
Zentrum für Politische Schönheit: Sand im Getriebe
Politischer Aktivismus Die Diktatur der Schönheit
Die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) sind in der Bundesregierung gefürchtet, weil sie zielsicher die Obszönitäten der Politik entlarven: Einmal rief die Berliner Künstlergruppe dazu auf, Waffenhersteller zu denunzieren, damit diese keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen. Ein anderes Mal klaute sie die Mauerkreuze an der Spree, um die Mahnmale für die Opfer der Asylpolitik an Europas Grenzen neu aufzustellen.
Und im Juni, als Deutschland über die Flüchtlinge zu streiten begann, ließ die Gruppe unter Leiter Philipp Ruch den Körper einer im Mittelmeer ertrunkenen Syrerin nach Berlin bringen und beerdigen. Eine Geste, die manche als "politische Pornografie" empfanden - die aber auch die EU-Abschottungspolitik in ihrem Zynismus auf den Punkt brachte.
Was genau mit dem Begriff der politischen Schönheit gemeint ist, bleibt recht vage. Ruch brachte in einem kürzlich veröffentlichten Interview mit dem SPIEGEL das Beispiel der indischen Regierung, die nach den Anschlägen in Mumbai 2008 jene Angriffe nicht blind vergolten habe. Das interpretierte er als einen "Akt politischer Schönheit". Darauf angesprochen, dass dies eher Politik als Kunst sei, sagte Ruch: "Unsere Politik kennt das Wort Schönheit gar nicht mehr. Sie muss es erst wieder lernen."
Jetzt ist das erste Buch des ZPS-Gründers Ruch erschienen, der nicht nur Künstler, sondern auch Philosoph ist: "Wenn nicht wir, wer dann? Ein politisches Manifest". Der Titel klingt zwar irgendwie danach, aber Ruchs Werk ist kein alltagstaugliches Handbuch zum Widerstand und auch keine aktuelle Analyse deutscher Flüchtlingspolitik.
Ruch liefert stattdessen auf 208 Seiten eine kompromisslose Weltsicht, die vor allem darum kreist, wie "wir" über humanitäres Handeln wieder zu mehr "Schönheit" finden. Das ist als Fortsetzung seiner Aktionskunst konsequent. Einen differenzierten, erhellenden Mehrwert schafft es aber nicht. Denn die Radikalität und der unbedingte Gestaltungswille, die Ruchs Aktionen Schärfe verlieh, führt intellektuell in ein Gesellschaftsprogramm, das sich immer an Verheißung und Größe orientiert, aber zwischen Gut und Schlecht keine Zwischentöne zulässt.
Sätze für Motivationsposter
Die groben Pfeiler: Ruch geht von einem Menschen der Moderne aus, dem die Bedeutung verloren gegangen ist, der in der Fülle lebt, aber lieber schnell weiterzappt, wenn er im Fernsehen Bilder von toten Flüchtlingskindern sieht.
Dermaßen hinüber sind wir laut Ruch vor allem, weil unsere Leben durch ein Primat der Naturwissenschaften und Psychoanalyse entzaubert wurden. "Das, was uns vermeintlich zwangsmäßig im Handeln bestimmt, uns in freien Entscheidungen beschneidet, ist in den Vordergrund des menschlichen Selbstverständnisses gerückt: der Einfluss der Chemie, der Gene, des Milieus, der Kindheit, der ökonomischen Verhältnisse, des Gehirns, des Kapitalismus, der 'kulturellen' Werte."
Ruch setzt aber auf einen Menschen, bei dem die Fähigkeit, die Natur, den Trieb zu überwinden, zwar vergraben sein mag; der aber mündig ist und einen freien Willen besitzt - etwa die Fähigkeit, Gefühle durch den Verstand nach ihrer Güte zu hierarchisieren. Einen Menschen also, der nicht blind vor Hass agieren muss: "Die Irrlehre, wir müssten so handeln, wie wir es fühlen, ist ein Hauptgrund dafür, weshalb sich so viele Menschen selbst verachten oder als sinnlos empfinden. Man sollte vielmehr tun, was man für wünschenswert hält."
