege von ganz unterschiedlichen Gestalten, die nur eines gemeinsam haben: den Willen, ihrem siechen Leben eine neue Wendung zu geben. Sie steigen ohne Netz aufs Drahtseil ihrer Existenz, der Absturz ist programmiert. Es sind die typischen Brüche, Neuanfänge und Selbstüberschätzungen der Achtziger.

Da geht es zum Beispiel um einen alten Berliner SPD-Funktionär, der zwischen Babystrich und Vorort pendelt. Um eine in die Jahre gekommene Fernsehschauspielerin, die auf Bädertournee geht, weil sonst ja nichts mehr geht. Oder eben um einen Münchner Schickimicki-Galeristen, der es statt mit dem Gemäldehandel mal mit dem Rauschgiftimport aus Fernost probiert. Sie alle versuchen mit kriminellem Elan und bescheidenem Erfolg aus ihren Milieus auszubrechen. Reisende in einem Roadmovie zwischen München, Berlin, Frankfurt und unendlichen vielen tristen deutschen Kurstädten.

Es geht wie immer bei Fauser auch in "Die Tournee" um Drogen, Gewalt und krumme Geschäfte. Bemerkenswert, wie wenig Machismo und wie viel Feinnervigkeit dabei durch die Zeilen durchschimmert. Wie alle großen Krimi-Autoren beherrscht Fauser eine Sprache der konzentrierten Melancholie. Mit welch knappen Worten er sich in die vielen Verlierer und wenigen Gewinner seiner Geschichte einzufühlen vermag!

Kreativität ohne Haftung

Inspiriert wurde er zu dem Achtziger-Kaleidoskop übrigens von einer Reportage, die er für "Transatlantik" verfasst hatte, jenes Magazin, das dem Einzelgänger annähernd eine Art publizistische Heimat bot: Da ging es um den verlöschenden Filmstar Doris Kunstmann, die Fauser auf einer Theatertournee durch deutsche Käffer begleitet hatte.

In der "Tournee" überlässt er den Part des Reporters einer weiblichen Figur, der smarten Vicky Borchers-Bohne, jener jungen Journalistin, die kurz vor Amtsantritt lakonisch ihren selbstmitleidigen Schriftstellergatten unter die Erde gebracht hat. So übernimmt der Grenzgänger Jörg Fauser die Frauenperspektive und lässt die Journalistin genau auf der letzten beendeten Manuskriptseite einen Gedanken formulieren, der durchaus als sein eigenes Schaffenscredo gelten dürfte: "Schreiben war gut. Besser als die Gemeinschaft mit Menschen war, über sie zu schreiben, und dann nicht an ihnen haften zu bleiben, sondern weiterzuhüpfen wie die Kugel im Roulettekessel."

So klingen die letzten Worte eines Unbehausten: Wo einen die Kugel im Spiel des Lebens auch hinwirft, man findet überall den Rohstoff, um sich daraus in seinen Romanen die bessere Welt zu bauen.



Jörg Fauser: "Die Tournee". Alexander Verlag Berlin, 272 Seiten, 19,90 Euro

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