SPIEGEL Bestseller – Mehr Lesen mit Elke Heidenreich Der Feind im Spiegel?
Elke Heidenreich, Autorin und Buchkritikerin
Wissen Sie noch, was wir als Kinder immer gemalt haben? Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht. So einfach ist das. Wir sind acht Milliarden Menschen auf der Welt und acht Milliarden haben ein eigenes, ein anderes Gesicht. Sehen wir jetzt mal von eineiigen Zwillingen ab, aber die sind auch nicht immer ganz gleich.
Wie kann das sein, dass Augen, Mund und Nase diese Fläche im Gesicht, mit der wir als erstes anderen Menschen begegnen, bei jedem Menschen anders ist? Das haben sich zwei Autorinnen gefragt: Ursula März und Luzia Braun. Sie kennen sie wahrscheinlich beide als Leser. Luzia Braun war Redakteurin vom Literarischen Quartett und hat 13 Jahre lang Aspekte moderiert im ZDF. Und Ursula März erfreut uns immer noch mit Buchkritiken in der Kulturzeit auf 3sat. Und sie war lange Mitarbeiterin, Literaturkritikerin der »Zeit«. Also zwei kluge Frauen aus den Medien haben sich gefragt: Was hat es eigentlich auf sich mit dem Gesicht? Und haben ein wirklich spannendes Buch darüber gemacht. Das blendet jetzt ein bisschen. Ich versuche es so zu halten, dass sie es gut lesen können. Das Buch heißt »Sich sehen« und es hat vorne drauf so ein Silberpapier, damit sie sich selber schon auf dem Buch sehen können. Und dieses Buch enthält 19 Interviews mit Menschen zu ihrem Gesicht.
Das Gesicht ist ja die Bühne der Seele. Und auf dieser Bühne geben wir unsere Gefühle preis. Zorn, Trauer, Liebe, Schmerz, Wut, Kummer, kann man alles im Gesicht sehen. Und es stellt sich auch die Frage, was immer wieder gesagt wird, Ab 50 oder 60 sei man für sein Gesicht verantwortlich. Sind wir selbst verantwortlich? Durch was wird das Gesicht gemacht? Und das haben Sie 19 verschiedene Menschen gefragt und haben jedem einen Spiegel vorgehalten und alle hatten was zu meckern. Peter Sloterdijk, der Philosoph, hat den Spiegel gleich weggeschoben gesagt, »will ich gar nicht sehen, einer musste ja so aussehen wie ich.« Die anderen haben gesagt, och, wenn ich mich schon sehe, meine Nase ist zu groß. Oder ich habe zu viele Falten oder meine dünnen Haare. Nur einer hat gesagt, »na, det bin ich, ick seh ja jut aus! Ich habe auch viel investiert in meine Zähne!« und das war der Boxer Axel Schulz. Ausgerechnet ein Boxer ist der Einzige, der mit seinem Gesicht zufrieden ist. Sie befragen eine alte Frau, eine junge Frau, eine farbige Frau, einen Mann, der durch einen Unfall sein Gesicht verloren hat. Es ist verbrannt, man musste ihm ein neues Gesicht transplantieren. Sie reden mit Wolfgang Joop, der einiges hat machen lassen. Und überhaupt ist immer heute die Frage: Hast du was machen lassen? Und Joop sagt, warum soll man der Natur nicht nachhelfen? Aber er kritisiert auch die Dicken aufgespritzten Lippen, er nennt sie pornografische Lippen. Das finde ich einen wunderbaren Ausdruck. Und so wird aus diesen Gesprächen über das Gesicht, werden Gespräche über das Leben, über Unzufriedenheit mit sich selber, was man machen kann, was man nicht machen kann.
Peter Handke hat mal den Satz gesagt, ganz kurz und knapp: »Im Spiegel, der Feind«. Ist im Spiegel der Feind. Können wir uns aussöhnen mit unserem Gesicht? Ein wirklich spannendes Buch mit 19 Interviews zum Thema »Sich sehen«. Was macht das Gesicht mit uns in Zeiten, in denen wir unser Gesicht mehr sehen als je zuvor? In Fotos, in Selfies, in den Social-Media-Kanälen. Unentwegt werden wir mit unserem Gesicht konfrontiert und die Öffentlichkeit sieht uns öffentlichen Frauen auch beim Altern zu. Was macht das mit uns? Ein sehr spannendes, kluges Buch von zwei spannenden, klugen Frauen. Das kann ich Ihnen nur empfehlen.
