Pakistanische Polit-Burleske Lüstling an der Macht

Ein Mordkomplott gegen einen unter Verstopfung leidenden Tyrannen, betrieben von schwulen Kadetten - und das im islamischen Pakistan. Mohammed Hanif hat sich weit vorgewagt mit seinem satirischen Thriller "Eine Kiste explodierender Mangos". Doch die Leute im Land lieben das Buch.

Lockenschopf, Bartstoppeln, leichter Bauchansatz: Mohammed Hanif sieht nicht aus, als habe er viel mit dem pakistanischen Militär am Hut. Dabei diente er sieben Jahre als Soldat in der Pakistan Air Force. "Ich war 16, als ich anfing", sagt er. "Die meiste Zeit war ich in der Ausbildung zum Piloten. Danach habe ich die erstbeste Chance genutzt, das Militär zu verlassen." Die Armee, sagt Hanif, "ist ein ziemlich verrückter Kosmos, eine Welt für sich".

Der heute 44-Jährige wuchs auf im Pakistan von General Zia ul-Haq, jenem fanatisch-religiösen Herrscher, der sich 1977 an die Macht putschte. Seinen Vorgänger, den ersten demokratisch gewählten Regierungschef des Landes, Zulfikar Ali Bhutto, ließ Zia ul-Haq ins Gefängnis werfen und zwei Jahre später, trotz weltweiter Proteste, hängen.

Am 17. August 1988, als die Menschen in Pakistan schon befürchteten, ihn nie mehr loszuwerden, kam der General unter mysteriösen Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben - und mit ihm der US-Botschafter Arnold L. Raphel sowie "die gesamte Lametta-Riege der pakistanischen Armee".

Seither ranken sich unzählige Gerüchte darum, weshalb die Maschine abstürzte: War eine Bombe in einer Kiste Mangos plaziert, die ul-Haq kurz zuvor geschenkt bekommen hatte? Steckte der mächtige Geheimdienst ISI dahinter? Oder ein General, der sich selbst für den besseren Herrscher hielt?

Folterkeller aus der Shampoo-Werbung

Hanif hat zwölf Jahre in London gelebt und als Journalist gearbeitet, zuletzt als Chef des Urdu-sprachigen Dienstes der BBC. Er verarbeitet all diese Mordtheorien in seinem Roman - und erfindet gleich ein paar dazu.

Da ist zum Beispiel der junge Luftwaffenkadett Ali Shigri, der seinen Vater rächen will. Der war ebenfalls Offizier und leitete einen Guerilla-Einsatz in Afghanistan im Krieg gegen die sowjetischen Besatzer. Eines Tages baumelte er tot an dem Ventilator an der Zimmerdecke, aufgehängt an einem Bettlaken. Der junge Shigri, der Ich-Erzähler, muss daraufhin unterschreiben, dass er keine Autopsie wünsche und dass er trotz fehlenden Abschiedsbriefs von einem Selbstmord ausgehe.

Hanif dichtet seinem Helden auch noch eine Affäre mit seinem Kameraden Obaid an. Der will Shigri bei der Ermordung ul-Haqs helfen. Ausgerechnet ein schwules Paar soll hinter dem Tod des Diktators stecken?

Doch eines Tages verschwindet Obaid plötzlich - und Shigri landet in einem Folterkeller in Lahore. Das Gebäude kannte er bislang nur aus einer Shampoo-Werbung.

Homosexualität steht in Pakistan unter Strafe, umso mehr Vergnügen bereitet es Hanif, diese Romanze einzubauen. "Das Militär ist ein geschlossenes, von Männern dominiertes System. Das ist wie in einem Internat für Jungen oder in der Kirche: Es ist völlig normal, dass junge Menschen Nähe zueinander suchen. Und wenn Männer nur Männer finden, dann ist das eben so. Das passiert in der ganzen Welt - auch in Pakistan", sagt Hanif. Merkwürdigerweise hätten ihn vor allem Leser aus westlichen Ländern auf das Thema Homosexualität angesprochen. "In Pakistan hat mich niemand danach gefragt."

Seit einem Jahr lebt der Journalist als Korrespondent der BBC in der südpakistanischen Metropole Karatschi. Gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn ist er zu einer Zeit in sein Heimatland gezogen, in der die Taliban versuchen, Boden in Pakistan zu gewinnen. Doch von einer Radikalisierung des Landes fürchtet er sich nicht. "Ich glaube nicht, dass die Taliban Pakistan beherrschen werden."

Vermächtnis Zia ul-Haqs wirkt bis heute nach

Viele Menschen hätten die Taliban lange Zeit unterstützt, weil sie gegen die Amerikaner waren - und die haben bisher alle Diktatoren in Pakistan unterstützt. Erst, als die Taliban ihren Einflussbereich im Land ausdehnten und selbst im bislang bei Touristen beliebten Swat-Tal ihr wahres Gesicht zeigten, Feinde öffentlich hinrichteten und angeblich antiislamisches Verhalten mit öffentlichem Auspeitschen bestraften, hätten die Menschen kapiert, dass man nicht für die Taliban sein muss, nur weil man gegenüber den USA ein eher distanziertes Verhältnis pflegt.

Zwar traute sich kein pakistanischer Verlag, Hanifs Buch herauszubringen, aber nachdem es in Großbritannien und in den USA ein Erfolg war, und der Autor unter anderem für den angesehenen Man-Booker-Preis nominiert wurde, brachte ein indischer Verlag den Roman in Pakistan auf den Markt. Für 378 Rupien, umgerechnet 3,30 Euro, gibt es ihn nun zu kaufen.

Die Leser und die Presse sind begeistert - wohl auch, weil viele Pakistaner Zia ul-Haq für einen schlechten Herrscher halten, dessen Vermächtnis, dazu gehören die Aufrüstung und Unterstützung der Taliban im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan, bis heute nachwirkt. Seine Politik - und die der US-Regierung unter Ronald Reagan - hat die Taliban erst stark gemacht. Wie die Taliban ließ auch ul-Haq öffentliche Hinrichtungen und Auspeitschungen zu. Als er mit seiner C-130 Hercules abstürzte, gab es Menschen, die in den Straßen tanzten.

Und so kommt die Beschreibung eines unter Verstopfung und Bandwürmern leidenden Diktators gut an. Seine Frau hält ihn für einen Lüstling und der General selbst sieht überall Menschen, die ihm nach dem Leben trachten. Sein Leibwächter, natürlich auch ein General, kommt vor seinen Augen zu Tode, als sich bei einer Militärparade sein Fallschirm nicht öffnet - punktgenau schmettert er im Zielkreis in den Tod.

Angst vor Bedrohungen durch Anhänger ul-Haqs, durch religiöse Instanzen oder durch Angehörige des Militärs hat der Verfasser der Thrillersatire nicht. "Insgesamt betrachtet ist Pakistan kein Leseland", sagt Hanif. "Militärs lesen sowieso keine Bücher, und wenn man den Rest der pakistanischen Bevölkerung sieht, so können 40 Prozent nicht lesen. Von den restlichen 60 Prozent kann, wenn überhaupt, die Hälfte Englisch lesen. Und wer das kann, treibt sich lieber zum Shoppen in Dubai herum, als mein Buch zu lesen."


Mohammed Hanif, "Eine Kiste explodierender Mangos", aus dem Englischen von Ursula Gräfe, 383 Seiten, 22,80 Euro, A1 Verlag

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten