Neue Sado-Maso-Romane Sachbearbeiterinnen-Sex, der wahre Horror

So wie in "Bedingungslos" stellt sich die Frauenzeitschriftenleserin SM vor: Mach mal "Miau"!
Foto: CorbisGlänzendes Latex, matte Syntax: Regis Jauffrets "Streng"
Was erwartet man von einem schwarzen Cover, auf dem eine Peitsche abgebildet ist, die sich als Relief abhebt? Die man also auch mit - Achtung, Anspielung - verbundenen Augen ertasten kann? "Streng" trifft genau die Erwartungen, die sein Äußeres verspricht. Es ist ein Buch über Dominanz, Unterwerfung, Lack und Leder, über eine sadomasochistische Beziehung zwischen einem schwerreichen Mann mit gewissen Vorlieben und einer mittellosen Frau, ebenfalls mit gewissen Vorlieben.
Der Mann ist der französische Bankier Édouard Stern, die Frau Cécile Brossard, seine "Sex-Sekretärin", die ihn am 28. Februar 2005 erschoss, während er in einem rosafarbenen Latexanzug steckte. Eine Geschichte, die die Regenbogenpresse ausgiebig beschäftigte. Der französische Autor Régis Jauffret hat den Prozess, in dem mit Details über Sexpraktiken nicht gespart wurde, für "Le Nouvel Observateur" verfolgt, danach schrieb er "Streng". Wer sich Jauffrets Publikationsliste ansieht, ist über die Themenwahl nicht erstaunt. In seinen Texten tun sich programmatisch Abgründe und Körperöffnungen auf. "Histoire d'amour" handelt von einem Vergewaltiger, der seinem Opfer über Jahre immer wieder auflauert, und als Joseph Fritzl in Österreich vor Gericht stand, war Jauffret selbstverständlich berichtend zur Stelle.
"Streng" lehnt sich zwar an den realen Fall an, will jedoch Fiktion sein. So steht es zumindest im Vorwort. "Die Personen", schreibt Jauffret, "sind Puppen aus Wörtern, Abständen, Kommata, mit einer Haut aus Syntax". Jauffrets Hausverlag Gallimard schreckte trotzdem vor den pornographischen Szenen zurück, der Roman fand letztendlich eine Heimat bei Le Seuil. Die Familie des Bankiers klagte, französische Intellektuelle setzten sich für die Freiheit der Fiktion ein, unter anderen unterschrieben Michel Houellebecq, Philippe Dijan, Frédéric Beigbeder und Bernard-Henri Lévy.
Wenn "Streng" in diesen Tagen nun auf Deutsch erscheint, umweht das Buch also bereits etwas Skandalöses. Bei genauer Betrachtung kann der Roman jedoch mit der Qualität der Diskussion, die sich in Frankreich um ihn entfachte, gar nicht mithalten.
Aus der Ich-Perspektive der Frau berichtet Jauffret über eine Beziehung, die von Beginn an die Grenzen zwischen Eros und Thanatos auslotet. Man ernährt sich von Champagner und Antidepressiva, Revolver werden geküsst, Latexanzüge gekauft, Frauen in Schulmädchenröcke gesteckt. Und all das geschieht in einer hyperpräzisen, emotionsarmen Erzählweise, die sich zum Beispiel so anhört: "Sein Lächeln war weiß, er bleckte die Zähne. Er riss mich vom Boden. Trug mich auf seinen Armen wie ein Beutemädchen, das der Sieger im Krieg vom Verlierer bekommt. In diesen Augenblicken war ich mehr wert als das Meer aus Geld, in dem er seit seiner Geburt schwamm. Er warf mich in seinen Jet."
Schön liest sich das nicht. Nominalsätze machen noch lange keine Literatur. Peitschen und Latex auch nicht. In Frankreich haben manche Kritiker Jauffrets Buch in die Tradition von Honoré de Balzac oder Truman Capote gerückt, die sich ebenfalls von realen Kriminalfällen inspirieren ließen. Doch die methodische Verwandtschaft von "Streng" besteht vielmehr zu einem anderen Genre: eher Boulevard als Balzac. Anne-Dore Krohn
Liebe im Eisschrank: Helmut Kraussers "Die letzten schönen Tage"
Schon wieder ein Kätzchen. Auf der Berlinale konnte man gerade in Miranda Julys gefeiertem Beziehungsdrama "The Future" zwei emotional unterversorgte Mittdreißiger ein todkrankes Tierchen päppeln sehen, und auch in Helmut Kraussers neuem Roman "Die letzten schönen Tage" kümmert sich ein egomanischer Werbefotograf in den besten Jahren um eine malade Muschmusch. Weil das Haustier der verreisten Mutter in seiner Obhut allerdings nichts essen will, verreckt es zügig und landet im heimischen Eisschrank.
Eisschrank ist dann auch ein gutes Wort, um die Stimmung zu beschreiben, die in Kraussers Berlin-Roman herrscht. Erzählt wird die Geschichte einer Dreierbeziehung irgendwo zwischen Werber- und Wissenschaftsmilieu, zwischen Berghain und Humboldt-Universität.