Und das Zweite ist unfassbar schön. Es ist vor einer Woche auf den Markt gekommen, unsere Patti Smith. Das Buch heißt: »Ein Jahr...« und jetzt muss ich direkt gucken, wie es heißt, weil ich habe immer nur auf Patti geguckt. »Buch der Tage« heißt das, »Buch der Tage«. Und da macht sie Folgendes: 2018, Patti Smith ist, ich glaube, ungefähr zehn Jahre jünger als ich, so um die 70 oder so, ich weiß so was nie genau. Ich weiß bei mir selber nicht genau, wie alt ich bin. Also, und sie hat festgestellt, im Netz tummeln sich lauter Patti Smith. Übrigens tummeln sich im Netz auch lauter Elke Heidenreichs, die Ihnen Bücher empfehlen Es sind nicht die Richtigen. Die Richtige erkennen sie dann schon. Und Patti hat gesagt, jetzt ist sie es leid, jetzt zeigt sie, das ist Patti Smith und hat mithilfe ihrer Tochter 2018 ihren ersten Instagram Account eröffnet und ihr erstes Foto mit Bild reingesetzt. Ich schlag mal irgendwo auf. So sieht das aus. Jeden Tag ein Foto, jeden Tag ein kleiner Text. Und es sind Pattis Spaziergänge durch die Kultur muss man sagen, sie fotografiert Gräber von Freunden, Blumen, Tiere. Dinge, die sie erlebt und die ihr wichtig sind.
Und bei der Poetin und Sängerin und Performerin Patti sind das Dinge, die wir, die wir auch lieben und die uns anrühren. Und es ist ein wunderbarer Spaziergang durch ihr Leben in Zeiten, wo wir alle mit diesem Leben etwas hadern. Und ich möchte Ihnen aus dem Vorwort ein kleines Stück vorlesen: »Dieses Buch, ein Jahr und ein Tag, für alle an einem Schalttag Geborenen, ist ein dankbares Angebot, selbst in den dunkelsten Zeiten Mut zu schöpfen. Jeder Tag ist kostbar, weil wir noch atmen und uns davon berühren lassen, wie das Licht auf einen hohen Ast fällt, auf einen Arbeitstisch am Morgen oder auf den Grabstein eines verehrten Dichters. Durch die Verdrehungen der Demokratie fördern soziale Medien mitunter Grausamkeit, reaktionäre Kommentare, Fehlinformationen und Nationalismus. Aber sie können uns auch dienen. Es liegt in unseren Händen. Der Hand, die eine Botschaft verfasst. Das Haar eines Kindes glättet, den Bogen spannt und den Pfeil fliegen lässt. Hier sind meine Pfeile, die auf den Kern von gewöhnlichen Dingen zielen. Jeder versehen mit ein paar Worten bruchstückhaften Orakeln. 366 Möglichkeiten, um Hallo zu sagen. Hallo Patti. Angekommen. Wie schön. Und jetzt gucken wir auf die SPIEGEL-Bestsellerliste.
Angeblich das beste Geschenk gegen den Alltagsstress. Der Weihnachtsverkauf beginnt auf Platz zehn mit »Kommt zu nix, nix erledigt und trotzdem fertig.« Satiriker und Comedy-Autor Tommy Jaud hat sein tägliches Scheitern in Buchform gepackt. Wer wie der Autor sein eigenes größtes Hindernis ist, darf sich mit diesen Gute-Laune-Stories trösten.
Vier Plätze hoch auf die neun klettert der schwedische Erfolgsautor Jonas Jonasson. Er ist bekannt für Romane mit langen Titeln wie »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«. Der neue Roman fasst die Geschichte im Titel so zusammen »Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt.« Wie immer haben wir es mit charmanten Außenseitern zu tun. Diesmal verwandeln diese ein Wohnmobil in ein Gourmetrestaurant. Ihre Mission: Die Welt ein wenig gerechter machen.
