Neue Comics Wenn kein Superman mehr hilft
David Kendall: The Mammoth Book of Best War Comics
Carroll & Graf Publishers, New York, 512 S., 17,99 Dollar
Es sollte ein Spaziergang nach Paris werden. Die deutsche Kriegspropaganda versprach 1914 bei Ausbruch des 1. Weltkriegs einen leichten Sieg. Dieser "Spaziergang" endete wenige Wochen darauf sechzig Kilometer vor Paris an der Marne und verwandelte sich in einen vierjährigen zermürbenden Grabenkrieg.
Schon immer machte sich Kriegspropaganda das Bild vom gloriosen Soldaten zunutze, der ohne eine Schramme, aber mit dem Vaterland im Herzen durch die Übermacht der Feinde mäht. Als die USA in den 2. Weltkrieg eintraten, standen auch deren Comicfiguren stramm. Micky Maus, Donald Duck, Superman und viele weitere wurden als Vorbilder auf die Schlachtfelder der Welt geschickt. Legendär ein Comic, in dem Superman auf nur zwei Seiten erst Hitler, dann Stalin festnimmt, vor ein internationales Tribunal stellt und den Weltkrieg eigenhändig beendet. Das war 1943, zwei Jahre vor dem wirklichen Ende, für das es keinen Superman gab.
Im Comic fand der strahlende Soldat der Kriegspropaganda für Jahrzehnte seine zweite Heimat. Nach 1945 machten sich unzählige Verlage an die Abarbeitung der Vergangenheit. Und an die Aufarbeitung der neuen Zeit. Korea und Vietnam boten neuen Stoff für gloriose Geschichten über Heldentum. Die Hauptfiguren jener oft jahrzehntelang laufenden Serien trugen martialische Namen wie "Sgt. Rock" oder "Nick Fury". In England gab es die "Combat Picture Library" und die "War Picture Library", die in fast endlos scheinender monatlicher Abfolge ein im wahrsten Sinn des Wortes blutleeres Bild vom Krieg schufen.
Wie es anders geht, zeigte etwa Keiji Nakazawa ab 1972 in seinem Manga-Epos "Barfuss durch Hiroshima", das die Kriegs- und Nachkriegszeit Japans eindringlich, detailliert und ehrlich schilderte. In Europa waren es Künstler wie Jaques Tardi, die erstmals in den Siebzigern die blutige Vergangenheit des Kontinents ohne falsches Pathos aufarbeiteten. Und in Amerika erinnerte sich Will Eisner in seinen Comic-Romanen an seine eigene Teilnahme an mehreren Kriegen.
Das von David Kendall herausgegebene "Mammoth Book of Best War Comics" wagt nun auf 500 Seiten einen Überblick über das Genre der Kriegscomics. Kendall fördert echte Perlen zu Tage: Etwa Nakazawas sechzigseitige Urfassung von "Barfuß durch Hiroshima" von 1963 mit dem Titel "I Saw it" ("Ich sah es"). Oder eine winzige Episode über einen vietnamesischen Reisbauern aus der Anthologie "Blazing Combat", wegen der diese Reihe nicht mehr an US-Army-Newsstands verkauft werden durfte. Das Verbot führte zum Ende der Serie.
Mit Alex Toth, Will Eisner, Archie Goodwin und anderen versammelt der Band einige der wichtigsten Comic-Künstler des 20. Jahrhunderts. Der Band umfasst über 40 Jahrzehnte Comic-Schaffen. Oft ist es keine schöne Lektüre - aber eine gute.
Das Kernstück des Bandes ist, wie passend, dem namenlosen Comic-Künstler überlassen. "Landings in Sicily" erschien einst anonym inmitten der Pathos-Schwaden der "Combat Picture Library". Wer die Geschichte schrieb und zeichnete, ist heute nicht mehr ermittelbar. Die sehr unprätentiöse Comic-Novelle erzählt davon, wie die US-Armee New Yorker Mafiosi engagiert, um schon vor der Invasion in Sizilien einen Widerstand vor Ort aufzubauen. "Denken Sie daran", sagt der Offizier zum Mafia-Boss, "auf Verrat steht bei uns die Todesstrafe." - "Lustig", sagt der Mafiosi", "bei uns auch."
Scott McCloud: "Comics machen"
Scott McCloud: "
Comics machen"
Carlsen Comics, 266 S., 19,90 Euro
Scott McCloud ist der bekannteste Comic-Erklärer der Welt. Seit 1993 sein Buch "Comics richtig lesen" erschien, wird es immer wieder als Musterbeispiel herangezogen - sowohl für die Analyse des Mediums wie auch als herausragender Sachcomic: Ein Comic über Comics. Nur eines hat McCloud, der oberste Comicversteher, nie vollbracht: einen wirklich herausragenden Comic zu produzieren, der nicht erklärt, sondern einfach nur erzählt.
