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"Nachts ist es leise in Teheran": Widerstand in Iran, Gemüse in der BRD

Foto: Keystone/ Getty Images

Iran-Roman von Shida Bazyar Geflohen vor den Mullahs, angekommen bei Ulla

Die Eltern von Shida Bazyar flohen einst vor der islamischen Revolution aus Iran. Nun setzt die Autorin mit dem Roman "Nachts ist es leise in Teheran" einer ganzen Generation ein Denkmal.
Von Stephan Lohr

Behsad, seiner Frau Nahid, Tochter Laleh und Sohn Morad gelingt in den Achtzigerjahren die Flucht aus Teheran in die Bundesrepublik Deutschland. Behsad und seine Frau engagierten sich im militant-kommunistischen Widerstand gegen den Schah.

Doch der Sieg der iranischen Revolution 1979 gehörte Ajatollah Chomeini und seinem islamfanatischen Regime. Das überwachte mit Tausenden von Spitzeln die vermeintliche Rechtgläubigkeit und verfolgte den säkularen marxistischen Widerstand unerbittlich. Da konnte schon ein fehlender Bart oder ein verrutschtes Kopftuch zum Stigma werden. Zu Hunderten fristeten die einstigen Schah- und nun Chomeini-Oppositionellen ihr Leben in brutal geführten Gefängnissen.

Shida Bazyar lässt in ihrem Roman Vater, Mutter, Tochter und Sohn in eigenen Kapiteln ihre Geschichte, ihre Erlebnisse und Empfindungen jeweils für eine Dekade erzählen, von 1979 bis nahe an die Gegenwart. In Deutschland kümmern sich Ulla und Walter, anstrengend freundliche Ökolinke, um Behsad und seine Familie.

Seiner Frau Nahid, studierte Literaturwissenschaftlerin, ihrem Mann im einstigen Untergrundkampf solidarisch verbunden und nach wie vor besorgt um die im Gefängnis sitzenden Genossen, fällt es schwer zu verstehen, warum sie, so eine Einladung Ullas, "mit anderen Frauen über Gemüse und die Luft reden" soll. Die deutschen Freunde, erstaunt, dass Behsad und Nahid Tucholsky und Brecht zitieren, berichten ausführlich von ihren Ängsten nach der Tschernobyl-Katastrophe.

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Shida Bazyar:
Nachts ist es leise in Teheran

Kiepenheuer&Witsch; 288 Seiten; 19,99 Euro.

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Sohn Morad, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts Student an einer deutschen Uni, beteiligt sich weniger lautstark als lustvoll an Demonstrationen und Streiks wider Studiengebühren und Bildungsnotstand. Doch als er via Facebook 2009 von der schließlich scheiternden "Grünen Revolution" in Iran erfährt, reagiert er skeptisch auf den fröhlichen Aktionismus seiner Kommilitonen. Er erinnert sich an die verordnete Ruhe, wenn sein Vater - nach endlich akzeptiertem Asylantrag und Aufenthalt im Aufnahmeheim in der kargen Sozialwohnung den Nachrichten zu Iran im Radio lauschte.

Die 27-jährige Autorin Shida Bazyar betritt mit "Nachts ist es leise in Teheran" souverän die Bühne der Literatur. Geboren in der rheinland-pfälzischen Provinz, hat sie an der Uni Hildesheim Literarisches Schreiben studiert und arbeitet inzwischen halbtags als Bildungsreferentin in Brandenburg, die verbleibende Zeit schreibt sie. "Ja, meine Eltern waren im kommunistischen Widerstand in Iran", erzählt sie. "Ich habe viele Informationen von ihnen, aber die Figuren habe ich frei gestaltet." Deswegen sei ihr Buch ein Roman. Zuletzt war sie, die besser Deutsch als Persisch spricht ("Aber ich kann mich in Iran ganz gut verständigen"), 2012 im Land ihrer Eltern.

Gegen das halb vergessende, halb kenntnislose Schweigen

Auch Laleh berichtet im Roman von der Reise in die alte Heimat mit ihrer Mutter zu Anfang der Nullerjahre. Dort treffen sie Verwandte, trinken Tee, sitzen stundenlang an üppig gedeckten "Sofrehs", den auf dem Boden ausgebreiteten Tischdecken, und erlebten ein Land im Widerspruch zwischen Tradition und durch die Mullah-Herrschaft gebrochener Moderne.

"Ich treffe kaum noch Verwandte dort", sagt Bazyar, "sie sind inzwischen alle im Ausland." Der Vater im Roman, Behsad, hatte für eine Demonstration der Exiliraner "Antworten vorbereitet, doch niemand stellte Fragen". Wider dieses halb vergessende, halb kenntnislose Schweigen schreibt Shida Bazyar die Geschichte der Generation ihrer Eltern. Und erinnert dabei auch an die Mühen der Integration im Exil. Weil den Eltern der Widerstand eine Heimat bleibt, die aufzugeben an ihre Identität rührt.

Im Epilog des Romans begegnen wir Tara, der in Deutschland ungeplant geborenen Tochter von Behsad und Nahid. Sie lässt mit ihrem internationalen NGO-Engagement aufscheinen, wie sich die problembeladenen Träume ihrer Eltern vielleicht doch noch erfüllen.

Shida Bazyar ist ein aufregendes Romandebüt gelungen: Ohne eitle Larmoyanz, mit großem Einfühlungsvermögen und sprachlicher Souveränität vergegenwärtigt sie exemplarische Lebensgeschichten, die auch als ein Roman über die aktuellen Herausforderungen der Integration gelesen werden können.

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