Wo wir schon bei Weihnachtsgeschenken sind: Ende November darf offenbar auf der Bestsellerliste das Autorenduo Klüpfel und Kober nicht fehlen. Mit »Die Unverbesserlichen – Der große Coup des Monsieur Lipaire« verlassen Sie Ihren Allgäuer Kommissar Kluftinger und begeben sich mit einer dilettantischen Gaunertruppe an die Cote d'Azur. Das dürfte alles sehr pittoresk und unterhaltsam sein und reicht für den Einstieg auf Platz acht. Und wer mehr will, hier noch ein Hinweis: Der zweite Teil der Reihe wird auch schon angekündigt. Erhältlich ab kommenden Mai.
Fans von Babylon Berlin dürfen aufatmen. Es geht weiter mit der Romanserie um Kommissar Gereon Rath. Der neunte Teil spielt im Jahr 1937. Der von den Behörden für tot gehaltene Rat hat in New York den Absturz des Zeppelins Hindenburg überlebt, was seine Ehefrau Charlie in Berlin allerdings nicht weiß. Autor Volker Kutscher tischt eine Menge neuer und alter Protagonisten auf und es bleibt spannend. Ganze 592 Seiten lang. »Transatlantik« auf Platz sieben.
Beständig in der Top Ten befinden sich nach wie vor die Skizzen und Notizen vom Meister der kleinen Form, Ferdinand von Schirach. In »Nachmittage« geht es um nichts weniger als Liebe, Leben und Tod. So schmal der Erzählband, so gewichtig der Inhalt, die Vorwochen-Sieben, nun auf Platz sechs.
Um eine Liebesgeschichte aus drei Perspektiven erzählt, darum geht es bei der Reihe, um Lily, Ryle und Atlas. Mit »It starts with us – Nur noch einmal und für immer« präsentiert die amerikanische Bestsellerautorin Colleen Hoover nun den zweiten Teil des Beziehungsdramas diese Woche auf der Fünf. Und keine Sorge, Teil drei wird mit Sicherheit folgen.
Zwei Plätze hoch, auf die vier klettert Bestseller-Grande-Dame Charlotte Link. Im jüngsten Krimi der Frankfurterin muss Ermittlerin Kate Linville will den Mord an einer jungen Frau aufklären, die tot in ihrem eingeschneiten Auto mitten im Nirgendwo im Nordosten Englands aufgefunden wird. Der Verlag verspricht einen sogenannten »Pageturner« und die wohl produktivste deutsche Autorin liefert mit »Einsame Nacht« souverän.
Schon ganze 34 Wochen hält sich der Erstlingsroman der Amerikanerin Bonnie Garmus wacker auf dieser Liste. Ihr Erfolgsrezept: Eine kluge Geschichte, um eine ebenso kluge Frau. Mit welchen Mitteln die Chemikerin Elizabeth Zott im Amerika der Sechziger Jahre gegen das Patriarchat kämpft, nachzulesen in eine »Frage der Chemie«. Diese Woche auf Platz drei.
Und es geht »Zur See« auf der Zwei. Die Husumerin Dörte Hansen schreibt die Geschichte der Familie Sander, die seit fast 300 Jahren auf einer kleinen Nordseeinsel lebt. Doch im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie von Grund auf. Wie die Gemeinschaft der Inselmenschen und Seefahrer zunehmend zerfällt, das erzählt die Bestsellerautorin und beschreibt zugleich, warum die Insel für uns immer noch ein Sehnsuchtsort ist.
Wie es ist, wenn man sich selbst nicht mehr trauen kann. Darum geht es im neuen Psychothriller von Bestsellerautor Sebastian Fitzek. Und wie immer geht es auch in dieser Kriminalgeschichte düster und verzwickt zu. Die Mimik-Resonanz-Expertin Hanna Herbst leidet nach einer OP unter Gedächtnisverlust, als sie mit einem brutalen Fall konfrontiert wird. Sie soll anhand eines Geständnis-Videos eine Mörderin überführen. Das Problem: Die Frau in dem Video ist Hanna selbst. »Mimik« wie schon in der Vorwoche weiterhin auf Platz eins.