Neuer "Lucky Luke"-Band Black Power im Baumwollfeld

Revolverhelden gegen Rassismus: Lucky Luke und Bass Reeves
So böse war noch kein "Lucky Luke"-Abenteuer. Im 99. Band der Reihe kommt der Lonesome Cowboy nach Louisiana, wo die weißen Plantagenbesitzer nach dem Bürgerkrieg die Schwarzen auch weiterhin wie Nutzvieh behandeln und die eigenen, vom Nichtstun degenerierten Körper unter Ku-Klux-Klan-Kappen verstecken, um vor angezündeten Kreuzen von der Überlegenheit der eigenen "Rasse" zu schwadronieren.
Auch nicht sympathisch: Während man mittags Hummer speist, sinniert man darüber, wie man zum Nachtisch die Dienerschaft auspeitschen lassen will.
Lucky Luke sucht den alten Süden auf, weil ihm eine Bewunderin seines viel besungenen Heldendaseins eine Baumwollplantage hinterlassen hat. 400 Schwarze arbeiten dort, als Herrenhaus dient ein Palast im neohellenistischen Stil. Der Cowboy fremdelt mit dem Prunk, immerhin reitet er mit dem befreundeten schwarzen Marshal Bass Reeves in dieses lustvoll ausgesponnene "Vom Winde verweht"-Endzeitambiente. So viel dürfen wir verraten: Die schwarz-weiße Kampfeinheit von Lucky und Bass wird mit den Rassisten aufräumen.
Inszestuöse irische Brut
Die weißen Südstaaten-Familien tragen Namen wie Flaherty und Glenroy, sie dozieren über die Gefahr von "Mischehen" und werden als dekadente, inszestuöse irische Brut dargestellt. Das ist ein starker Bruch, den sich der aktuelle Zeichner Hervé Darmenton (Achdé) und der aktuelle Autor Julien Lucien Berjeaut (Jul) da im Kosmos von Lucky Luke leisten.

Sie reiten und kämpfen zusammen: Szenen mit Lucky Luke und seinem Freund Bass Reeves
Foto: Egmont Ehapa Media/ egmont.deDenn es waren ja immer die breitbrustigen, rotschopfigen und streitfreudigen Kerle mit irischen Namen, die den Wilden Westen, so wie wir ihn aus früheren Erzählungen des Lucky-Luke-Erfinders Morris kannten, voranbrachten – die Postkutschenpferde mit Flüchen durch gefährlichste Indianergebiete vorantrieben, die Telegrafenmasten wacker in widrigsten Witterungen setzten und die stets im letzten Augenblick zur Rettung von Siedlertrecks mit der Kavallerie einritten. Für die meisten seiner frühen Alben, mit denen Morris (zeitweise zusammen mit seinem Partner, dem Autor René Goscinny) den Ruhm seines Helden aufbaute, hatte er sich an den Western von John Ford orientiert, des legendären irischstämmigen Regieraufbolds, der seine formvollendeten Frontier-Epen vor allem mit irischstämmigen Raufbolden bevölkerte.
So gesehen markiert das irisch gefärbte "Vom Winde verweht"-Untergangstableau, das Achdé und Jul nun entwerfen, einen wichtigen Zeitenwechsel im Lucky-Luke-Kosmos: Die Zeit der Diversität ist angebrochen.
Lucky Luke war immer ein feiner Kerl, doch obwohl er bei seinen Abenteuern ordentlich rumgekommen ist, war ihm echtes Interesse an anderen Kulturen die meiste Zeit fremd. Er ließ die Indianer trommeln und radebrechen, beobachtete drollige Afroamerikaner belustigt aus dem Augenwinkeln, wenn er mal mit dem Dampfer auf dem Mississippi unterwegs war, und er ritt meist gleichmütig an Mexikanern vorbei, die gesichts- und geschichtslos unter ihren Sombreros dösten.
Black Power und Cajun-Küche
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, wie es Achdé und Jul nun gelingt, den Wilden Westen glaubhaft als multikulturellen Erlebnisraum zu inszenieren. Der schwarze Gesetzeshüter Bass Reeves, eine historisch verbürgte Figur, spricht die Sprache der Cherokee und Seminolen. In einem Nebenstrang lernen die Daltons in den Sümpfen von Louisiana die Vor- und Nachteile der französisch geprägten Cajun-Küche kennen.
Aber vor allem sieht sich Lucky Luke als unfreiwilliger Erbe der ehemaligen Sklavenplantage mit dem Rassismus konfrontiert, dem die Afroamerikaner ausgesetzt sind und dem sie sich jetzt entgegenstellen. Eine Figur erinnert an die schwarze Aktivistin Angela Davis, eine andere an Barack Obama. Es werden verschiedene Formen des Widerstands und der Selbstermächtigung gezeigt.
Lucky Luke 99: Fackeln im Baumwollfeld
Preisabfragezeitpunkt
02.04.2023 14.28 Uhr
Keine Gewähr
Erstaunlich, wie spannend, witzig und detailgenau Achdé und Jul diese Black-Lives-Matter-Erweiterung des alten weißen Western-Soziotops ausschmücken. Dabei ist der Bruch mit dem frankobelgischen Lucky-Luke-Urvater Morris und dessen irischem Vorbild John Ford vielleicht gar nicht so groß. Schon Ford selbst hatte ja das enge Figurenensemble seiner frühen Postkutschen-, Siedler- und Armee-Filme in späteren Jahren glaubhaft erweitert und empathisch aus den Perspektiven von schwarzen Sergeants und siechenden Ureinwohnern erzählt.
So wirft "Fackeln im Baumwollfeld" auch ein interessantes Schlaglicht auf die Debatte über die sogenannte Cancel Culture, die sich unter anderem auch um den hier zitierten Klassiker "Vom Winde verweht" drehte : Warum eine starke Figur mit historischen Schwachstellen abwickeln, wenn man sie in einem neuen Kontext umso wahrhaftiger strahlen lassen kann. Lucky Luke darf gern noch ein paar weitere Jahrzehnte in den Sonnenuntergang reiten.