Literatursensation Jonas Eika Menschen am Rande des Weltuntergangs

Der junge, dänische Autor Jonas Eika zerstört Gewissheiten: Sein Buch "Nach der Sonne" gewinnt explosive Kraft aus der Sehnsucht nach einer ganz anderen Welt - und weitet den Begriff der Fiktion.
Autor Jonas Eika: Er sagt, was er sagen will und muss

Autor Jonas Eika: Er sagt, was er sagen will und muss

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Aphinya Jatuparisakul

Mit solcher Wucht hat schon lange kein Dichter mehr die Bühne betreten. Jonas Eika ist Däne, 29 Jahre alt, auf dem Autorenporträt im Buch hat er kurze grüne Haare, Ohrringe aus Glas und trägt ein Leoparden-Shirt. Für seinen Novellenband "Nach der Sonne", der gerade auf Deutsch erscheint, wurde er 2019 mit dem renommierten Literaturpreis des Nordischen Rats ausgezeichnet.

Die Rede im festlichen Rahmen nutzte er, um der anwesenden dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und deren sozialdemokratischer Partei staatlichen Rassismus vorzuwerfen. Erstarrung und Beifall im festlichen Saal. Eika auf der Bühne, nervös, fast ängstlich wirkt er, aber entschlossen, kratzt sich immer wieder mit seinen rot lackierten Fingernägeln den Nacken. Er sagt, was er sagen will und muss.

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Die Sprache seiner Novellen ist von großer Dringlichkeit, Zerbrechlichkeit und Schönheit. Die Geschichten spielen an den unterschiedlichsten Orten, im Stadtzentrum von Kopenhagen, in Bukarest, der Wüste von Nevada, den Stränden von Cancún und in der Luft. Einsame, liebesgierige, in dieser Welt Verlorene sind die Menschen, über die Eika schreibt. Halbe Gespenster, mit einem Bein in unserer Wirklichkeit, mit dem anderen in einer Fantasiewelt, die sie sich in ihren Wunsch- oder Albträumen vorgestellt haben.

Das Yin und Yang des Kapitalismus

"Ich erreichte Kopenhagen verschwitzt und halbwegs neben mir stehend nach einem äußerst fiktiven Flug." So fängt es an. Schön und rätselhaft: "äußerst fiktiv" - wir lernen kurz darauf, was das bedeutet. Wie man "fiktiv" steigern kann, wie viele verschiedene Fiktionen man auf so einer Reise im Himmel durchleben kann und in welcher neuen Fiktion man dann zum Beispiel landet.

Der Icherzähler ist IT-Berater, gestrandet in Malaga, immer wieder wird er beruflich nach Kopenhagen bestellt. In eine Bank zum Beispiel, um "das System" zu warten. Diesmal ist die Bank leider verschwunden, wir wissen nicht, wieso, in einem Krater verschwunden, vermutlich ein Sprengstoffanschlag. Es spielt keine große Rolle.

Schriftsteller Eika: "Bruder, du darfst mich nie wieder verlassen"

Schriftsteller Eika: "Bruder, du darfst mich nie wieder verlassen"

Foto: Aphinya Jatuparisakul

Aber die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, spielen eine Rolle. Er trifft auf Alvin, Investment-Banker, zärtlich, reisefreudig, magnetisch, reich. Er lässt den Erzähler an seinen Derivat-Geschäften teilnehmen, Wetten auf eine fiktive Zukunft aller Produkte der Welt. Jede Zukunft lässt sich prognostizieren und kaufen. Alvin weiß, wie das läuft. Wie man Gewinne macht und wie man das Bewusstsein dafür, dass jede Summe, die man selbst verdient, gleichzeitig irgendjemand verliert, aus seinem Bewusstsein löscht. Das Yin und Yang des Kapitalismus.

Es kommt darauf an, das Wissen um die Verlierer in sich zu tilgen: "Dass es gelang, sie einfach aus dem Bild zu retuschieren, kraft eines Willensakts, der langsam und verborgen in einem selbst vollzogen wird, bis irgendwann nur noch der eigene Sieg existiert."

Der Boden von Eikas Prosa schwankt: Eben noch war alles total realistisch und gegenwärtig, plötzlich ist eine Zeitreise geschehen. Eben noch sagt der Icherzähler, er sei noch nie in Bukarest gewesen - im nächsten Satz ist er schon da: "Für ungefähr zehn Sekunden befand ich mich in einem Trichter aus Zeit, an dessen anderem Ende ich nur mich selbst sah."

Kurz ist er reich in Bukarest, kurz ist er mit Alvin ein Liebespaar, kurz sagt er auf Rumänisch zum Geliebten: "Bruder, du darfst mich nie wieder verlassen", ohne selbst zu wissen, was er sagt. Am Ende ist er wieder ohne Geld und ohne Alvin in den Trümmern der Bank in Kopenhagen, der Systemadministrator sitzt im Lotussitz im Zentrum. Die zerstörte Welt lebt weiter.

Menschen mit Seelenvakuum

Später sind wir mit rechtlosen, blutjungen Beachboys an den Stränden Mexikos, die reiche, fette, fühllose Touristen eincremen und ihnen Luft zufächern müssen; wir sind mit einem greisen Ehepaar, dem beide Töchter gestorben sind, in der Wüste - auf der Suche nach Kontakt zu Außerirdischen und dem Wunsch nach Vereinigung mit der Natur. Einsam in der Sonne.

Über die Boys heißt es, sie hätten "ein Loch in ihrem Inneren". Das gilt für alle Menschen, die Eika beschreibt. Menschen mit Seelenvakuum am Rande des Weltuntergangs. In unheimlich schöner, von Ursel Allenstein ins Deutsche übertragener Sprache.

Eika nennt am Ende des Buches unter anderem William Burroughs und Roberto Bolano als Inspirationsquellen für seine Prosa. Sprache und Handlung der halbfiktiven Welt des Begehrens erinnern deutsche Leser aber auch an Hans Henny Jahnns "Nacht aus Blei" oder Christian Krachts "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten".

Vor allem aber hat Eikas Prosa eine ganz originäre Kraft, die sich aus der Sehnsucht nach einer ganz anderen Welt speist: "Und es ist, als würde die Schönheit aller Dinge in meinen Körper übergehen und zu einem Schmerz werden, der das Loch offen hält. Ich denke: Das Meer ist schön ohne die Gabe, die ganze Zeit türkis und postkartenhaft zu bleiben. Schön, ohne den Willen, die Schiffe zu schonen, die nachts auf ihm fahren. Ein unendlicher, flüssiger Stoff aus völliger Gleichgültigkeit."

Schön - ohne den Willen, die Schiffe zu schonen. Dem Meer ist es egal, wen es untergehen lässt.

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