Literaturnobelpreis Deckname Harry Potter

Der Name eines künftigen Literaturnobelpreisträgers ist so geheim, dass sich die Mitglieder der Stockholmer Akademie geheimdienstähnlicher Methoden bedienen. Sie geben den Kandidaten Decknamen, damit niemand die Verhandlungen ausspionieren kann.

Stockholm - Der letzte Nobelpreisträger hieß Harry Potter - zumindest bis die Mitglieder der Akademie den richtigen Namen, Harold Pinter, preisgaben. Das verriet der Akademie-Sekretär Horace Engdahl in einem Interview mit der Tageszeitung "Dagens Nyheter". Es sagte, dass sich die Juroren immer mehr wie Geheimagenten verhalten müssten.

Engdahl hat sich dafür raffinierte Methoden ausgedacht: Er benutzt öfter andere Umschläge für Bücher, die er gerade liest, um Spekulanten auf eine falsche Fährte zu führen. Sein Stellvertreter, Per Wästberg, ist da weniger subtil: Auf die Frage, ob seine Nachttischlektüre auf einen Nobelanwärter hinweise, nickte er mit sorgenvoller Mine. Auch in E-Mails dürfen die Juroren keinen Anhaltspunkt über die richtigen Namen liefern und die Kandidatenlisten werden selbstverständlich nach den Sitzungen verbrannt. Natürlich plaudern die Akademiemitglieder auch in ihrem Stammrestaurant, "Den Gyldne Freden" nicht einfach über die Preisanwärter, sondern benutzen Decknamen.

Als ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie verkündet Engdahl jedes Jahr den Namen des Nobelpreisträgers für Literatur. Seitdem er diese Funktion übernommen hat, achtet er penibel darauf, dass vorab keine Informationen an die Öffentlichkeit geraten. Seine Vergangenheit kommt ihm da zugute: Als Soldat wurde Engdahl in Verhörtechniken ausgebildet - dies nutze ihm heute, um geschwätzigen Juroren auf die Schliche zu kommen. Seine Methoden scheinen effizient zu sein, denn in den vergangenen zwei Jahren hatten die Nobelpreisträger Elfriede Jelinek (2004) und Harold Pinter (2005) für große Überraschung gesorgt. "Ich glaube, wir halten jetzt dicht. Früher hat die Akademie ja geleckt wie ein Sieb."

Engdahl ist seit 1999 ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie, nachdem er erst zwei Jahre zuvor als Mitglied gewählt worden war. Er löste damit seinen Vorgänger Sture Allén ab. Bevor der Literaturwissenschaftler 2004 eine Professur für skandinavische Literatur an der dänischen Universität Aarhus antrat, hatte er Kritiken für "Dagens Nyheter" geschrieben. Es wird erwartet, dass Engdahl am kommenden Donnerstag wieder vor die Presse tritt, um den diesjährigen Nobelpreisträger zu verkünden. Als Favoriten gelten unter anderem der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk, der polnische Publizist Ryszard Kapuscinski, der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer und der amerikanische Autor Philip Roth.

amg/dpa

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