Maxim Biller Der deutsche Deutsche in Deutschland

Eine nervige Lektüre: Der neue Sammelband "Deutschbuch" von Maxim Biller strotzt vor Klischees - und stellt doch die richtigen Fragen. Manchmal zumindest...
Von Jörg Schallenberg

Welche Themen ihn beschäftigen, hat Maxim Biller einmal so formuliert: "Jedes Mal, wenn ein deutscher Schriftsteller von mir wissen will, wieso ich immer nur von Juden erzähle, frage ich ihn, statt ihm eine Antwort zu geben, warum sich in seinen Büchern ständig alles um Deutsche dreht."

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, denn in Billers Kolumnen und essayistischen Reportagen geht es um Juden, um deutsche Juden, jüdische Deutsche, vor allem aber um deutsche Deutsche in Deutschland. Es ist daher nicht besonders originell, aber sehr passend, dass ein Buch, das Texte von Biller aus den letzten Jahren zusammenfasst, "Deutschbuch" heißt. Und das nicht nur wegen der Inhalte, sondern auch wegen der Haltung, mit der Maxim Biller, Schriftsteller, Journalist und einstiger Kolumnist bei "Tempo" und "Zeit", seine Gedanken über und seine tiefe Abneigung gegenüber Ernst Jünger, Bärbel Schäfer und Ignatz Bubis zu Papier bringt.

Denn Biller gibt stets den penetranten Oberlehrer, der immer einen Schritt voraus ist, eigentlich alles schon vorher und besser weiß als sein Gegenüber, sei es nun der Autor Henryk M. Broder oder Franz Wechsler, Bürgermeister von Ernst Jüngers Heimatdorf Wilflingen in der Schwäbischen Alb. Wenn Biller es nicht besser weiß, dann hat er zumindest schon etwas geahnt, was nur noch bestätigt werden muss. Wendungen wie "Da dachte ich endlich, was ich bis dahin nur gespürt hatte" oder "Als er anfing zu reden, wusste ich, dass ich Recht hatte" finden sich in fast jedem Text des "Deutschbuchs".

Es passt zu dieser allwissenden Vorgehensweise, dass es bei Maxim Biller nie um Details, sondern immer um das große Ganze geht: die Welt, die Juden, die Deutschen. Und natürlich um ihn selbst, denn er ist immer ein Teil seiner Geschichten. In "Deutscher wider Willen", wohl dem zentralen Essay des Buches, hat Biller, der 1970 mit seinen Eltern aus Prag nach Westdeutschland kam, seine Position genau beschrieben: "Ich, der andere, schaue in den Spiegel , aber ich sehe nur mich selbst, und so schaue ich die Deutschen an, um etwas zu begreifen, und natürlich betrachte ich nicht irgendwelche abstrakten, längst historisierten Wesen der Nazizeit, sondern Menschen von heute, Menschen, mit denen ich lebe und arbeite. Ich speichere also meinen Computer mit allen Erlebnissen, Gesprächen, Erfahrungen, Beobachtungen, die ich in den vergangenen dreißig Jahren in diesem Land hatte, ich mache mir meinen Modell-Deutschen, ich leiste mir den Luxus der wahrheitsspendenden Generalisierung und - kriege das Kotzen."

Diese Übelkeit, verbunden mit Übellaunigkeit, zieht sich dann auch durch das ganze Buch. Ein Kritiker des Wiener "Standard" hat einmal geschrieben: "Biller liebt nicht den leichten Degen, er bevorzugt den Säbel". Zwar sind diese kriegerischen Vergleiche bei Schreibern eher fehl am Platze, aber der Vergleich trifft zumindest insofern zu, dass Biller, wenn er dazwischen haut, oft die Falschen trifft und seine "wahrheitsspendende Generalisierung" immer wieder zum Klischee gerät.

Wenn man aber von all dem und dazu noch vom manchmal umständlichen Stil des Autors genervt genug ist - dann wundert man sich bei der Lektüre des "Deutschbuchs" umso mehr, wenn man auf die Treffer stößt, die Biller landet. Denn in diesen Momenten geht er tiefer als fast alle seiner Berufskollegen hier zu Lande. Dann wundert er sich zu Recht über die verblüffende, persönliche und familiäre Geschichtslosigkeit vieler jüngerer Deutscher, sucht vergeblich jene deutschen Nachkriegsliteraten, die ihre Rolle als Akteure, als Mitbeteiligte eines Angriffskrieges tatsächlich in ihrem Werk reflektiert haben, und staunt fassungslos über all die deutschen Intellektuellen, die sich gegen eine emotionale Beschäftigung mit dem Holocaust wehren und am liebsten alles hinter abstrakten Zahlen, Fakten und nun Denkmälern verschwinden lassen wollen.

Weil außer Biller kaum jemand diese Perspektive einnimmt, ist das "Deutschbuch" also wichtig, und deshalb kann man auch den Wust an selbstherrlichen Verallgemeinerungen ertragen - und nachvollziehen: Es handelt sich um Experimente, und die beschreiben nur den Weg des Autors, ans Ziel zu kommen.

Maxim Biller: "Deutschbuch" (DTV München 2001); 333 Seiten; 24,50 Mark

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