Kult-Schriftsteller David Foster Wallace tot aufgefunden

Ein sprachmächtiger Gesellschaftskritiker, eines der größten Talente neuer amerikanischer Literatur: David Foster Wallace, Autor des postmodernen Kult-Romans "Infinite Jest", ist in seinem Haus in Kalifornien tot aufgefunden worden. Offenbar hat sich der 46-Jährige erhängt.

Claremont - "Damit die Literatur lebendig bleibt, muss sie mehr leisten als das Kino und das Fernsehen", sagte David Foster Wallace im Januar letzten Jahres in einem Interview mit der "Zeit". Man kann sagen, dass sich der aus Ithaca, New York stammende Sohn eines Literaturprofessors und einer Englischlehrerin dieses Credo zu Herzen genommen hat. Seine Romane, Erzählungen und Essays gehören zum intellektuell und künstlerisch Verwegensten, was die moderne amerikanische Literatur in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat.

Vergleiche mit James Joyce und postmodernen Klassikern wie Thomas Pynchon wurden gezogen, um das wortmächtige, vielfach in sich verschachtelte Konvolut von Wallace-Werken zu charakterisieren. Zu komplex und radikal erschienen viele Texte aus der Feder des Literaturwissenschaftlers, der zuletzt an am Pomona College im kalifornischen Claremont kreatives Schreiben unterrichtete.

Dort, in seinem Haus, fand ihn am Freitagabend seine Ehefrau Karen Green, die der Polizei laut US-Medienberichten mitteilte, der 46-Jährige habe sich erhängt.

"Er war einer der einflussreichsten und innovativsten Schriftsteller der vergangenen 20 Jahre", sagte David Ulin, Literaturexperte der "Los Angeles Times", in seinem Nachruf, und auch die "New York Times" nannte Wallace einen der "einflussreichsten Autoren seiner Generation". Zuletzt hatte der nach eigener Aussage langsam und bedächtig schreibende Schriftsteller einen Band mit Erzählungen veröffentlicht, der 2006 auf Deutsch unter dem Titel "In alter Vertrautheit" erschien.

Wallaces Thema war die Suche moderner Menschen nach Zugehörigkeit, Lebensinhalt und Kommunikation. Mit den Mitteln der Ironie und Absurdität und viel Sinn für den Jargon des Alltags versuchte der brilliante Stilist, das Dauerfeuer aus Informationen und Soundbites, das zu jeder Zeit aus Fernsehen, Radio und Internet auf die Menschen niederprasselt, zu durchbrechen, indem er es in seiner ganzen Bedeutungslosigkeit darstellte. "Ich arbeite sehr langsam, Zeile für Zeile, und am Ende will ich, dass es sich eher so anhört, wie jemand denkt, und nicht so sehr, wie jemand spricht. Das macht es manchmal schwer zu lesen. Und noch schwerer zu übersetzen", sagte Wallace der "Zeit".

Vielleicht ist sein Opus Magnum, der im englischen Original rund 1000 Seiten starke Roman "Infinite Jest", der 1996 erschien, deshalb bis heute nicht auf Deutsch veröffentlicht worden. Der mit der Übertragung ins Deutsche beauftragte Übersetzer Ulrich Blumenbach sagte dem SPIEGEL schon 2004, dass er neun bis zehn Monate im Jahr an dem Wallace-Werk sitze. Im Herbst dieses Jahres soll der Band endlich erscheinen.

Inhaltlich ist der Roman, der in der näheren Zukunft Amerikas spielt, schwer einzufangen. Es geht eigentlich um den Studenten einer Tennisakademie bei Boston, der sich mit den großen Fragen des Lebens auseinandersetzt. Parallel wird die kathartische Geschichte des Ex-Junkies Don Gately erzählt, der sich ein paar Meilen von der Uni entfernt in einem Rehabilitationszentrum aufhält. Amerika zwischen Elite-Training und totalem Absturz. Aber es kommt auch eine im Rollstuhl sitzende Terroristentruppe aus Kanada vor. Und, als zentrales Mysterium, ein Film namens "Infinte Jest", der so süchtig macht, dass er den Zuschauer in eine selige Trance versetzt und alles andere vergessen lässt.

Lesbar nur dank Humor und Ironie

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nannte das Buch 2002 eine "Enzyklopädie der westlichen Zivilisation, eine (...) Tour de Force durch die Abgründe einer von tödlichen Süchten zerfressenen Menschheit". Anders als Don De Lillo und andere Postmodernisten würzt David Foster Wallace seine bandwurmartig verschachtelten Satzkonvolute und seine im Grunde pessimistischen Visionen einer sich selbst zu Tode quasselnden Gesellschaft mit so viel Sprachwitz und Humor, dass das Lesen der vor Fachbegriffen, Details und Ausschweifungen schier berstenden Prosa einigermaßen erträglich bleibt. Für "Infinite Jest" braucht man dennoch zwei Lesezeichen, denn ein Großteil der Handlung spielt sich in den ausführlichen, mehr als 100 Seiten langen Fußnoten des Romans ab.

Auf Deutsch erschienen unter anderem der Erzählband "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" (2001) und Wallace' erster Roman, "Der Besen im System" (1987 in den USA veröffentlicht).

Zu den bekanntesten Werken des Autors gehört die Reportage "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich" von 1997 (in Deutschland 2003), die in den USA eine Art Mini-Bestseller wurde.

Für seine nautischen und gruppenpsychologischen Recherchen hatte sich Wallace auf eine siebentägige Luxuskreuzfahrt in die Karibik begeben - und schilderte mit haarsträubender Komik seine Erlebnisse. Auch dieses Werk, eine fundamentale Kritik am Zusammenleben der Menschen in moderner Zeit, entzog sich einer eindeutigen Einordnung: "...für eine ethnologische Feldstudie ist das Werk zu schrecklich amüsant, für eine Reportage zu schnoddrig, für eine Satire zu lang", urteilte die "Stuttgarter Zeitung".

Am Ende, so scheint es, ist selbst ein hellsichtiger und wortgewaltiger Autor wie David Foster Wallace an der Vielschichtigkeit, der dröhnenden Bedeutungslosigkeit moderner Kommunikation und dem Streben nach einer Literatur, die im medialen Gewitter überlebt und neue Formen findet, gescheitert.

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