SPIEGEL Bestseller – Mehr Lesen mit Elke Heidenreich Damals American Psycho, heute Austrian Psycho
Elke Heidenreich
Ich will Ihnen ja immer ein älteres und ein neues Buch vorstellen, damit man die Älteren auch nicht vergisst. Das Ältere, mit dem fange ich heute mal an, ist 30 Jahre alt, ist erschienen 1991 in den USA, war sofort sehr umstritten, kam dann 1995 nach Deutschland in den Kiepenheuer & Witsch Verlag und sofort auf den Index. Es durfte nicht verkauft werden. Kiepenheuer & Witsch hat dagegen geklagt, das hat sich hingezogen, aber 2001 konnte das Buch dann auch bei uns ohne Probleme erscheinen und es löste gewaltige Kontroversen aus.
Und zwar handelt es sich um Bret Easton Ellis' »American Psycho«, heute schon fast ein Klassiker. Ich habe hier nur noch die Taschenbuchausgabe. Das andere habe ich verliehen und wie immer nicht zurückgekriegt und habe mir dann die Taschenbuchausgabe besorgt. Ich habe damals an einigen Stellen in diesem Buch nicht weiterlesen können, weil es so grausam war. Ich musste ein paar Szenen überblättern, es war so sadistisch, es ging mörderisch und kannibalistisch zu und ich muss irgendwie nicht wissen, wie man eine vorher gequälte Frau in Einzelteile mit der Kettensäge zerlegt, um sie aufessen zu können.
Das Buch war gruselig und trotzdem atemberaubend, obwohl ich nicht alle Seiten wirklich lesen konnte. Ich hatte so was noch nie gesehen und ich habe es unerschrocken gegen vehemente Kritik verteidigt, weil es trotzdem ein großartiges Buch ist. Es geht um einen flotten New Yorker Investmentbanker namens Patrick Bateman, der auch selbst erzählt. Und er jongliert täglich an der Wall Street im Sekundentakt mit Millionen und Milliardensummen. Und das macht etwas mit ihm. Seine ganze Welt besteht nur noch aus Äußerlichkeiten. Teures Apartment, teuerste Klamotten, alles Markenware natürlich, angesagteste Clubs. Alles ist Oberfläche und darunter finsterste Leere, die er irgendwann mit Gewalt, sadistischen Exzessen, mit immer mehr Drogen bis hin zum Mord füllt. Kompensation nennt man das, einen Albtraum. Und doch, mir schien das alles möglich und konsequent überdacht. Das sind die Perversionen des Turbokapitalismus, die so was mit Menschen machen, die alle Werte zerstören, bis nur noch schiere Oberfläche bleibt.
Und dann habe ich jetzt neu gelesen Elias Hirschl >>Salonfähig<<. Das ist bei Zsolnay erschienen. Längst nicht so brutal. Kein Sadismus, aber die nächste Generation, die nur noch Oberfläche ist. Ich nenne sie die Slim-Fit-Generation. Ich habe beim Lesen immer nur Sebastian Kurz vor mir gehabt. In seinen knappen Anzügen. Und genau der scheint auch gemeint zu sein. Der ist der Protagonist der Generation Slim Fit. Wir sind in Österreich. Wir haben es mit einem namenlosen Mann zu tun, aus dem Gefolge des smarten jungen, jüngsten Kanzlers aller Zeiten. Er könnte sein Double sein. Er kämmt sich wie sein Vorbild, Haare schön zurück und gegelt. Er trägt dieselben Anzüge, dieselben Hemden, Krawatten. Er übt vor dem Spiegel, so zu lachen und zu reden wie Julius Varga, so heißt der Typ im Buch, der Parteichef der Jungen Mitte. Und er perfektioniert sein Auftreten bis zur Unkenntlichkeit, bis alles nur noch Fassade ist. Und, sagt der Autor Elias Hirschl, einer von diesen ganz jungen Autoren, die sind neuerdings alle in den neunziger Jahren geboren, in einem Interview »es fehlt eigentlich nur noch auf der Krawatte das Sponsorenlogo.«
Der Ich-Erzähler hat eine wichtige Funktion in der Partei, sehr wichtig, er sortiert die Post der Jungen Mitte Ottakring, also ein Scheiß und er gießt die Blumen des Parteivorsitzenden in dessen riesigem teurem Apartment. Und er ist da so oft, dass er langsam selber fantasiert, es wäre sein Apartment und außerdem hat er eine Rhetorik-Trainerin, die ihm auch geraten hat: »Suche dein Idol, finde dein Idol, werde dein Idol.« Ja, und imitier dann dein Idol so lange, bis von dir nichts mehr übrig ist und du sein Verhalten perfekt kopiert hast. Wir erleben hier, dass nicht etwa politisch ambitionierte, interessierte und gebildete Menschen in die Politik gehen, sondern Phrasendrescher mit der Kunst, nichtssagender Rhetorik, perfekten Stylings und eingeübten Gesten. Und auch hier, wie bei Bret Easton Ellis, Marken zählen. Wer die falschen Socken trägt, ist schon gleich raus. Und auch hier gehört dazu, das exzessiv dauergekokst wird. Realität ist nur noch im Ansatz vorhanden. Es wird nicht gemordet, aber es wird betrogen, missachtet und über verhungernde Menschen oder ertrinkende Flüchtlinge wird so geredet, als spreche man über die Steuererklärung.
