Nachruf auf Arthur Miller Der Menschenfreund aus Harlem

Mit Arthur Miller ist eine amerikanische Ikone gestorben. Er war der Athlet unter den Intellektuellen, der Macho unter den Linken, Amerikas Gewissen, soweit man zurückdenken kann. Ein Blick zurück auf die Trophäen und Triumphe des Schriftstellers - und Marilyn Monroe.
Von Matthias Matussek

Was für eine Kondition! Wie gesund an Körper und Seele muss einer gewesen sein, der ein solches Jahrhundertleben geführt hat. Arthur Miller, der jetzt im Alter von 89 Jahren gestorben ist, war einer der freundlichsten Menschen, die ich je traf. Und einer der bescheidensten. Er sagte, er habe einfach Glück gehabt, das sei alles.

Wenn er erzählte und verglich, spannte er weite Bögen. Er kannte die Schlagzeilen des Tages, und gleichzeitig die Namen der Pitcher der Yankees in den zwanziger Jahren.

Mit gerade mal 33 war er der Superstar des Theaters, weltberühmt durch den "Tod des Handlungsreisenden", der den unbarmherzigen amerikanischen Kapitalismus der Nachkriegszeit als Familientragödie verhandelte. Die Stimme des traurigen Helden Loman, seine immer neuen Versuchungen zur Heroisierung, zur Umlügung des eigenen Lebens, um nicht nur sich zu retten, sondern den amerikanischen Traum - man dachte sich damals wohl: woher kennt der das, dieses Wunderkind?

Das Geheimnis war, dass dieser Siegertyp genau wusste, wie sehr wir alle Verlierer sind. Kleine Leute, alle miteinander. Sein Vater machte während der Depression Bankrott, er selber brachte sich als Lastwagenfahrer und Fabrikarbeiter durch.

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Zum Tod von Arthur Miller: Dramatisches Engagement

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Er kannte das Geheimnis der Niederlage früh. Er verschlang die Romane Dostojewskis und wie dessen Seelengiganten, wie Fürst Myschkin, fühlte er sich allen verbunden, den kleinen Angestellten, den gescheiterten Ehemännern, den zerbrochenen Frauen. Miller war ein Menschenfreund. Seine Wirkung? Die zum Beispiel: Als der Chef eines Kaufhauses in Philadelphia aus der Vorführung des "Handlungsreisenden" kam, verfügte er, dass niemand mehr aus Altersgründen gefeuert werden dürfe.

Arthur Miller berührte und bewegte. Er schrieb das berühmteste Theaterstück des Jahrhunderts und er heiratete die berühmteste Frau, die Göttin schlechthin, den Männertraum Marilyn Monroe. Wie kann so einer eigentlich nicht abheben, dachte man sich immer. Wie merkwürdig dieses skandalfreies, dieses unschuldige, dieses engagierte Leben an heutigen Maßstäben gemessen. Er kriegt den Pulitzerpreis, er kriegt alle weiteren Preise, und dann die schönste Frau der Welt, er ist gerade mal vierzig, was soll da noch kommen?

Ein unendlich langes, erfülltes Leben.

Ein engagiertes: Arthur Millers Unterschrift fehlte auf kaum einer US-kritischen Resolution. Er mochte die Plattmacherei des gottesfürchtigen, bornierten Bibelgürtel-Amerika überhaupt nicht. Während der McCarthy-Ära landete er auf schwarzen Listen. Über die gelegentlich aufflackernden antiintellektuellen Kampagnen seines Landes schrieb er das ergreifende Stück "Hexenjagd".

Für die notorische Nähe seines Landes zu lateinamerikanischen Diktatoren schämte er sich regelrecht. Er war einer, der sich aufregte, das war spürbar bei allen unseren Treffen. Über die militärischen Supermacht-Posen der USA konnte er bissig spotten. Er war ein intellektueller Gigant, der alles Gigantische verachtete.

