SPIEGEL Bestseller – Mehr Lesen mit Elke Heidenreich »Nach dem Urlaub stelle ich Fangfragen!«
Elke Heidenreich, Autorin und Buchkritikerin
Ich habe heute eine schlechte und eine gute Nachricht für Sie. Die schlechte zuerst: Ich werde jetzt mal zwei Monate Pause machen. Im Juli und August sitze ich nicht hier und sage Ihnen, wo es lang geht. Da sitze ich zu Hause und lese die 100.000 Bücher, die im Herbst neu erscheinen, um Ihnen dann ab Anfang September wieder sagen zu können, was Sie lesen sollen.
Und die gute Nachricht ist: Ich habe jetzt meinen Schreibtisch und meinen Bücherschrank mal ein bisschen aufgeräumt und habe vier Bücher rausgesucht, die Sie mit in den Urlaub nehmen können. Und die können Sie lesen auf ihrer langweiligen Liege, an Ihrem langweiligen Strand oder an Ihrem langweiligen See oder auf Ihren langweiligen Bergwiesen. Und diese vier Bücher stelle ich Ihnen jetzt vor. Das ist so richtig das, was man in den Ferien lesen möchte, sollte, könnte.
Das erste ist das, was ich einen richtig guten Schmöker nenne. Lucy Fricke »Die Diplomatin«, bei Claassen erschienen. Die Diplomatin heißt Friederike Andermann, genannt Fred. Und sie wird versetzt nach Montevideo, Uruguay. Und da versemmelt sie eine Entführung so gründlich, dass man sie gleich wieder versetzt. Und diesmal nach Istanbul. Und in Istanbul versucht sie alles, was politisch möglich ist, in Sachen Menschenrechte und in Sachen Leute, die bespitzelt werden, und Journalisten, die verhaftet werden, mit allen diplomatischen Mitteln. Und sie muss sehr bald erkennen, dass Diplomatie überhaupt nichts mehr zählt. Das, was wir alle gerade in der Welt erkennen und welche Umwege die Politik geht und wie lange alles dauert und vor allem wie lächerlich die bürokratischen Hürden sind.
Und das Buch ist politisch, es ist aktuell. Es ist aber auch ein richtiger Schmöker, weil die Diplomatin verliebt sich auch mal und es ist auch sehr lustig. Es hat sehr lustige Dialoge, vor allem, wenn es um diese Bürokratie geht. Toller Schmöker. Lucy Fricke, »Die Diplomatin«.
Nach dem Schmöker jetzt Weltliteratur: Stewart O'Nan, einer der großen amerikanischen Autoren, »Ocean State«. Er schildert wie immer das Leben in einer heruntergekommenen Kleinstadt. Das kann er einfach. Das ist eine Kleinstadt in Rhode Island, die war mal industriell interessant, aber jetzt sind die Fabriken tot, die Männer saufen oder sind anderswo hingegangen, um anderswo zu arbeiten, oder haben die Familie gleich verlassen. Die Frauen ziehen mit elenden Jobs die Kinder durch, und es geht um lauter kleine Mädchen in der Pubertät und noch kleiner und eine kleine Schwester erzählt. Und gleich im ersten Satz wissen wir, wir haben es mit einem Krimi zu tun, wo sofort verraten wird, um was es geht. Der erste Satz lautet: »Als ich im achten Schuljahr war, half meine Schwester dabei, ein anderes Mädchen zu töten«.
Also, wir wissen, es geht um einen Mord. Und jetzt wird aufgedröselt, wie es dazu kam. Zwei Mädchen, Birdy und Angel, beide in der Pubertät, verlieben sich in Miles, einen schicken Jungen, der aus etwas besseren Verhältnissen kommt, wo sie auch hinwollen. Der hat ein etwas schickes Auto und etwas gediegenere Eltern. Und diese beiden Mädchen verlieben sich beide in ihn und er fängt auch mit beiden was an, weil ihm das natürlich schmeichelt. Aber Angel ist aus so hartem Holz geschnitzt, sie lässt das nicht zu und sie bringt Birdy um, letztlich auch mit seiner Hilfe.
