Norman Mailer gestorben Wilder Mann der US-Literatur

Der weltbekannte US-Schriftsteller Norman Mailer ist tot. Er starb im Alter von 84 Jahren an Nierenversagen. Über Jahrzehnte galt Mailer als einer der prominentesten und einflussreichsten Kritiker der amerikanischen Gesellschaft.

Hamburg - Nach Angaben seines Agenten J. Michael Lennon, der auch Biograf des Autors ist, starb Norman Mailer am frühen Morgen im Mount Sinai Hospital in New York. Mailer wurde 84 Jahre alt und starb an Nierenversagen. Im Oktober hatte sich Mailer einer Lungenoperation unterziehen müssen.

Norman Mailer galt über Jahrzehnte als "Enfant terrible" der amerikanischen Literatur. Er provozierte und war zeitlebens ein scharfzüngiger Kritiker des Gesellschaftssystems der USA. In die Schlagzeilen geriet Mailer auch wegen Alkohol- und Drogenexzessen. Sein großes Vorbild war Ernest Hemingway. Anders als seinem Idol blieb Mailer jedoch der Literatur-Nobelpreis versagt, wenngleich er wiederholt als Kandidat für diese höchste literarische Auszeichnung genannt wurde.

In den letzten Jahren sah sich Mailer als Vertreter einer aussterbenden Spezies. "Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Schriftsteller meiner Generation die Letzten der Mohikaner sind", sagte er 1995 in einem SPIEGEL-Interview. "Nach uns werden die Bücher vielleicht nur noch von Computern geschrieben. Wir sind auf dem Rückzug." Die Literatur in den USA werde immer bedeutungsloser, beklagte er.

Zu Weltruhm gelangte Mailer schon mit seinem ersten Roman, den er Ende 1948 mit 25 Jahren vorlegte. In "The Naked and the Dead" (Die Nackten und die Toten) prangert er die Unmenschlichkeit des Krieges an. Kritiker priesen das Buch, in dem Mailer die eigenen Erlebnisse als Soldat im pazifischen Raum zum Ende des Zweiten Weltkriegs verarbeitete, überschwänglich als den größten Kriegsroman des 20. Jahrhunderts. Der Roman wurde in fast alle Weltsprachen übersetzt und verfilmt. Neben der Brutalität des Krieges setzt sich der Autor in dem Buch auch mit der Kluft zwischen der sozialen Realität und dem Anspruch der amerikanischen Gesellschaft von Freiheit und Selbstverwirklichung auseinander, ein Thema, das sich durch nahezu alle Schriften Mailers zieht.

Geboren wurde Mailer am 31. Januar 1923 in Long Branch im US- Staat New Jersey als Sohn einer jüdischen Familie. Er wuchs im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Von 1939 bis 1943 studierte Mailer am Harvard College Flugingenieurswesen und schloss mit einem Bachelor of Science ab. Mit dem Schreiben befasste er sich bereits ab 1941. In verschiedenen Schriftstellerkursen lernte er nach eigenen Worten, "wie man es nicht machen soll". Als Soldat war Mailer von 1944 bis 1946 auf den Philippinen und in Japan im Einsatz. Danach wandte er sich endgültig der Schriftstellerei zu. In seinen umfangreichen Arbeiten ließ sich Mailer nicht auf den Romanautor festlegen.

Sein Werk sprengt oft konventionelle Gattungsgrenzen. In Abkehr von tradierten Erzählformen entwickelte er unter anderem in "The Armies of the Night" (1968; deutsch: "Heere aus der Nacht") und "The Executioner's Song" (1979; deutsch: "Gnadenlos - das Lied vom Henker") die Form des "non-fiction novel", einer Synthese von Reportage und autobiografischem Roman. Für beide Werke erhielt er den renommierten Pulitzer-Preis. "Heere aus der Nacht" ist eine Reportage über den Protestmarsch von Gegnern des Vietnamkrieges auf das Pentagon im Oktober 1967, an dem Mailer selbst als Demonstrant teilnahm. In "Gnadenlos - das Lied vom Henker" berichtet Mailer über die Hinrichtung des Doppelmörder Garry Gilmore.

Seine politischen und ästhetischen Überzeugungen legte Mailer in dem 1957 erschienenen Essay "The White Negro" (Der weiße Neger) dar, in dem sich existenzialistische Weltsicht, Kulturkritik, Faszination durch Sexualität und Gewalt sowie die Hoffnung auf individuellen Bewusstseinswandel widerspruchsvoll mischen. Dass Mailer in seinen Schriften die menschliche Existenz immer wieder auf Sex, Gewalt und Tod reduziert, führte vor allem zu seinem Ruf als Provokateur und "Enfant terrible". Dazu trug aber auch sein Privatleben bei. Drogen- und Alkoholkonsum brachten ihn wiederholt in die Schlagzeilen. "Das Trinken hat meine Gesundheit geschädigt, und ich bin durch höllische Phasen gegangen", bekannte er einmal.

Schlagzeilenträchtig waren auch seine sechs Ehen. 1960 stach Mailer während eines Streits seine zweite Frau nieder; wegen Körperverletzung wurde er deshalb zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Auch in der Politik versuchte sich Mailer: 1969 kandidierte er bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei für das Bürgermeisteramt von New York. Auch mit seinem letzten Roman, "Das Schloss im Wald" eckte Mailer an: er versuchte darin, Hitlers Taten literarische mit dem Wirken des Teufels zu erklären. Mailer wehrte sich gegen den Vorwurf, er verharmlose damit die Verbrechen des Nationalsozialismus. In einem Interview von "Welt Online" sagte er: "Ich glaube, der Teufel war im Herzen Adolf Hitlers. Hitler war kein besonders beeindruckender Mensch. Er war hysterisch, eine Heulsuse, hat regelmäßig Tobsuchtsanfälle bekommen. Und doch war er als Politiker in gewisser Weise genial. Ich tendiere dazu anzunehmen, dass eine fremde Macht dahintersteckte."

In einer Bilanz seines Lebens sagte Mailer vor einigen Jahren: "Mein Leben war nicht immer wunderschön, aber ich kann mich nicht beklagen."

Wolfgang Künzel, AP

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