Fulminantes Krimi-Debüt aus Nigeria Die Tatortreinigerin von Lagos

Autorin Braithwaite: Harmlose Worte als Drohung
Foto:Lumi Morgan/ Aufbau Verlag
Wer einen Mord begehen und danach nicht erwischt werden will, sollte das in Nigeria tun, hat Oyinkan Braithwaite vergangenes Jahr während einer Lesung gesagt. Natürlich war das scherzhaft gemeint, ihre Aussage hat aber einen ernsten Hintergrund. Moderne CSI-Methoden seien dort nicht sehr verbreitet, erklärte sie, Polizeikorruption umso mehr.
Braithwaite, Jahrgang 1988, geboren in Nigeria, hat in London und Surrey studiert und lebt seit 2012 in Lagos. "Meine Schwester, die Serienmörderin", ihr Romandebüt, schaffte es auf die Longlist des Booker Prize und wurde 2019 von der "Los Angeles Times" als bester Krimi des Jahres ausgezeichnet.
Die titelgebende Serienmörderin heißt Ayoola, sie ist klein und kurvig und ein Männermagnet, in etwa so gefährlich wie die Loreley. Eine Traumfrau, die sich für allzu viele Männer als Albtraum entpuppt: Ayoola neigt dazu, ihre Liebhaber mithilfe eines Messers ins Jenseits zu befördern.
Gut, dass es ihre Schwester Korede gibt, groß und kantig und als Krankenschwester den Umgang mit Blut und Desinfektionsmitteln gewöhnt. Korede wird zur Tatortreinigerin wider Willen, zu Beginn des Romans hilft sie Ayoola zum dritten - aber nicht letzten - Mal dabei, eine Leiche zu beseitigen und den Tatort von allen Spuren zu befreien. "Ich wette, Ihnen war nicht bewusst, dass Bleiche den Geruch von Blut überdeckt", verrät uns Korede, nicht ohne einen Anflug von professionellem Stolz, ebenso wie weitere Details zur korrekten Entfernung der Sauerei, die so ein Messermord eben anrichtet.
So weit, so erwartbar, bei einem Buch mit einem derart plakativen Titel und einem Cover, das mit seiner coolen schwarzen Sonnenbrillenträgerin und kreischgrünen Schrift aussieht, als buhle es um die Aufmerksamkeit von Quentin Tarantino. Doch Auftakt und Verpackung täuschen, "Meine Schwester, die Serienmörderin" entwickelt sich nicht zum Gewaltpotpourri samt lässiger Sprücheklopferei, sondern zu der Erkundung einer schwer traumatisierten Familie. Eine bitterböse schwarze Komödie, in kurzen Kapiteln rasant erzählt, zwar nicht allzu tiefgründig, dafür aber jederzeit unterhaltsam.
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02.04.2023 15.24 Uhr
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Im Mittelpunkt stehen die beiden ungleichen Schwestern: Ayoola, die Korede süffisant - und mit einem Hauch von Missgunst - als "Sukkubus mit engelsgleichem Gesicht und dem Körper einer Musikvideo-Sexbombe" beschreibt, und Korede selbst, unglücklich verliebt in einen der Ärzte auf ihrer Krankenstation, wo auch ihr einziger Vertrauter sein temporäres Zuhause hat, ein Komapatient, dem sie in ihren Arbeitspausen all ihre Geheimnisse zuflüstert.
Die beiden Schwestern sind durch ein Geheimnis aus ihrer Jugend für immer eng miteinander verbunden: Vor zehn Jahren starb ihr Vater, ein Schürzenjäger und Frauenschläger. Die Umstände wurden zwar offiziell nie geklärt, doch Korede deutet früh im Roman an, dass Ayoola wohl nicht die einzige Schwester ist, die sich ihre Hände blutig gemacht hat. Ihre Mutter lebt seit dem Tod ihres Mannes in einer Fantasiewelt aus Schlafmitteln und Liebesromanen, befeuert einzig von der Hoffnung auf eine gute Partie für Ayoola.
Machotum und Korruptionsstrukturen
Braithwaites Roman versucht nicht, das Leben im heutigen Nigeria realistisch abzubilden, die Geschichte wirkt eher, als entstamme sie einem knallbunten Fiebertraum. Auch wenn die wirkliche Welt das Leben der Familie nur selten zu berühren scheint: Wovon Braithwaite erzählt, ist eine Gesellschaft, in der Männer immer noch Dominanz ausüben und Frauen allzu oft zum Spielball ihrer Launen werden.
Wie sehr Braithwaite es beherrscht, mit wenigen Worten maximale Wirkung zu erzielen, zeigt ein nur vier Seiten langes Kapitel, in dem Korede von einem Verkehrspolizisten angehalten wird, kurz nachdem sie eines der Opfer ihrer Schwester entsorgt hat. Eine Szene, die einerseits Suspense aufbaut - und an eine ähnliche Sequenz aus Alfred Hitchcocks Filmklassiker "Psycho" erinnert: Korede ist sich nicht sicher, ob sie den Kofferraum vollständig gesäubert hat, und muss nun mit allen Mitteln verhindern, dass ihr Wagen durchsucht wird.
Andererseits zeigt diese Begegnung tiefverwurzeltes Machotum und die Korruptionsstrukturen: Der Mann nutzt seine Machtposition aus, um Korede kleinzuhalten, und sie muss notgedrungen mitspielen, sich sogar dümmer stellen, als sie ist, um ihn nicht zu provozieren. Am Ende wird sie sich aus der Situation rauskaufen können, weil "jene, die unsere Straßen sicher machen sollen, die meiste Zeit damit verbringen, den Bürgern das Geld abzuzapfen".
Ayoola und ihre Schwester werden auch mit diesem Mord davonkommen, denn Männer, so Korede, "wollten immer genau das, was sie wollten, und sie wollten es sofort". Aber dass, was sie bekommen, oft etwas anderes ist, als sie ursprünglich wollten, merken sie erst, wenn es zu spät ist. Mit "Der Mann lächelt. Ich lächle zurück" endet der Roman. Selten klangen an sich so harmlose Worte so sehr wie eine Drohung.