Michel Houellebecq "Eine gewisse Art Unsterblichkeit"

Romanautor, Popstar und jetzt auch noch Theaterheld: Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq hat mehr Erfolg als ihm lieb sein dürfte.
Von Sven Siedenberg

Neulich in einer Frankfurter Disco: Ein kleiner Mann im besten Beamtenalter steht ungelenk auf der Bühne und spricht vor dem Sound-Teppich einer Live-Band mit monotoner Stimme kryptische Verse ins Mikrofon. Sein Sprechtalent beschränkt sich zwar darauf, was die französische Sprache an natürlicher Rhythmik zu bieten hat, aber trotzdem sind die Leute begeistert von dem Versuch, das Chanson mit psychedelischem Rock und Elektroklängen zu neuem Leben zu erwecken.

Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, den die französische Zeitung "Le Figaro" zum "Begründer eines neuen Deprimismus" ausrief, tourte im Herbst durch sechs deutsche Städte, um seine traurig-trostlosen Gedichte in der Pose eines Popstars vorzutragen. Seit Michel Houellebecq im vergangenen Jahr mit seinem Debütroman "Ausweitung der Kampfzone", einer Attacke auf den Geist von 1968, einen heftigen Literaturstreit heraufbeschwor, wird er ebenso als Skandal- wie als Kultautor gefeiert. Sein Erfolg hängt sicher auch damit zusammen, dass er einen neuen Existenzialismus formuliert, der den Verfechtern postmoderner Ironie- und Befindlichkeitsromane, die den Literaturbetrieb noch immer dominieren, sehr fremd ist. Hier hegt jemand einen geradezu apokalyptischen Hass gegen die um sich greifende Vereinzelung und den triebhaften Egoismus und verleiht dem unbehaglichen Lebensgefühl des neuen Jahrtausends eine Stimme.

Jetzt erobert Michel Houellebecq, obwohl mit eigenen Dramen bisher gar nicht in Erscheinung getreten, auch noch die hiesigen Theater: "Ausweitung der Kampfzone" wurde soeben in Hannover uraufgeführt, Ende des Monats inszeniert dann Frank Castorf Houellebecqs zweiten Roman "Elementarteilchen" an der Berliner Volksbühne. Was schon deshalb ungewöhnlich ist, weil die meisten fremdsprachigen Autoren, die an deutschen Bühnen gespielt werden, aus der angloamerikanischen Welt stammen: Sarah Kane, Enda Walsh, Mark Ravenhill oder David Mamet sind hier bekannt, Dramatiker wie Yasmina Reza und Xavier Durringer eher weniger.

Doch mit seiner provokanten Kritik an der liberalen Gesellschaft scheint Michel Houellebecq einen Nerv getroffen zu haben. Seine Hauptthese: Dass die sexuelle Freizügigkeit nur eine Ausweitung der ökonomischen Verdrängungskämpfe ist. "Der Sex", heißt es einmal in "Ausweitung der Kampfzone", "stellt in unserer Gesellschaft ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld unabhängig ist. Wie der Wirtschaftsliberalismus erzeugt der sexuelle Liberalismus Phänomene absoluter Pauperisierung. Manche haben täglich Geschlechtsverkehr, andere überhaupt nie."

Aber taugen seine Erfolgsromane, die in kaum gekannter Brutalität eine Welt ohne Sinn und Liebe beschreiben, als Theaterstoff? Natürlich: "Ausweitung der Kampfzone", in Frankreich bereits verfilmt, handelt von zwei tragischen Helden zwischen Raserei und Depression, die ihren sexuellen Notstand nur im besinnungslosen Rausch ersticken können - eine ätzende Abrechnung mit den Idealen der 68er-Generation, dem Liberalismus, der Promiskuität und dem Individualismus. Ebenfalls ein Abgesang auf unsere Zeit ist "Elementarteilchen". Der Roman, der von zwei gefühlskranken Brüdern erzählt, endet im Jahre 2080 in einer hässlichen neuen Welt: Der Mensch ist abgeschafft zu Gunsten eines genmanipulierten, asexuellen Wesens.

Neu ist das alles nicht: Die Auflösung aller moralischen Werte und menschlichen Bindungen in der modernen westlichen Welt wurde besonders im Theater schon oft beschrieben und bejammert. Und die provozierende "Ethik der Genetik" samt der Endvision einer geklonten Menschheit aus geschlechtslosen Zwillingen gehört ja ohnehin längst zum schicken Grundrepertoire der Intellektuellen. Was also erklärt den Erfolg des unscheinbaren Franzosen? Vielleicht seine Authentizität. Kaum jemand beglaubigt die mitleidlos ausgebreiteten Exzesse der Sexualität und der Gewalt mit solcher Schwermut, die zudem auch Houellebecqs ganze Biografie durchzieht. Und kaum jemand versteht es noch dazu, sich so als Medienliebling zu inszenieren wie der 42-Jährige, der Camus und Nietzsche verehrt, von Groupies verfolgt wird, mehr als die Hälfte des Jahres fern vom Pariser Literaturbetrieb in Irland verbringt ("Ich genieße es, mich dort zu langweilen") und mit einer Frau verheiratet ist, die angeblich immer eine Schere dabei hat - um ihm bei Bedarf die zotteligen Haare abzuschneiden.

Vielleicht ist das Skandalöse und gleichzeitig Faszinierende aber auch nur sein nüchterner Protest gegen die moderne Welt: Was als Humanisierung, Fortschritt und Freiheit angepriesen wird, entpuppt sich in Wirklichkeit als eine Verrohung; aus dem freien erotischen Wettbewerb gehen die meisten als Verlierer hervor, enden in Einsamkeit und Trübsinn. Vielleicht liegt seine Popularität aber auch nur darin begründet, dass der als Star-Pessimist gefeierte Autor in seinem düsteren Gemüt doch noch ein wenig Hoffnung verspürt. "Meine Bücher", sagt er, "verleihen mir jetzt schon eine gewisse Art von Unsterblichkeit."

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