Neuer Houellebecq-Roman Das letzte Wort in Sachen Sex-Tourismus
Seit heute ist Houellebecqs neues Werk in den französischen Buchläden erhältlich. Pünktlich zum Erscheinen von "Plateforme" regte sich massiver Protest von Seiten des Verlegers Philippe Gloaguen, Herausgeber der erfolgreichen Reiseführer-Reihe "Guide du Routard", der seine Produkte in dem Roman verunglimpft sieht. Tatsächlich werden die beliebten Bücher von Houellebecq des "vulgären Elitismus", "aggressiven Masochismus" und der "Prüderie" bezichtigt. Voilà, Frankreichs Enfant terrible des Literaturbetriebs hat erfolgreich einen neuen Skandal ausgelöst, der Bücher-Herbst ist gerettet.
Natürlich geht es in "Plateforme" nicht nur um Gloaguens Reiseführer. Das Buch beschreibt die Erlebnisse des vermutlich semi-autobiografischen Touristen Michel, der durch die Prostituierten-Hochburgen Thailands vagabundiert, um seine schier unstillbare Sex-Gier zu befriedigen. Der Sex-Tourismus kommt gut weg bei Houellebecq, der laut einem Bericht des britischen "Guardian" behauptet, dass sein Roman zeigen soll, wie sehr die Leute in der westlichen Welt vergessen haben, wie man liebt. Als Resultat dieser sexuellen Unfähigkeit wurde, so Houellebecq, der Sex-Tourismus geboren, unterstützt von Millionen Individuen, die nichts anderes zu verkaufen hätten als ihren Körper. An einer Stelle in "Plateforme" sagt Michel: "Es ist einfach zu verstehen: Dies ist eine Situation des idealen Austauschs."
Ein anderer westlicher Charakter in Houellebecqs Roman feiert die Freuden der Thai-Stadt Pattaya: "Dort bekommt jeder, was er will, es gibt etwas für jeden Geschmack: Homosexuelle, Heterosexuelle, Transvestiten... Es ist wie Sodom und Gomorrha in einem. Tatsächlich ist es sogar besser, denn es gibt auch Lesben!" Die französische Zeitung "Le Monde", die gestern eine ganze Seite opferte, um einen Auszug aus "Plateforme" zu veröffentlichen, bemüht sich um die Verteidigung des Autors: Der Roman entlarve "in Houellebecqs kaltem und distanziertem Stil den moralischen Zynismus, mit dem sich skrupellose Menschen gerne schmücken". Argumente, die den als Heuchler und "humanitären Protestanten-Schwachkopf" beschuldigten Reiseführer-Magnaten Gloaguen kaum besänftigen dürften.
Houellebecqs neuester Streich entfacht pünktlich zur beginnenden Herbstbücher-Saison einen neuen Skandal, nachdem die Empörung über die sexuellen Enthüllungen der Journalistin Catherine Millet ("Das sexuelle Leben der Catherine M.", auf Deutsch im Oktober) gerade abgeklungen ist. In dem Buch wird unter anderem geschildert, wie die Autorin, Chefredakteurin des angesehenen Kunst-Magazins "art press", sich - unter Duldung ihres Ehemanns - orgiastischen Sex-Spielen mit Fremden hingibt. Der provozierende Exhibitionismus des Bestsellers wurde selbst von dem Soziologen und Kritiker Jean Baudrillard mit Naserümpfen quittiert. Im vergangenen Jahr erregten sich die französischen Gemüter über Frédéric Beigbeders zynische Werber-Beichte "Neununddreißigneunzig" und die Inzest-Phantasien der Schriftstellerin Christine Angot.
Skandale, Skandale, Skandale. Ausgelöst wurde die neue, provokante Welle französischer Literatur-Realisten natürlich durch Houellebecq selbst, der mit seinem dünnen Debüt-Roman "Ausweitung der Kampfzone" als erster Literat des neuen Jahrtausends einen schockierenden Blick hinter die Kulissen der bürgerlich-westlichen Welt warf. Mit seinem zweiten Buch "Elementarteilchen" konsolidierte der inzwischen in Irland lebende 43-Jährige seinen Ruf als Provokateur und Gesellschaftszyniker, der nun mit "Plateforme" erneut einen Spiegel in die Hand genommen hat, um der moderne Welt ihre ganze Hässlichkeit vorzuführen. Die programmierte Abscheu der Religiösen, Humanitären, Schöngeister und aufrechten Kritiker wird ihm bestätigende Genugtuung und ein dünnes Lächeln entlocken...
Andreas Borcholte
Michel Houellebecq: "Plateforme". Flammarion, Paris; 369 Seiten; 131,20 Francs/ 20,00 Euro.