"Comics machen" ist in diesem Sinne also eine Art Selbsttherapie. Es schließt - nach dem etwas seltsamen Band "Comics neu erfinden" - die Trilogie seiner Bildgeschichtenanalyse ab. "Ihr wollt also Comics machen?" fragt Scott McCloud seine Leser gleich zu Beginn des Buches. Und sicher wird er viele Comic-Aspiranten ansprechen. Mehr noch aber wird er jene Leser erreichen, die, als Macher oder Leser, das Medium verstehen wollen. Denn obwohl "Comics machen" über weite Strecken von der Wahl der richtigen Perspektive und vom richtigen Zeichenstift handelt, ist es nicht annähernd einer der handelsüblichen Zeichenkurse.
Von denen gibt es nämlich zu viele, wie auch McCloud in seinem Buch beklagt. Die meisten ermuntern die Käufer höchstens zum fröhlichen Plagiieren der gezeigten Vorlagen. McCloud aber will, dass seine Leser Comics verstehen. Deshalb erzählt er in charmantem Tonfall und mit viel Selbstironie über Plotaufbau und erzählerische Variationen, schweift ab zu Gestik und Mimik, redet über Landschaften und Städte, die Bedeutung der Atmosphäre und welche Zeichengeräte seine Comics zeichnenden Kumpels so benutzen.
Und das Erstaunliche: dieser über fast 300 Seiten durchgehaltene Dozierfluss wäre selbst dann spannend, wenn man sich für das Thema gar nicht interessieren würde. Es ist wie im Theater, bevor das Stück beginnt. Stück für Stück legt McCloud alle nötigen Utensilien an den richtigen Platz und erklärt, worum es am Ende gehen soll: die Produktion eines Comics. Wenn McCloud sukzessive alle Einzelbestandteile choreographiert, offenbart er diese damit zugleich dem Leser.
Damit schließt McCloud die letzten Lücken, die "Comics richtig lesen" noch offen gelassen hatte. War dieses Buch der Verstand des Mediums, so bietet "Comics machen" dessen Anatomie. Für McCloud ein Warm-up: Der Amerikaner plant nun doch endlich seine eigene große Graphic Novel. Man darf gespannt sein, was der perfekte Lehrer von sich selbst gelernt hat.
Jiro Tanaguchi: "Die Stadt und das Mädchen"
Jiro Taniguchi: "
Die Stadt und das Mädchen"
Verlag Schreiber & Leser, 340 S., 16,95 Euro
Es ist symptomatisch für den deutschen Comicmarkt, der sich zunehmend auf Kinder und Nostalgiker einschießt, dass ein Künstler wie Jiro Taniguchi darin lange keine Beachtung fand. Taniguchi ist bereits seit den siebziger Jahren aktiv, zu seinen Freunden und Verehrern zählen Künstler wie der französische Comic-Revolutionär Moebius. In Japan selbst gilt er als westlich orientierter Künstler. Vor nur knapp einem Jahr kam mit der Manga-Novellensammlung "Der Wanderer im Eis" erstmals ein winziger Teil von Taniguchis umfangreichem Werk auf den hiesigen Markt.
Mit "Die Stadt und das Mädchen" und "Vertraute Fremde" folgten nun fast zeitgleich zwei weitere Comic-Romane. In "Vertraute Fremde" ist es der 48-jährige Architekt Nakahara, der sich auf einem Friedhof verirrt und nach einer Ohnmacht plötzlich als 14-jähriger aufwacht. Mehr noch, er ist plötzlich wieder im Jahr 1963, mitten in seiner beginnenden Pubertät und in einem idyllischen Familienleben, an das er sich nur noch schemenhaft erinnert. Und so stellen sich ihm vor allem zu Beginn die Fragen: Wer war jener Mitschüler? Wie hieß jener Lehrer? Nakahara, erwachsen im Kopf, sieht sich mit einem Leben konfrontiert, das ein halbes Leben zurückliegt.
Erschreckend konsequent führt Taniguchi die Distanz schaffende Kraft der Zeit vor. Aus jenem Sommer weiß Nakahara nur noch, dass sein Vater damals die Familie verlassen hat. Was er nicht mehr weiß, muss er nun schmerzhaft neu erfahren: der Beginn der Pubertät, der Wechsel der Freundschaften, das mühsame höhere Lernen. "Vertraute Fremde" ist auch ein Roman darüber, wie beliebig oft das Vergessen funktioniert, wie gleichermaßen wichtige Ereignisse aus dem Kopf verschwinden oder darin bleiben.
Es ist der Vorteil des Mangas, raumgreifend erzählen zu können. Und Taniguchi nimmt sich den nötigen Platz - über vierhundert Seiten hat seine Erzählung, die ein detailliertes Bild vom kulturellen und sozialen Umfeld, aber auch von den Gefühlen seiner Hauptfigur zeichnet.
