Kurzeck-Hörbuch Meister der Alltagssensationen
Der Schriftsteller Peter Kurzeck ist der größte Alltagsverzauberer, den die deutsche Gegenwartsliteratur zurzeit vorweisen kann. Wer ihm einmal bei einer seiner Lesungen zugehört hat, wer mit seinem im vergangenen Jahr erschienenen, frei gesprochenen Hörbuch "Ein Sommer, der bleibt", in dem Kurzeck von seiner Kindheit im oberhessischen Staufenberg in unglaublichen Sätzen erzählt, infiziert worden ist - der wird nicht nur bei der künftigen Lektüre von Kurzecks Romanen diesen unverwechselbaren Tonfall, diesen rhythmisierten Märchenton mit der Stimmhebung am Ende eines jeden Satzes im Kopf haben.
Wer anfällig ist für diese Art von Beschwörung, wird die ganze Welt durch den Filter der Kurzeckschen Satzmelodie betrachten. "Die Welt bekommt seinen Tonfall", schrieb der Schriftsteller Andreas Maier einmal.
Nun ist Kurzecks jüngster Roman "Oktober und wer wir selbst sind" in einer vom Saarländischen Rundfunk produzierten Komplettfassung erschienen: sieben CDs mit acht Stunden Peter Kurzeck, mit acht Stunden also im unverwechselbar rhythmisierten Märchenton.
Das Projekt, das der manische Erinnerer und Geschichtenerzähler Kurzeck mit "Oktober und wer wir selbst sind" fortschreibt, ist einzigartig. Es ist der vierte Teil eines Zyklus, über den geraunt wird, er sei auf sieben, neun oder gar zwölf Bände angelegt - möglicherweise weiß Kurzeck, der seine eigenen Texte immer wieder und wieder abschreibt und streicht, bis sie richtig klingen, das selbst noch nicht genau.
"Ich kann mir nicht vorstellen, Bücher zu schreiben, die im Niemandsland spielen", sagt Peter Kurzeck. Die Stadt Frankfurt am Main ist zum großen Teil die Bühne, auf denen sich alles ereignet, das gesamte Kurzeck-Universum. Ein Fehler wäre es, Kurzeck deswegen mit einem Heimatdichter zu verwechseln.
Erkennbar wird, dass hier ein melancholischer Protokollant der fortschreitenden Weltentzauberung am Werk ist, der in seinen Sätzen die Magie wiederherstellt, in den Worten, im Klang, in jeder Silbe: "In Deutschland, sagte ich, seit der Krieg vorbei ist, unentwegt Lärm. Baustellen. Überall Baustellen. Nicht gleich nach dem Krieg, da waren sie noch zu erschöpft, aber spätestens seit der Währungsreform. Als hätten sie den Krieg, den totalen Krieg in den Köpfen gegen sich selbst weitergeführt und hören nicht auf zu bauen. ( ) Und in allen Stadtteilen die Gehsteige neu gepflastert. Mit diesen widerwärtigen Hundeknochensteinen. ( ) Wahrscheinlich in zehn oder hundert Jahren wird man darauf kommen, dass sie Steinstaub absondern. Krebserregend, einen Staub, der sich aufs Gemüt, der sich schwer auf die Lungen legt und auf das ganze Land."
Die Ausgangsposition von "Oktober und wer wir selbst sind" wird in den ersten zehn Zeilen erzählt: "Das Jahr 1983. Im Juni vierzig geworden und fristgerecht meine Arbeit verloren, eine unersetzliche Halbtagsstelle in einem Antiquariat, und mit meinem dritten Buch angefangen." Mehr nicht; mehr braucht es vorerst nicht.
Es ist ein ganz unverhohlen autobiografisches Projekt, an dem Peter Kurzeck schreibt. Geradezu panisch hält er die Bilder fest, aus Angst, sie für immer verlieren zu können, "sie finden, sehen, benennen, berühren sogar! Immer wieder berühren!" Einzelheiten, Kleinigkeiten, Alltagssensationen. Anschauen, protokollieren, sich freuen und staunen. Das ist der Kurzeck'sche Grundton - der des Sichwunderns, des Bestaunens, immer wieder aufs Neue. "Alles, was ich jeden Tag angucke, was ich sehe, anfasse, rieche, schmecke, ist wichtig. Wäre ich nur aus logischen Gründen auf der Welt, würde sich das nicht lohnen", sagt Peter Kurzeck.
"Erzähl, Peta, erzähl!", das ist die Aufforderung von Carina, der Tochter. Und der Vater erzählt, weil er nicht anders kann, zu unserem Glück. Wunderschöne Sätze sind dabei entstanden, von einer Klarheit und einer Zärtlichkeit, die manchmal fassungslos macht: "Wieder Herbst. Herbst, Nacht, Oktober und auf dem Dachboden fängt sich der Wind. Oktober und wer wir selbst sind. Neun Jahre mit Sibylle. Ein Kind und mein drittes Buch angefangen. Nachts hört man Züge fahren. Oktober und dass wir jetzt hier sind, sagst du dir. Zum Verwundern. Und mit einem jähen schmerzhaften Stich (das spürst du am Herz): Dass nichts bleibt und wir auch nicht!" So nahe kommen sich das, was ist, und das, was Literatur ist, selten. Erzähl weiter, Peta.
Hörbuch Peter Kurzeck: "Oktober und wer wir selbst sind" . Stroemfeld Verlag, Frankfurt/Main; 7 CDs, 42 Euro.