"Stücke schreiben ist wie Möbel bauen"

Wir waren in Connecticut, als Arthur Miller mit seiner damaligen Frau, der österreichischen Fotografin Inge Morath, zum Abendessen vorbeischaute. Er kam rein, kurzer grauer Militärhaarsschnitt, markanter Schädel, Brille. Raumeinnehmend und groß und dampfend, als hätte er gerade Bäume gefällt. Flanellhemd, mächtiger Brustkorb, ziemliche Pranken. Er war damals Mitte siebzig. Und er kam tatsächlich gerade vom Bäumefällen. Er tischlerte. Schreiben war für ihn ein Handwerk. "Stücke schreiben", sagte er an diesem Abend, "ist wie Möbel bauen". Und er baute ständig, sein Leben lang. Rund zwei Dutzend Stücke, Filme, Prosawerke, Artikel. Seine Autobiografie "Zeitkurven" gehört zu den großen Werken dieses Genres. Ein Moralist schaut da zurück bis in die frühesten Kindheitserinnerungen in Harlem, ein Ausnahme-Athlet des Geistes, der sein eigenes Leben besessen hat wie kaum einer.

Und wenn er nicht schrieb, reiste er.

Er erzählte an diesem Abend von seinen Treffen mit diversen US-Präsidenten, mit Castro, mit Marquez und dann, unter unwiderstehlichem Lachen, von jenen Monaten, in denen er seinen "Handlungsreisenden" in China inszenierte. "Das Konzept Handlungsreisender" war dort sehr revolutionär. Wie sich die Zeiten geändert haben.

An jenem Abend erzählte er ohne Umschweife von seinem komplizierten Leben mit Marylin Monroe, dunkel und ruhig und noch immer war eine große Zärtlichkeit spürbar. Seine Lebensgefährtin Inge Morath, die Fotografin, das spürte man, hat nie eifersüchtig auf diese Faszination reagiert. Im Gegenteil. Sie hat sie beachtet.

Später besuchte ich ihn am Broadway, wo sein Stück "Der Preis" aufgeführt wurde. Die Hauptrolle spielte mit Eli Wallach, der in "Misfits" dabei war, dem Huston-Film, den Miller für Marilyn schrieb, als die Ehe zerbrach.

Die beiden redeten über sie wie über eine Blume. Ich berichtete, dass Freunde in genau jenes Haus in Amagansett auf Long Island eingezogen waren, in das er nach seiner Heirat mit Marilyn Monroe geflohen war. Die Kommode stand noch da. Ein kleiner struppiger Garten, ein graues Schindeldach, nichts protziges. Wer das Haus sieht, muss sich denken, dass sie damals glücklich gewesen sind. Es war, sagte Miller, die beste Zeit.

Links ist sexy, links ist klug

Und er erzählte, wie Marilyn einst das Leben Wole Soyinkas gerettet hatte. Er hatte sich als Pen-Präsident in den sechziger Jahren für den Schriftsteller Soyinka eingesetzt, der in Nigeria inhaftiert war. Ihm drohte die Exekution.

Miller schrieb an General Gowon und bat um Gnade. Als Gowon den Brief las, fragte er den Überbringer, einen britischen Geschäftsmann, ungläubig, ob dieser Miller etwa der Mann sei, der mit Marilyn Monroe verheiratet war. Als der Geschäftsmann bejahte, war Gowon beeindruckt. "Er verfügte die sofortige Freilassung." Danach wieder dieses Lachen.

Mit Inge Morath, das war an jenem Abend spürbar, muss er eine grundglückliche, stimulierende Ehe geführt haben. Doch auch nach ihrem Tode vor drei Jahren verkroch er sich nicht. Vielleicht ist sein Lebenswille, sein Optimismus trotz aller tragischen Untertöne des Werks dadurch am eindrucksvollsten dokumentiert: dass er weiterschrieb, weiterkämpfte, weiterlebte - und weiterliebte.

Vor gerade mal vier Monaten gab er seine Verlobung mit einer hübschen, fast sechzig Jahre jüngeren Maklerin bekannt. Die sagte fröhlich: "Als mir ein Freund zum ersten mal von Arthur Miller erzählte, bin ich erschrocken - ich wusste gar nicht, dass er noch lebte."

Fest steht, dass mit Miller einer der großen kritischen Jahrhundertköpfe der amerikanischen Literatur abgetreten ist. Im Grunde genommen war er der Sieg einer Haltung: Er war ein Linker und er hat Marilyn Monroe gehabt. Er hat bewiesen, dass man keine reaktionären Sprüche klopfen muss, um ein ganzer Kerl zu sein.

In Zeiten, in denen Karrieren dadurch bestritten werden, dass auf linke "Gutmenschen" eingeprügelt wird, war Arthur Miller das siegreiche Monument des guten Menschen. Egoismus und kapitalistische Gaunertugenden zahlen sich nicht aus, sagte Miller mit seinem langen Riesenleben.

Und es ist, als könne man ihn immer noch lachen hören.

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