Und das wissen wir von Anfang an, aber wie es dazu kommt, das erzählt Stewart O'Nan so gut, so feinfühlig und mit so viel Anstand auch, ohne diese Mädchen zu verurteilen, dass wir sehen, wie in einer desolaten Lebenssituation so etwas explodieren kann. Und am Ende, sie kriegt ein bisschen Jugendhaft, kommt sie dann wieder raus, als wäre ein Menschenleben nichts wert. Es ist ein erschütternder und sehr, sehr gut geschriebener Roman.
Adeline Dieudonné, »23 Uhr 12«. Adeline Dieudonné, dtv, kennen wir schon von »Das wirkliche Leben« und die weiß wirklich, wie das wirkliche Leben ist. Dies ist ein bisschen ein hartgesottener Knochen, dieses Buch, aber glänzend geschrieben. Es ist ein Roman in zwölf Geschichten, und zwar treffen um 23.12 Uhr an einer Raststätte, Autobahnraststätte, zwölf Figuren, eine Leiche und ein Pferd zusammen. Die Leiche hat es schon hinter sich. Am Ende gibt es wahrscheinlich noch eine zweite Leiche, wird so angedeutet. Und alle diese Menschen, es wird in zwölf Geschichten erzählt, warum die da nachts jetzt plötzlich tanken, rasten und was sie mitbringen. Der eine will Sex, der andere ist gerade vergewaltigt worden, einer hat irgendwelche anderen großen Probleme. Also jeder schleppt seine Geschichte mit und am Ende verbinden sich diese Geschichten zu einem Roman. Und um 23:14 ist schon nichts mehr, wie es vorher war. Großartig geschrieben, aber nicht ganz harmlos. Also das ist was für stärkere Nerven. Aber Sie können immer kleine Häppchen lesen und am nächsten Tag dann weiterlesen.
Und wer überhaupt nicht gern Romane liest, für den habe ich von Susanne Falk »Fast ein Idyll«, halb wahre Geschichten. Das sind Kurzgeschichten und halb wahr, wo ist das Buch denn eigentlich erschienen? Bei Picus... bei Picus. Halb-wahr heißt, die Figuren und ihre Lebensumstände gibt es wirklich. Marlene Dietrich, oder gab es, Marylin Monroe. Johann Sebastian Bach, Beethoven, Coco Chanel. Aber was Sie gerade erleben, ist fantasiert zu Ihren normalen Lebensumständen. Ich sage Ihnen ein Beispiel: Marilyn Monroe hatte ja ein Verhältnis mit John F. Kennedy. Und hier die Geschichte handelt davon, Sie hat auf Martha's Vineyard ein Häuschen gemietet, und er reist heimlich inkognito an, damit sie da ein Liebeswochenende verleben. Einen Tag, eine Nacht. Und als er... sie sieht ihn vom Strand hochkommen und sie ist so scharf auf ihn. Als er die Tür aufmacht, fallen sie übereinander her, haben in drei Minuten das schon hinter sich, wofür sie eigentlich gekommen sind, und sitzen dann da und wissen gar nicht, worüber sie noch reden sollen und was sie mit diesem ganzen Wochenende noch anfangen sollen. Und er geht wieder und sie heult und heult. Und so werden verschiedene Geschichten von wirklichen Menschen erzählt. Marlene Dietrich zum Beispiel kommt aus Amerika, macht in Salzburg Urlaub und nachts kalbt eine Kuh und der Bauer ist verzweifelt. Das Kalb liegt falsch, kein Tierarzt aufzutreiben. Marlene, die eigentlich ein Interview gibt, Alfred Polgar, dem Schriftsteller, geht hin, zieht mit ihren Händen das Kalb aus dieser Kuh raus und das Kalb lebt und die Kuh lebt. Und Marlene ist voller Blut und Schleim, und Alfred Polgar kotzt in die Büsche. Solche Geschichten erzählt dieses Buch. So, jetzt haben Sie genug zu lesen. Lesen Sie das schön brav. Ich stelle Fangfragen, ob Sie es auch getan haben. Und jetzt gucken wir mal, was sich auf der Bestsellerliste tut. Und wir sehen uns wieder im September.
