Französischer Schriftsteller Michel Tournier ist tot

Er studierte in Deutschland, Volker Schlöndorff verfilmte seinen bekanntesten Roman: Michel Tournier galt als bedeutender Autor mit engen Beziehungen zu Deutschland. Jetzt ist der Franzose im Alter von 91 Jahren gestorben.
Autor Tournier (Archivbild 2006): "In letzter Zeit wollte er nicht mehr kämpfen"

Autor Tournier (Archivbild 2006): "In letzter Zeit wollte er nicht mehr kämpfen"

Foto: FRED DUFOUR/ AFP

Der französische Schriftsteller Michel Tournier ist tot. Der renommierte Autor sei am Montagabend im Alter von 91 Jahren zuhause in Choisel bei Paris gestorben, sagte sein Patensohn Laurent Feliculis. Tournier, der 1970 den Prix Goncourt für seinen Roman "Der Erlkönig" erhalten hatte, gehörte zu den bedeutendsten Autoren Frankreichs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und unterhielt enge Beziehungen zu Deutschland.

Tournier wurde 1924 in Paris als Sohn zweier Germanisten geboren und studierte später selbst Germanistik und Philosophie in Paris und Tübingen. Nach einer Tätigkeit als Übersetzer für Deutsch arbeitete er für Rundfunk, Fernsehen und Verlage, bevor er 1967 seinen ersten Roman "Freitag oder im Schoß des Pazifik" vorlegte. Es folgten über die Jahrzehnte zahlreiche Romane, Erzählungen, Kinderbücher und autobiographische Essays.

In seinen Romanen verwendete Tournier Mythen und Märchen, die er mit Ironie in Geschichten unserer Zeit verwandelte. Seinen Durchbruch feierte Tournier 1970 mit "Der Erlkönig", in dessen Mittelpunkt ein vom Nationalsozialismus faszinierter französischer Kriegsgefangener steht. Die Geschichte, die in einer NS-Eliteschule in Ostpreußen spielt, wurde 1996 unter dem Titel "Der Unhold" von Volker Schlöndorff verfilmt (hier lesen Sie die damalige SPIEGEL-Rezension ).

Im Gegensatz zum Roman war die Verfilmung allerdings wenig erfolgreich, er stieß weder in Deutschland noch in Frankreich auf besonderes Wohlwollen. 1997 sprach Tournier im Interview mit dem SPIEGEL  auch darüber:

SPIEGEL: Der Film "Der Unhold" von Volker Schlöndorff nach Ihrem Roman "Der Erlkönig" war ein Misserfolg in Frankreich wie in Deutschland.

Tournier: Es ist ein großartiger Film.

SPIEGEL: Aber vielleicht zu kompliziert, etwa weil Ihr Buch zu kompliziert ist?

Tournier: Nein, weil die Leute von der Nazi-Zeit, in der es spielt, genug haben. Der Roman war 1970 ein riesiger Erfolg.

SPIEGEL: Heute wäre er es nicht mehr?

Tournier: Vielleicht nicht. Inzwischen hat es gewaltige Ereignisse gegeben: den Fall der Mauer, den Zusammenbruch der kommunistischen Staaten, die deutsche Wiedervereinigung. Da wollen die Leute nicht immer wieder noch von Hitler, Göring und Goebbels hören.

"Er wollte nicht mehr kämpfen"

Wichtige spätere Bücher waren "Die Zwillingsterne" sowie "Kaspar, Melchior und Balthasar". Trotz seiner oft ungewöhnlichen Themen erreichten Tourniers Bücher eine Millionenauflage und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Der Schriftsteller bestimmte als Mitglied der Académie Goncourt über die Vergabe des wichtigsten französischen Literaturpreises mit und gehörte auch der Bayerischen Akademie der schönen Künste an.

Tournier blieb zeitlebens ledig und lebte die letzten Jahrzehnte in einem alten Pfarrhaus auf dem Land im Südwesten von Paris. Zuletzt wurde der Autor, der schon länger mit Altersbeschwerden kämpfte, von seinem Patensohn Feliculis betreut.

"Wir lebten rund um die Uhr mit ihm, er konnte seit drei Monaten nicht mehr allein bleiben", erklärte Feliculis nach Tourniers Tod. Der Schriftsteller sei immer wieder gestürzt. "In letzter Zeit wollte er nicht mehr kämpfen, das war das Alter."

mka/aar/AFP
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