Eigentlich scheinen David, der Fotograf, und Serge, der Texter, sowie dessen Freundin Kati nur um sich selbst zu kreisen: David will am Anfang von Kati schnellen Sex, Kati von David die härtere Gangart im Bett, die Serge ihr vorenthält, und Serge von Kati wenigstens ein paar tröstende Worte. Der Mann ist beim letzten Meeting in seiner Firma durchgedreht und hat sich wortwörtlich in die Hose gemacht, jetzt soll er sich auf Malta erholen. So kleben die drei aneinander, ohne wirklich zueinander zu finden.
Berliner Werber-Pack eben, wen interessiert's? Doch dann passiert plötzlich etwas in Kraussers multiperspektivischem Ego-Reigen: Während man mit David durch irgendwelche Kokserbars zieht, mit Serge in dessen soziopathisches Hirn hinabsteigt und sich gemeinsam mit Kati um Serges Genesung sorgt, kommt man den Figuren näher, versteht ihre Sehnsüchte und ihren Selbstbetrug, ihren schiefen Stolz und ihre ungeschickt kaschierte Angst.
Helmut Krausser ist eine Art Fachmann für Historisches und Horizontales. Nach Großwerken wie "Melodien" und "Eros" hat sich der Vielschreiber inzwischen schon mehrmals in einem Genre bewährt, das man den schnellen unverbindlichen Sexroman nennen könnte, siehe den Berliner Triebstaureigen "Einsamkeit und Sex und Mitleid" von 2009. Aber wie dort tun sich auch in "Die letzten schönen Tage" im so lieblos anmutenden In-, Auf- und Untereinander der Protagonisten spannende soziosexuelle Abhängigkeitsverhältnisse auf. Gelegentlich kommt es einem beim Lesen sogar so vor, als würden die drei Berliner Charakterattrappen so etwas wie Liebe empfinden.
Nur die Katze, die bleibt verhungert im Eisschrank liegen. Christian Buß
Trauriger Tiefgaragensex: Deborah Kay Davies' "Bedingungslos"
So was kann der besten Sachbearbeiterin passieren: dass ein blonder knackiger Kerl vorm Schalter steht, einen mit sexistischen Sprüchen blöd ergeben grinsen lässt und nach Dienstschluss prompt in die nächste Tiefgarage zerrt. Nicht gerade sanft, der Typ, aber danach doch fürsorglich auf seine Art: schubst einen ins Taxi und vergisst nicht mal, das Höschen hinterherzuwerfen.
Bei aller Sorgfalt hat jedoch die schöne neue Lederjacke unter der Nummer an der Garagenwand arg gelitten, merkt die Frau zu Hause. Und kommt ein wenig ins Grübeln. "Ich legte mich aufs Bett und redete mit mir selbst. Wo lag eigentlich das Problem? Es gab Unmengen von netten, völlig normalen Mädchen, die ständig in Tiefgaragen rumvögelten", setzt die Ich-Erzählerin sich mit ihrer walisischen Umwelt in Verhältnis, und der Leser fragt sich: Was ist da los in Cardiff?
Die Frage bleibt leider ohne Antwort, und weil auch der jungen Frau die Abgleichung ihres unterirdischen Abstechers mit der landesüblichen Sexualnorm nicht wirklich weiterhilft, sucht die Verwirrte erst mal Trost bei den Eltern: "Im Haus klapperte meine Mutter mit dem Besteck. Der Lammbraten roch köstlich. Ich stand just in dem Moment auf, als sie mir zurief, ich solle ihr ein Sträußchen Minze bringen. Während ich die hellen, flaumbedeckten Stiele pflückte, merkte ich, dass mir Tränen des Glücks aus den Augen liefen."
Tränen des Glücks? Oder doch eher solche, die sich der Einsicht in gemeinsames Leid verdanken, sozusagen Tränen unter Geknickten? Geschenkt. Die Ich-Erzählerin verschwendet ihre Zeit ungern an einen zweiten Gedanken. Ihr Horizont reicht kaum über die Kohlehalden um Cardiff hinaus. Zugleich aber hält ihr flinkes Mundwerk ihren Verstand so weit auf Trab, dass sie eigentlich ohne größere Blessuren durchs Leben kommen könnte - wäre sie nicht ausgerechnet der Autorin als Heldin dieses Romans in den Sinn gekommen.
Denn was wie der x-te Aufguss des Frauenmagazin-Klassikers "Mein peinlichstes Abenteuer" noch halbwegs genießbar beginnt, entwickelt sich zu einer krude zusammengeschusterten Story über sexuelle Hörigkeit, die auf Schock komm raus eine bizarre Szene an die nächste reiht, um plump im Horrorgenre zu enden. Das Problem der Frau ist nicht, dass sie erkennt, auf schmerzhaften, erniedrigenden Sex zu stehen, sondern dass sich der blonde Kerl vom Schalter als animalisch-asozialer Dämon entpuppt, der sich ihrer Existenz komplett zu bemächtigen droht.
Und das Problem dieses Romans ist weniger die drastische Schilderung diverser Sexpraktiken und Verwahrlosungsstadien als die atemberaubende Ignoranz, mit der er das diffizile Abhängigkeitsverhältnis für seine kitzligen Effekte ausbeutet. Wenn die Erzählerin schließlich den "Feind in meinem Bett" nach dumpfem Hollywood-Vorbild erledigt, ist sie endlich zur Heldin eines Schundromans geworden. Kann Sachbearbeiterinnen mitunter passieren. Hans-Jost Weyandt