Auf Platz zehn finden wir eine alte Bekannte wieder: »Steh away from Gretchen« von Susanne Abel schafft es nach 65 Wochen noch einmal hoch in die Top Ten. Das Buch erzählt die Geschichte einer Liebe zwischen einem afroamerikanischen GI und einer Deutschen während der Kriegszeit. Gretas Sohn Tom erfährt spät von dem Geheimnis seiner Mutter.
Drei Plätze runter auf die Neun purzelt »Der Papierpalast«, der Debütroman von Miranda Cowley Heller. Die Serienchefin von HBO hat ein Gespür für gute Geschichten – und auch ihren eigenen Roman will sie bereits zur Serie entwickeln. Es geht dabei um einen einzigen Tag im Leben von Elle Bishop, an dem sie sich zwischen ihrer Familie und einer Jugendliebe entscheiden will.
Auf der Acht landet in dieser Woche Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy. Mit »Morgen kann kommen«, dem sogenannten Frauenroman über Mut zur Veränderung. Es geht um Aufbruch und Neuanfänge und darum, wie man sie meistert. Ein How-to-Buch für alle, die kein Problem mit einem sehr pinken Cover haben.
Von der Fünf auf die Sieben rutscht diese Woche der Allgäuer Kommissar Kluftinger. Passend zur momentanen Wetterlage geht es in »Affenhitze« des Autorenduo Klüpfel und Kober um genau dieses Dilemma: Eigentlich ist es zu schwül, um vor die Tür zu gehen. Und trotzdem muss der Kommissar ermitteln. Beliebter Lesestoff für alle, die Regionalkrimis mögen.
»Was ich nie gesagt habe«, ist der Folgeroman von Listenplatz Zehn: Susanne Abel erzählt die Geschichte von »Gretchens Schicksalsfamilie« weiter und sichert sich sogleich einen weiteren Bestseller Platz. In Teil zwei der Familiensaga stößt Tom Mundart auf seine Halbgeschwister. Das Buch klettert hoch auf die Sechs.
Auf der Fünf landet noch ein alter Bekannter: Commissario Brunetti ermittelt in seinem 31. Fall, natürlich wie immer in seiner Heimatstadt Venedig. Eine Jugendfreundin bittet den Kommissar um Hilfe, und schon begibt sich dieser auf einen schmalen Grat zwischen Legalität und Loyalität. »Milde Gaben« ein routinierter Einsatz von Krimiautorin Donna Leon.
Unverändert auf der vier diese Woche: »Die Toten von Fleet Haus« von Lucinda Riley, die aus Nordirland stammende Schriftstellerin, wurde mit ihrer »Sieben Schwestern«-Reihe weltberühmt. Dieser – ihr einziger Kriminalroman – wurde postum nach ihrem Krebstod veröffentlicht. Es geht um einen Mord in einem englischen Internat und um eine junge Ermittlerin namens Jazz Hunter. Den Rest erfahren Sie beim Lesen.
Der Aufsteiger der Woche ist Heinz Strunk. Von Platz 45 auf die drei klettert sein Roman »Ein Sommer in Niendorf«. Darin begibt sich der Jurist/Schriftsteller namens Roth für eine Auszeit ins kleinbürgerliche Ostseebad Niendorf, wo er ein wichtiges Buch schreiben will. Eine Abrechnung mit seiner Familie. Dabei geht er diverse männliche Krisen durch. Eine Elendsbeschreibung, die je nach Befindlichkeit zu Sommerlektüre auch abseits der Ostsee taugt.
Weiterhin beliebt bei der Leserschaft: Bonnie Grimes gefeierter Debütroman um die kluge Chemikerin Elizabeth Scott, die sich im Amerika der Sechzigerjahre mit Erfolg in einer von Männern dominierten Welt durchsetzt. »Eine Frage der Chemie« klettert um einen Platz hoch auf die zwei.
Und die Vorwochenwochen-eins bleibt auch in dieser Woche auf dem ersten Platz: »Crescent City – wenn ein Stern erstrahlt« von Sarah J. Maas ist Teil zwei der romantischen Fantasyreihe über eine mutige junge Frau mit magischen Kräften. Was will man mehr? Natürlich eine dritte Folge. Die wird es vermutlich schon bald geben, zu finden dann ziemlich sicher auch hier auf der Bestsellerliste.