Das klingt natürlich erst mal klasse. Ruch schließt seine Gedanken auch manchmal mit Sätzen, so voll poetischer Selbstrührung, dass sie sich manch orientierungsloser Intellektueller gewiss gerne auf ein Motivationsposter drucken würde: "Wir leben in einer Trockenphase der Weltgeschichte. Es gilt, sie mit Schönheit zu tränken."
Behauptungen statt Erklärungen
Tatsächlich hakt die "Schönheit" aber an ziemlich vielen Stellen. Zum einen rein argumentativ: Ruch bedient sich zwar ausgiebig an philosophischer Ideengeschichte und wirft auch mal Absätze zu Globalisierung (gut, gab es ja auch schon in der Antike) und Kapitalismus (nicht Schuld an der Misere) ein. Er behauptet aber vor allem, statt zu erklären.
Ruch macht etwa nicht historisch plausibel, warum die kritisierte Dominanz der Naturwissenschaften und der Psychoanalyse überhaupt zustande kam. Das passt zwar irgendwie zu dem von ihm propagierten Lebensgefühl, laut dem man sich von Verhältnissen und so auch von Geschichte ja ohnehin losmachen kann. Für den Leser ist das aber extrem unbefriedigend.
Zum anderen entwickelt sich, je länger man Ruchs Menschenbild sacken lässt, ein bitterer Beigeschmack, weil er das Handeln vor allem in den Dienst der eigenen Bedeutsamkeit stellt. "Große Menschen haben sich nie an dem orientiert, was ist, insbesondere dann nicht, wenn die Realität ihnen nicht genügte", schreibt er. Man wird das Gefühl nicht los, dass da einer vor allem sich selbst meint.
An anderer Stelle schildert Ruch, wie er Menschen gefragt habe, was das Größte gewesen sei, das sie je getan hatten. Und zeigt sich schockiert, weil viele keine Antwort parat hätten. Ruchs Folgerung ist nicht, dass manche vielleicht einfach kleinere Brötchen backen. Sondern: "Dieses Land weiß überhaupt nicht, was es will und wo es hin will."
Stimmt das? Warum engagieren sich dann etwa Flüchtlingshelfer - über die Ruch in seinem Buch kein Wort verliert? Entspricht ihr Engagement vielleicht nur nicht seiner Idee von Größe?
"Opfer" und "Macher"
Natürlich kann man Ruch inhaltlich recht geben: Man kann blinde Wissenschaftsgläubigkeit kritisieren, objektive Ansprüche etwa als ideologiegetrieben entlarven. Oder sich fragen, ob und warum Psychoanalyse als Nabelschau stehen bleibt, statt in Handeln zu münden. Dazu braucht aber jeder halbwegs kritisch denkende Mensch keinen solchen Weckruf.
Kompromisslos ist das Buch auch, weil in Ruchs Menschenbild stets eine Idee von Selbstverantwortung mitschwingt, die eine schwierige Trennung zwischen Gutem und Schlechtem nahelegt: Größe entsteht bei Ruch eben nicht im Stillen - etwa daraus, innere Widersprüche auszuhalten, oder aus der Anstrengung, im Konflikt immer wieder abzuwägen, ob man sich gegenüber einem anderen für eine Schuldzuweisung oder für Verständnis entscheidet. Ruch schreibt vielmehr: "Macher schieben diese Welt an, während Opfer sich anschieben lassen." Bei der Zweiteilung der Menschheit, die hier anklingt, wird einem unheimlich.
"Wir wiegen uns allzu sicher in einem Hass auf den Kapitalismus", schreibt Ruch. "Wo ist eigentlich der Hass auf die Diktatur?" Tatsächlich ist auch eine Diktatur der Schönheit eine Diktatur. Sie scheint nur heller.

Philipp Ruch:
Wenn nicht wir, wer dann?
Ein politisches Manifest
Ludwig Buchverlag;
208 Seiten; 12,99 Euro.