Neonazis im Alltag "Islamkritiker sind oft mit Rechtsextremen verbandelt"

Der Rechtsextremismus drängt in den deutschen Alltag. Gut ist von Böse nicht ohne weiteres zu unterscheiden. Im Interview berichtet die Journalistin Astrid Geisler, Co-Autorin des Buches "Heile Welten", von abstrusen rechten Auswüchsen - und einer noch bedrohlicheren braunen Normalität.
Demonstration von Islam-Gegnern in Köln (Februar 2011): Wann fängt schlimm an?

Demonstration von Islam-Gegnern in Köln (Februar 2011): Wann fängt schlimm an?

Foto: dapd

SPIEGEL ONLINE: Frau Geisler, Sie haben sich mit Ihrem Reporter-Kollegen Christoph Schultheis für Ihr Buch "Heile Welten" auf die Suche nach dem rechtsextremen Alltag in Deutschland gemacht. Was haben Sie gefunden?

Astrid Geisler: An vielen Orten sind extrem Rechte ganz selbstverständlich ins Alltagsleben integriert. Wir hatten aber auch sehr kuriose Begegnungen, das abgefahrenste war ein Ufologen-Stammtisch in Berlin-Neukölln. Dort diskutierten zwanzig Leute über "Reichsflugscheiben", mit denen Adolf Hitler sich zum Ende des Zweiten Weltkriegs in die Antarktis abgesetzt haben soll. Seitdem soll er im Inneren der hohlen Erde seine Rückkehr planen. Ich habe als Reporterin schon merkwürdige Sachen erlebt, aber das hat alles übertroffen.

SPIEGEL ONLINE: Was haben rechtsextreme Esoteriker mit dem Alltag in Deutschland zu tun?

Geisler: Auf dem Treffen waren gediegen aussehende Herrschaften und junge Leute, die vielleicht gerade Abitur gemacht hatten. Ein adliger Yoga-Lehrer aus Kreuzberg hat seine Visitenkarte herumgereicht. Den hatte ich da wirklich nicht vermutet. Die Grenzen verlaufen eben anders, als man sich das sonst vorstellt.

SPIEGEL ONLINE: Sie werfen am Anfang des Buches die Frage auf, was noch normal ist und was schon rechtsextrem. Wo ziehen Sie die Grenze?

Geisler: In der Debatte um Rechtsextremismus scheint es meistens so, als gebe es die anständigen Bürger auf der einen Seite, auf der anderen die Nazis. Die lassen sich leicht stigmatisieren und taugen für Schlagzeilen. Aber im Alltag besteht oft kein Konsens darüber, wann es anfängt, schlimm zu werden. Dann fehlt auch die Aufmerksamkeit der Medien, dann wird es schwierig.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Buch beschreibt neun Fälle, in denen Menschen mit Rechtsextremismus konfrontiert werden und darauf Antworten finden müssen. Sie selber halten sich aber mit Antworten zurück und beschreiben aus der Distanz.

Geisler: Wir wollen unseren Lesern die Chance lassen, selber darüber nachzudenken. Zum Beispiel über die Frage, ob eine Rechtsextreme im Elternbeirat einer Schule sitzen darf.

SPIEGEL ONLINE: Darf sie?

Geisler: Im konkreten Fall nicht mehr. Nachdem sich die Frau offen zur NPD bekannt hatte, wurde sie nicht wiedergewählt. Das war aber ein längerer Prozess. In der Stadt, Strehla in Sachsen, ist erst allmählich ein Denkprozess in Gang gekommen. Vielen Leuten war anfangs gar nicht bewusst, dass sie es mit der Frau eines rechtsextremen Politfunktionärs zu tun hatten.

SPIEGEL ONLINE: Warum beschäftigen Sie sich in acht von neun Kapiteln vor allem mit offenen Rechtsextremen, die jeder als solche erkennen würde - und nicht etwa mit rechtsextremen Einstellungen in der Gesellschaft, die weit verbreitet sind?

Geisler: Das ist nicht ganz richtig, der Frau des NPD-Funktionärs in Strehla sieht man ihre Überzeug nicht an. Was stimmt: Wir haben uns bewusst dafür entschieden, an einzelnen Orten einzelne Aspekte darzustellen, im Westen wie im Osten. Unser Buch hat keinen lexikalischen Anspruch, das geht auf 200 Seiten auch gar nicht. Geschichten gibt es reichlich, in jedem Bundesland.

SPIEGEL ONLINE: Über viele Beispiele in Ihrem Buch wurde in den Medien bereits ausführlich berichtet. Gab es nicht genug andere?

Geisler: Wir sind zum Teil ganz bewusst noch einmal an Orte zurückgekehrt. In Delmenhorst hat die Stadt mit Hilfe der Bürger vor fünf Jahren ein Hotel zu einem überhöhten Preis gekauft und anschließend doch nur abgerissen. So wurde verhindert, dass die NPD es bekommt. Dort ist es heute mindestens so spannend wie damals: Die Nazis sind noch da, aber die Fernsehkameras sind längst weg.

SPIEGEL ONLINE: Eine aktuelles Thema, die von Thilo Sarrazin gerade zusätzlich bestärkten Islam-Hasser, bekommt dafür nur ein Kapitel.

Geisler: Immerhin! In Verfassungsschutzberichten tauchen diese Leute bisher so gut wie gar nicht auf. Das ist auch eine relativ neue Entwicklung. Die NPD hat das Thema verschlafen und entdeckt es erst jetzt. Die islamkritischen Bewegungen, wie sie sich selber nennen, schreiben sich auf die Fahnen, lupenreine Demokraten zu sein. Wenn man hinter zwei Ecken schaut, sind die verbandelt mit offen rechtsextremen Gruppierungen. Die Übergänge sind da fließend.

SPIEGEL ONLINE: Aber stehen sich da nicht zwei Lager gegenüber, einerseits Islam-Hasser mit Abitur und Anzug, andererseits gewaltbereite Anhänger eines gestrigen Hitler-Kults?

Geisler: Zum Glück sind die Rechtsextremen in Deutschland heillos unter sich zerstritten. Es hakelt ja auch schon wieder bei der Fusion von NPD und DVU, bei der Gründung von "Die Freiheit" in Berlin waren die Islam-Gegner von "Pro Köln" sauer. Bisher ist es niemandem gelungen, so richtig durchzustarten. Meinetwegen kann das so weitergehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben, dass Sie keinen Alarm schlagen wollen. Alles nur halb so wild?

Geisler: Nein, aber Alarmismus hilft nicht weiter. Jedes Jahr werden in Deutschland viele Millionen Euro in die Arbeit gegen Rechtsextremismus gesteckt. Obwohl dort gute und wichtige Arbeit geleistet wird, kann man nicht davon sprechen, dass das Problem nennenswert eingedämmt worden wäre. Man kann nur unterstellen: Ohne die Programme wäre es noch schlimmer. Das ist die ernüchternde Erkenntnis.

Das Interview führte Ole Reißmann
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