Ähnlich detailliert geht er in "Die Stadt und das Mädchen" vor. Nur sind es hier Tokio und die Gegenwart, die er porträtiert. Dort sucht der Bergsteiger Shiga in Tokio nach seiner verschwundenen minderjährigen Nichte. Es ist ein Abstieg in eine seltsame Halbwelt für den Freiluftfreund. In eine Szene, die von Drogenkonsum und Schulmädchenprostitution geprägt ist und in der fast alle ein zweites Leben neben ihrem Alltag als normale Töchter führen.
Taniguchi vermeidet alles Sensationslüsterne. Shiga, das Auge des Lesers, bleibt nahezu immer sachlich, nüchtern, beobachtend. Taniguchi stellt diesem gefühlskalten Mann eine ebensolche Stadt gegenüber: Fahl glitzernde Strukturen gerader Linien und harter Kanten bestimmen die Bilder. Ein fremder Mann in einer fremden Welt.
Und wenn Shiga, der Bergsteiger, am Ende die Höhen und Tiefen der Stadt in der für ihn typischen Weise bezwingt, dann ist auch das nur ein Sieg auf Zeit. Der Mann geht zurück in die Berge, die Stadt bleibt, wie sie ist.
Reinhard Kleist: "The Secrets of Coney Island"
Reinhard Kleist: "The Secrets of Coney Island"
Edition 52, 80 S., 12,00 Euro
Reinhard Kleist zählt derzeit zu den bekanntesten und produktivsten deutschen Comiczeichnern. Mit drei neuen Büchern in einem Jahr dürfte er sogar einen einheimischen Rekord aufgestellt haben. Erst im Oktober letzten Jahres war "Cash - I see a darkness" erschienen, Kleists melancholische Comic-Biografie des Country-Sängers.
Vielleicht war da der Schritt zu einer Comic-Adaption des Lebens des berühmtesten Hüftschwingers aller Zeiten allzu naheliegend. Versprach doch ein solches Projekt im Umfeld von Elvis' 30. Todestag auch eine gewisse Medienaufmerksamkeit. Und damit Verkäufe.
Da Kleist an seiner Cash-Biografie allerdings einige Jahre saß, der Elvis-Band ("Elvis - Die illustrierte Biografie, Ehapa Comic Collection) nun allerdings nicht einmal ein Jahr danach folgt, musste man schon vorab skeptisch werden. Der Band ist allerdings auch nur halb so lang wie das "Cash"-Buch. Mit Titus Ackermann kam ein Co-Autor an Bord, außerdem viele Gastzeichner. Isabel Kreitz, Thomas von Kummant, Uli Oesterle und andere, größtenteils hochkarätige Handwerker des ernsthaften Comic-Erzählens, die auch schon international Aufsehen erregten.
Trotz der cleveren Arbeitsteilung muss "Elvis" eindeutig als Schnellschuss gewertet werden, der letztlich den bekannten Klischees über den Sänger verhaftet bleibt: Hier ein wenig von Presleys Verschwendungssucht, da seine zerrüttete Ehe, dort ein kurzer Blick auf das bizarre Verhältnis zwischen Elvis und seinem Manager. Mehr zeigt der Band nicht, schon gar nicht über den Menschen Presley, der hier eigentlich nur als Glitzeranzug und Haartolle begriffen wird.
Und auch grafisch bleibt wenig hängen. Kleist, mit seiner Vorliebe für Amerikas dunkle Seiten, liefert wenigstens überzeugende Arbeit ab. Viele andere Kapitel dagegen wirken, als hätten die Gastzeichner mit dem Sujet nichts anzufangen gewusst.
Die dunkle Seite Amerikas will Kleist auch in seinem Comic-Novellen-Band "The Secrets Of Coney Island" zeigen. Zwei ältere und eine neue Geschichte vor dem Hintergrund des berühmten Vergnügungsparks vor New York sind hier verbunden. Kernstück ist dabei "Coopers Show", die erste, längste und vor allem neueste Episode des Buches. Es geht um Magie und Verbrechen, um Spiel und Moral in dieser Novelle um das Findelkind Cooper und sein Leben in der bizarren Gemeinschaft der Schausteller von Coney Island.
Kleist zeigt sich hierbei grafisch auf der Höhe des Könnens. Sein immer reduzierter werdender Strich und die geschickte Verwendung von Licht und Schatten erzeugen eine bedrohliche Atmosphäre, die komplett im Gegensatz zum üblichen Image eines Vergnügungsparks steht. Hier zeigt sich, dass Kleist eigentlich aus dem Horror-Genre kommt.
Ergänzend gibt es mit "Coney Island Angel" eine kurze Episode, in der der Schauspieler Mickey Rourke durch den nächtlichen Park streift. Und "Thunderbolt" erzählt von der Rache einiger Schausteller nach Schließung des Parks.
Einmal mehr ist Kleist in diesem Band als vielleicht versiertester Comic-Grafiker Deutschlands zu erkennen. Plotaufbau und Dialog bleiben hinter seinem zeichnerischen Talent aber leider oft zurück. Könnte Kleist solche Geschichten ebenso prägnant konstruieren wie die Bilder dazu, es wäre perfekt.