Und das ganze Buch lässt schaudern vor toxischer Männlichkeit, leeren Hirnen und verrotteten Machtstrukturen. Es liest sich leichter als Easton Elis, weil es letztlich mehr Satire ist. Eine glänzende Satire, die zeigt, was von politischen Menschen übrigbleibt, wenn man den Menschen quasi herausschält und nur noch die rhetorische und modische Hülle hinstellt. Keine Emotionen, keine Menschlichkeit, unfähig zur Empathie. Bei Bret Easton Ellis in den Achtzigern. Und hier sind es die Millennials, die den Leser zutiefst erschrecken, obwohl auch unser Held bei Hirschl, immer wieder sich vornimmt, Frauen doch in erster Linie auch als Menschen mal wahrzunehmen. Ja, vielen Dank auch.
Dieses Buch ist es wirklich wert, wahrgenommen zu werden. Wir sollten es vielleicht ein paar Politikern schenken, die schauen beim Lesen in einen Spiegel. Tun sie doch eh so gerne – Karriere statt Biografie. Und dann käme Elias Hirschel damit auch mal verdient auf die Bestsellerliste. Und wer da drauf ist, das gucken wir uns jetzt an:
Ein Neueinstieg auf Platz 10: Die Bestsellerautorin Hanya Yanagihara hatte mit »Ein wenig Leben« vor sechs Jahren einen Welterfolg gelandet. Heute geht sie mit »Zum Paradies« ins Rennen. Auf knapp 1000 Seiten schreibt sie gewissermaßen drei Romane für den Preis von einem über den verlorengegangenen amerikanischen Traum. Dabei bleibt der Handlungsort immer identisch. Ein Haus am Washington Square in New York verbindet alle drei Teile.
Auf die 9 rutscht diese Woche »Stay away from Gretchen«, der Roman von Susanne Abel über die Nachrichtenmoderator Tom, der von einer unmöglichen Liebe seiner Mutter erfährt, hält sich damit nach wie vor wacker in den Top Ten.
Und mit diesem Titel schafft Entertainer und medialer Tausendsassa Jürgen von der Lippe einen direkten Einstieg auf die 8: »Sex ist wie Mehl«, heißt das Werk, und was das genau bedeutet, verrät der Komiker in, wie es heißt, Geschichten und Glossen.
Beständig bleibt auf der Bestsellerliste der Dorf- und Coronaroman der Wahlbrandenburgerin Juli Zeh. »Über Menschen«, der meistverkaufte Roman des vorigen Jahres, diese Woche auf der 7.
Abstieg von der 3 auf die 6 für »die Enkelin« von Bernhard Schlink: Nachdem er seine alkoholkranke depressive Frau plötzlich tot in der Badewanne auffindet, begibt sich Buchhändler Wettner auf Spurensuche in Ostdeutschland. Hier trifft er auf jede Menge Nazis und, wie der Buchtitel verrät, seine Enkelin.
Wie schwer das Ermitteln in Zeiten der Pandemie ist, zeigt sich im neuen Fall von Karl Mørck und des Sonderdezernats Q. In dem Thriller »Natriumchlorid« von Jussi Adler Olsen geht es um einen Killer, der seit 30 Jahren mordet, ohne entdeckt zu werden. Der Däne mit dem düsteren Fall diese Woche auf der 5.
Damit geht Platz 4 zurück an Schauspieler Edgar Selge: Auto-Fiktion heißt es was Selge mit seinem Debüt »Hast du uns endlich gefunden« betreibt. Wie es ist, nur wenige Meter von einem Gefängnis aufzuwachsen mit dem Knastdirektor als Vater, das beschreibt er aus der Sicht eines Zwölfjährigen.
Nach dem erfolgreichen Weihnachtsgeschäft steigt Sebastian Fitzek einen weiteren Platz ab auf die 3: Seine »Playlist« bleibt dennoch crossmedial zugänglich. Hier ein Krimi, dort ein Online-Spiel oder Musikalbum. Für jeden Käufer ist eine Version dabei.
Literarisch-kriminell geht es zu auf Platz 2. Bestsellerautorin Nele Neuhaus erzählt den bereits zehnten Fall des Ermittler-Duos Sander und Bodenstein: Diesmal geht es um den Mord an einer Verlagsangestellten, der nach 30 Jahren gekündigt wurde. »In ewiger Freundschaft<<, die 1 der Vorwoche, gibt den Spitzenplatz ab an einen Neueinstieg direkt aus Paris.
Michel Houellebecq, das Enfant terrible der Gegenwartsliteratur, katapultiert sich direkt auf die 1. »Vernichten« heißt das neue Werk, in dem Paul Raison, Mitarbeiter im Finanzministerium, seine Frau an eine esoterische Bewegung verliert, während sein Chef für die Präsidentschaftswahlen 2027 kandidiert. Es geht bei Houellebecq wieder einmal um den Niedergang Frankreichs, aber diesmal mit ungewöhnlich vielen Zwischentönen.