Russlandexpert:in und Putin-Biograf:in Masha Gessen verlässt PEN-Vorstand wegen Absage einer Diskussion mit russischen Dissidenten

Masha Gessen bei der Leipziger Buchmesse (2019): Verständnis für den Wunsch der ukrainischen Teilnehmer
Foto: STAR-MEDIA / IMAGOMasha Gessen ist als Vizepräsident:in im Vorstand des Schriftstellerverband PEN America zurückgetreten. Gessen begründete den Rücktritt damit, nicht einverstanden zu sein mit der Absage einer Veranstaltung mit russischen Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern. PEN, kurz für »Poets, Essayists, Novelists«, setzt sich für Literatur und die Freiheit der Meinungsäußerung ein.
Vom 10. bis 13. Mai hatte PEN America sein jährliches World Voices Festival veranstaltet. Der Kongress, der 2004 unter anderem von Salman Rushdie gegründet wurde, versammelt auf Dutzenden Veranstaltungen internationale Autorinnen und Autoren. An einer Gesprächsrunde, moderiert von Gessen, hätten auch zwei russische Dissidenten teilnehmen sollen. Bei einer anderen Diskussionsveranstaltung sollten die ukrainischen Autoren Artem Chapeye und Artem Chekh sprechen, die beide im Militär ihres Landes aktiv am Krieg teilnehmen.

Gessen beim Sundance Festival: »Seltsam und traurig«
Foto: Ernesto Distefano / Getty ImagesIn einer ausführlichen Stellungnahme erklärte der PEN, dass ein »Missverständnis« zur Ausladung des Russen und der Russin geführt habe. Wegen der Invasion 2022 hätten die Ukrainer Einspruch eingelegt gegen die Teilnahme jeglicher russischer Diskutanten. Die PEN-Organisatoren hatten angenommen, diese Bedingung bezöge sich nur auf die eigene Veranstaltung. Tatsächlich hätten Chapeye und Chekh aber eine Teilnahme von Russen am gesamten Festival abgelehnt. Da man keinen Kompromiss habe erreichen können, sagte der PEN die Runde mit russischer Beteiligung ab.
»Sie (die Ukrainer) informierten uns, dass es ihnen sonst unmöglich wäre teilzunehmen. Sie erklärten, wenn beide Veranstaltungen stattfänden, hätten sie negative Konsequenz bei ihrer Rückkehr zu befürchten«, hieß es im Statement des Verbands. »Angesichts der Konsequenzen unseres Fehlers und ohne einen guten Ausweg, haben wir entschieden, dass die Veranstaltung mit den ukrainischen Gästen stattfinden soll«, fuhr der PEN fort. Man habe die Umstände und Risiken, die sie als Soldaten hätten, ebenso in Betracht gezogen wie ihre lange Anreise und das Missverständnis, zu dem der Verband beigetragen habe.
Masha Gessen identifiziert sich als nicht-binär. Gessen zählt zu den schärfsten Kritiker:innen Wladimir Putins im intellektuellen Spektrum der USA. Für das Russland-Buch »Die Zukunft ist Geschichte« erhielt Gessen den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Die Entscheidung des PEN ist für Gessen ein Verrat an seinen eigenen Prinzipien. Der PEN hätte nicht tolerieren dürfen, dass Gäste nicht sprechen dürfen, »weil jemand anderes das nicht will«.
Gessen will allerdings Mitglied des PEN bleiben und weiterhin an einem Journalismusprojekt arbeiten, das der Verband im April angestoßen hatte. Das Russian Independent Media Archive sammelt historische Medienveröffentlichungen aus Russland, die verloren zu gehen drohten. An der jährlichen Gala des PEN am Donnerstag in New York will Gessen allerdings nicht teilnehmen. »Es würde sich seltsam und traurig anfühlen hinzugehen«, sagte Masha Gessen der Agentur Associated Press.