Sally Rooneys neuer Roman Nur die Liebe zählt? Normal!

"Normale Menschen": Szene aus der Serien-Verfilmung des Romans mit Marianne Sheridan (Daisy Edgar-Jones) and Connell Waldron (Paul Mescal)
Foto: Enda Bowe / Element PicturesUm es gleich zu sagen: Der zweite Roman von Sally Rooney ist deutlich besser als ihr erster. Wer also "Gespräche mit Freunden" gelesen und gemocht hat, wird mit "Normale Menschen" noch mehr Freude haben. Wer das erste Buch gelesen und nicht so gut fand, sollte jetzt noch mal einen Versuch wagen. Und wer noch nichts von der Autorin gelesen oder sogar gehört hat und sich jetzt fragt, was die Aufregung denn eigentlich soll, dem kann man sagen: Lies doch bitte "Normale Menschen" und entscheide dich dann, ob es egal oder fantastisch ist. Es geht auch schnell. Versprochen.
Sally Rooney ist 29 Jahre alt, Irin, und hat den Ruf, die beste Autorin ihrer Generation zu sein. Ihr Verlag verkauft sie als den "Salinger für die Snapchat-Generation". Nun wird das ja sehr gern behauptet, aber bei Rooney, da war man sich sicher, sei das nun ausnahmsweise wirklich so. "Gespräche mit Freunden" war ein großer Erfolg, "Normale Menschen" (im Original: "Normal People") ein noch größerer. Er verkaufte sich laut "New York Times" seit seiner US-Veröffentlichung im April 2019 über 1,5 Millionen Mal. Jetzt erscheint er endlich auch in deutscher Übersetzung.
Es geht in beiden Romanen um intelligente junge Menschen, die sich verlieben und mit den daraus resultierenden Problemen umgehen müssen. Denn Liebe, die ist ja kompliziert. Schon die lapidaren Titel der Bücher deuten an, dass hier nichts Außergewöhnliches passieren wird - und sind gleichzeitig auch ein angenehm uneitles Understatement, denn natürlich ist letztlich doch ganz groß, was hier verhandelt wird. Es ist dieser Widerspruch, der Rooney so interessant macht.
Vieles ist flüchtig, nur die Liebe nicht
"Normale Menschen" handelt von Connell und Marianne, die zusammen in eine Schulklasse gehen, fürs Studium aus der Kleinstadt nach Dublin ziehen, zusammenkommen, sich wieder trennen, trotzdem wieder Sex haben. Sie machen Erasmus, Interrailurlaub, probieren auch mal Drogen aus. Das Durchschnittsleben junger urbaner Menschen in Westeuropa also. Nichts Besonderes. Oder?
"Es ist nicht das Gleiche mit anderen", sagt Marianne einmal nach dem Sex zu ihrem, ja was eigentlich, Freund? "Ich weiß", antwortet Connell. Sie wissen aber auch ziemlich vieles nicht: was sie studieren wollen, wie sie mal leben wollen, was genau sie füreinander sein wollen. Ihr Leben ist geprägt von Unsicherheiten, und auch darin sind sie typisch für ihre Generation. Die Jobaussichten sind mau. Der Beziehungsstatus ungeklärt. Der Sex, immerhin, ist frei. Aber diese Freiheit führt auch zu Problemen. Will Marianne wirklich erniedrigt werden im Bett? Oder ist das nur ein Weg der Selbstbestrafung, weil sie sich selbst so verachtet?
Dass ihre Beziehung eine besondere ist, dass das, was zwischen ihnen passiert und das man für gewöhnlich mit dem etwas hilflosen Begriff "Chemie" beschreibt, unschätzbar kostbar und einzigartig ist - das scheint das Einzige zu sein, was sie genau wissen. Das Einzige, was nicht flüchtig, austauschbar oder relativ ist. Ihre Liebe, und das muss man jetzt so pathetisch sagen, ist wie ein Anker für die beiden. Sie rettet sie vor der Depression. Sie rettet sie vor der Selbstverachtung. Sie rettet sie vor der Beliebigkeit.
In dieser Hinsicht ist "Normale Menschen" sehr altmodisch, wenn nicht traditionell. Liebe ist hier nur vordergründig etwas Aufregendes, in Wahrheit entpuppt sie sich als Sicherheitsfaktor.
Was Rooneys Geschichten, "Normale Menschen" noch mehr als "Gespräche mit Freunden", so auszeichnet, ist ihre Sprache. Sie ist vollkommen frei von Pathos. Es gibt keine Bilder, keine Metaphern, keine Poesie. Klar und schnörkellos erzählt sie, wie zwei Menschen sich finden, um einander Halt zu geben. Das ist tröstend. Und gleichzeitig traurig. Denn so steht und fällt natürlich auch alles mit der Liebe. Wehe dem, der sie nie findet oder verspielt.
Auch das ist wieder so ein Rooney-Paradox: Die alltägliche, einfache Sprache macht die Figuren und die Geschichte, die sie durchleben, erst besonders. Sie ermöglicht eine ungeheure Identifikation der Leser und Leserinnen mit den Figuren. Und da man sich selbst, vor allem als junger Mensch, ja nie normal fühlt, sind diese ganz normalen Leiden etwas Besonderes. Denn sie sind ja die eigenen.