Neue Schindler-Biografie Zweifel am Helden-Image
Der Film etablierte Steven Spielberg endgültig als einen der bedeutendsten Filmemacher Amerikas, es gab einen Regie-Oscar und einmal mehr die Gewissheit, dass selbst in schlimmsten Zeiten Menschen dem Terror Paroli bieten. "Schindlers Liste" machte den sudetendeutschen Geschäftmann Oskar Schindler, der mehr als 1000 Juden vor den Nazis rettete, zum postumen Weltstar.
Doch jetzt werden Zweifel am Helden-Image Schindlers laut. Schindler habe mit der berühmten Liste mit Namen jüdischer Arbeiter, die vor der Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz bewahrt wurden, "fast nichts zu tun gehabt", erklärte der amerikanische Historiker und Sachbuchautor David M. Crowe der "New York Times".
Wie die Zeitung berichtete, bringe Crowes exzellent recherchierte Biografie* "Schindlers dunkle Seite" zum Vorschein. Schon lange sei bekannt, dass der Unternehmer "ein Agent für die deutsche Spionageabwehr" gewesen sei. Der 1974 verstorbene Schindler habe dies zeit seines Lebens heruntergespielt, doch Crowe, der sich auf bisher unbekannte Briefe und Dokumente stützt, behauptet, dass der spätere Wohltäter ein "gefährlicher Spion großen Kalibers" gewesen sein. Schindler sei unter anderem Befehlshaber jener Geheimdiensteinheit gewesen, die den Überfall auf Polen vorbereitete.
Jene "Liste Schindlers" habe es nicht in dem Sinne gegeben, wie der Film sowie der 1982 erschienene Roman von Thomas Keneally, der Spielberg als Basis diente, dies darstellten, legt Crowe nach Angaben des Blattes in der Biografie dar.
Der Autor bestätigt allerdings, dass sich Schindler tatsächlich für die Rettung von Juden eingesetzt habe. Jedoch sei Crowe zufolge die "Legende" von der Liste "teilweise durch Schindler selbst aufgebracht worden, um sein Heldentum auszuschmücken". In Spielbergs Film händigt der von Liam Neeson gespielte Schindler dem Verwalter seiner Emaillefabrik in Polen eine Liste mit Namen von Juden aus, die in Sicherheit gebracht werden sollen. Crowe allerdings erklärte, der historische Schindler habe zu dieser Zeit im Gefängnis gesessen, da er versucht habe, den SS-Kommandanten Amon Göth (im Film von RalphFiennes dargestellt) zu bestechen. Auch der Verwalter Itzhak Stern, im Film von Ben Kingsley verkörpert, habe zu jener Zeit nicht für Schindler gearbeitet.
In Wirklichkeit habe es insgesamt neun Namenslisten gegeben, erklärte Crowe. Die ersten vier seien hauptsächlich von Marcel Goldberg zusammengestellt worden, einem korrupten Polizisten, der einem für den Transport von Juden zuständigen SS-Offizier assistierte. Schindler habe dafür zwar einige Namen empfohlen, berichtet die Zeitung unter Berufung auf Crowe, jedoch habe er die meisten der auf den Listen aufgeführten Menschen nicht gekannt. Wer die anderen fünf Namenslisten zusammengestellt habe, konnte bis jetzt nicht ermittelt werden.
Über Spielbergs Leistung als Regisseur äußerte sich Crowe sowohl mit Anerkennung als auch mit Skepsis. "Steve ist ein wunderbarer, empfindsamer Mensch", so der Geschichtswissenschaftler über den Regisseur. Aber "Schindlers Liste" sei "Theater" und dies nicht in "historisch akkurater Weise". Der Film vereinfache bis an die "Grenze zur Lächerlichkeit".
Spielberg selber sei momentan bei Dreharbeiten und habe für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung gestanden, meldete die "New York Times". Sein Sprecher Marvin Levy erklärte jedoch der Zeitung in einer E-Mail-Nachricht, es "sei nicht wirklich überraschend, dass neue Erkenntnisse oder angebliche Informationen auftauchten", zumal Schindler "eine sehr rätselhafte Figur" gewesen sei.
Der frühere Präsident der von Spielberg gegründeten Shoah Visual History Foundation, Michael Berenbaum, betonte den Unterschied von Künstler und Historiker. "Man tut weder dem Roman noch dem Film noch der Geschichte Unrecht, wenn man sagt, die Historie sei um einiges komplexer", so Berenbaum. Auch der Schriftsteller und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel sprach sich für ein Nebeneinander von Fakten und Fiktion aus, Crowe habe letztlich nichts am Schindler-Gedenken geändert, sondern ihn vielmehr noch "humaner und außerordentlicher" gemacht.
David M. Crowe: "Oskar Schindler: The Untold Account Of His Life, Wartime Activites and the True Story Behind the List" ist am 1. November bei Westview Press, Boulder Colorado erschienen; 766 Seiten, ca. 30 Dollar