Spionagethriller Die lahmen Gäule vom Secret Service
Als "Slow Horses" 2010 in Großbritannien veröffentlicht wurde, dauerte es nicht lange, bis die üblichen Vergleiche kamen, die Verlage so gern auf ihre Buchcover drucken: Man titulierte Mick Herron wahlweise als den neuen John le Carré, Len Deighton, Graham Greene - oder welcher große Autor von Spionageromanen dem jeweiligen Kritiker gerade so einfiel.
Ob Herron mit seiner bislang fünfteiligen Serie über eine Abteilung ausgemusterter MI5-Agenten tatsächlich den vorschnell behaupteten Klassikerstatus erreichen kann, wird sich wohl erst in etlichen Jahren zeigen: Kein anderes Genre altert so schlecht wie der sich oft an Tagesaktualitäten abarbeitende Spionagethriller.
Was aber jetzt schon feststeht: Derzeit schreibt Herron neben Olen Steinhauer die aufregendsten Romane über Spione und ihre Schwierigkeiten, in der zunehmenden Unübersichtlichkeit nach dem Ende des Kalten Kriegs ihre Rolle neu zu definieren. "Die modernen Realitäten von Frauen, Männern und Kindern, die mit Sprengstoff um die Brust geschnallt in Stadtzentren herumspazieren, hatten Leben zerstört, aber keine Methoden", heißt es in "Slow Horses" zur Unfähigkeit des Secret Service, sich auf die veränderten Gegebenheiten einzustellen.

Romanautor Mick Herron
Foto: Alberto Venzago/ DiogenesIn seinem Roman dreht Herron, der sich immer wieder auf 7/7 bezieht, also die Anschlagsserie in London im Juli 2005, das typische Thriller-Setting auf links: Nicht islamistische Fanatiker sind die Bösen, sondern eine kleine Gruppe ziemlich durchgeknallter britischer Nationalisten, die einen Engländer mit pakistanischen Wurzeln entführen und mit seiner Hinrichtung drohen, live ins Internet gestreamt.
Eine Irrsinnsaktion, aber nur der Ausgangspunkt für eine Geschichte, die immer wieder überraschende, dabei nie unplausible Volten schlägt, und an deren Ende der Leser sich fragt, wie ein derart stümperhafter Geheimdienst voller Egoisten und skrupelloser Karrieristen (es gelten die sogenannten Londoner Regeln: "Einer muss bezahlen, sieh zu, dass nicht du es bist") überhaupt in der Lage sein soll, zukünftige Anschläge zu verhindern.
Gelb- und Grautöne statt schwarz-weißer Verhältnisse
Im Zentrum des Geschehens steht eine Abteilung des MI5, die eigentlich komplett marginalisiert ist: Benannt ist sie nach "Slough House", einem unscheinbaren, heruntergekommenen Gebäude in der Nähe des Barbican. Herron beschreibt es in einem eleganten, die veränderten Verhältnisse nach dem Fall des Ostblocks knapp zusammenfassenden Sprachbild als "Drecksloch, ein Ort von Gelb- und Grautönen, wo einst alles schwarz und weiß war". Hier ist eine Gruppe von in Ungnade gefallenen Agenten zu Hause, die man einfach nicht los wird und deshalb zum Innendienst verurteilt hat, in der Hoffnung, dass sie irgendwann aus lauter Frust von selbst kündigen.
"Slow Horses", lahme Gäule, nennt man beim Geheimdienst die zwei Handvoll Männer und Frauen, deren Karriere mal krachend, mal schleichend zu Ende ging, und die daraufhin die "Lizenz zum Streunen und Schnüffeln" verloren haben. Seitdem hocken sie in stiller Monotonie vor ihren Monitoren, sammeln und sichten Daten und fragen sich: "Wie um Himmels willen sind wir hier gelandet?" und "Wie komme ich hier wieder raus?"
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Wie diese heterogene Gruppe von Losern - eine Art erwachsener "Breakfast Club" - sich zusammenreißt und unter der Führung des ebenso dickleibigen wie unleidlichen Jackson Lamb alte Stärken wiederentdeckt und zurück ins Leben findet, erzählt Herron mit lässiger Ironie, mit viel Sinn für Details und verzögerten Pointen, die, wenn sie endlich kommen, um so mehr Punch haben.
Hier sitzt alles perfekt wie bei einem maßgeschneiderten Anzug aus der Londoner Schneiderstraße Savile Row: nicht irgendeiner kurzlebigen Mode folgend, sondern eindrucksvoll stilvolles Understatement demonstrierend. Das spricht dann doch dafür, dass Herrons Romane um die gar nicht so lahmen Gäule des MI5 das Zeug haben, zu Klassikern zu werden.