Neuer Roman von Gilles Leroy Rettung unerwünscht

Eine depressive Frau verschanzt sich in ihren eigenen vier Wänden. Doch was passiert, wenn ein Wirbelsturm an diesen Wänden rüttelt? Frankreichs Literaturstar Gilles Leroy zeichnet ein erschütterndes Frauenporträt.
Von Laura Hamdorf
Autor Gilles Leroy: Roman als Tagebuch

Autor Gilles Leroy: Roman als Tagebuch

Foto: John Foley

Zola sitzt im ersten Stock ihres Hauses und schaut aus dem Fenster. Der Baum, der immer auf der anderen Straßenseite stand, ist fort. Aufgedunsene Körper, Autos und Zäune treiben vorbei. "Manchmal kann man auf einem Leichenrücken eine Ratte reisen sehen. Eine Ratte auf Kreuzfahrt. Das ist die Wucht." Zola öffnet langsam eine Dose Bier, streichelt ihrer Hündin über den Kopf und wartet - nicht auf ihre Rettung, sondern auf den Moment, der sie zurückbringt zu ihrem Sohn Caryl. Er ist tot, schon seit einigen Monaten.

Katrina

Der Franzose Gilles Leroy hat für "Alabama Song", einen Roman über die Liebe zwischen Zelda und F. Scott Fitzgerald, 2007 den Prix Goncourt bekommen, Frankreichs begehrtesten Literaturpreis. Nun ist ihm erneut ein erschütterndes Frauenporträt gelungen, eingebettet in die Katastrophe durch den Wirbelsturm in New Orleans 2005.

Alkoholikerin mit scharfer Zunge

Die pensionierte Lehrerin Zola Jackson hat den Verlust ihres Sohnes und ihres Mannes verkraften müssen. Sie schläft und isst kaum noch, trinkt dafür umso häufiger. Nachbarn meiden sie, um ihrer scharfen Zunge zu entgehen. Was ihr noch bleibt, ist das Haus, das einst ihr Mann für sie ausgebaut hatte, und die Hündin Lady. Und nun will eine Naturkatastrophe sie zwingen, beides hinter sich zu lassen.

Inmitten von Tod, Heldentum und Medienzirkus verliert sie sich in Tagträumen, in denen ihr Sohn Caryl zu ihr spricht. Schlafmittel und Alkohol lassen sie die Ruhe spüren, die es braucht, um dem Ende entgegenzusehen. Den Glauben an Gott hat sie aus ihrem Leben verbannt: "Ich würde mich übergeben, wenn ich weiter betete. Worum sollte ich denn den Himmel bitten? Der Himmel, das ist doch genau das, was uns auf die Fresse fällt."

Sarkasmus als Schutzschild

Leroy hat seinen Roman als Tagebuch Zolas angelegt, in dem sie ihre Schwächen preisgibt: Ordnungsliebe und Klischeeversessenheit kaschieren die Angst, ihren Sohn zu vergessen. Ihr todschwarzer Humor hält sie über Wasser - auch wenn ihr Haus langsam untergeht.

Leroy zeichnet mit feiner Linie ein Bild Zolas - derb, zitternd vor Schwäche, hasserfüllt. Dies gelingt ihm besonders durch Zeitsprünge. Zola präsentiert sich als junge Mutter, als ältere Frau, die ihren Sohn verzweifelt an sich binden will, und als zurückgelassene Witwe. Leroy versteht es, die naiven Niederschriften seiner Protagonistin zur Verpackung brennender Trauer werden zu lassen. Je abgeklärter ihre Aussagen sind, umso deutlicher schimmern ihre Schicksalsschläge hindurch.

Es bedarf einer Naturkatastrophe, um sie zu einer Entscheidung über ihr Leben zu zwingen.

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