Philosoph Bernard-Henri Lévy Verführt von Amerika
Man kann nicht gerade behaupten, dass sich Bernard-Henri Lévy anbiedert. Er fällt deutlich auf mit seinem legeren Samtsakko, unter dem er wie immer ein weitaufgeknöpftes Hemd trägt. Seine verwegene Flaneursmähne steht in alle Richtungen ab - er gefällt sich dabei, hier ein wenig aus der Rolle zu fallen. Der französische Philosoph steht vor einer Versammlung streng gekleideter hochrangiger New Yorker Geschäftsleute, um über sein neues Buch "American Vertigo" zu reden. "Ahmehrikähn Vörtigooh" spricht er es aus - und unternimmt dabei nicht die geringste Anstrengung seinen Akzent zu kaschieren.
Lévy will keine Missverständnisse aufkommen lassen - er liebt zwar Amerika; zum Amerikaner taugt er jedoch nicht. Der vielleicht exponierteste europäische Anti-Anti-Amerikaner ist auf Anregung des US-Magazins "Atlantic Monthly" ein Jahr lang durch das Land gereist, das gerade in den USA erschienene Buch ist eine Mischung seiner Beobachtungen und Meditationen während dieser Reise. "Es war wie ein wunderbares langes Wochenende mit einer Geliebten", beschreibt er seine Affäre mit den USA. Bei ihr einziehen und jeden Morgen neben ihr aufwachen möchte er allerdings nicht.
Aber immerhin, er hat Amerika eine Chance gegeben. Vorwand für sein Projekt war der 200. Geburtstag seines Landsmanns Alexis de Tocqueville, dessen Reisebericht "Demokratie in Amerika" von 1831 bis zum heutigen Tag viele Amerikaner für das beste Buch über ihr Land halten. Lévys Ekel angesichts der Konjunktur selbstgefälliger antiamerikanischer Klischees in seiner Heimat war sicherlich der eine Antrieb für das Projekt; seine Reverenz an Tocqueville im Untertitel ist jedoch ein eindeutiger Hinweis auf den Ehrgeiz, sowohl Amerikaner als auch Europäer über "God's own country" zu belehren.
Auf Tuchfühlung mit den Neocons
Der Dandy-Denker hat es sich auferlegt, sowohl an den Vorurteilen europäischer Antiamerikanisten zu rütteln als auch an gängigen Mustern amerikanischer Selbstbeschreibung, die allzu häufig vom ideologischen Stellungskrieg gefärbt sind. Lévy glaubt, als wohlwollender Außenseiter diese Debatten voranbringen zu können, weshalb sich der Philosoph wohl auch dazu entschlossen hat, das Buch zunächst in den USA zu publizieren und erst später in Frankreich.
So wagt sich Lévy näher an die amerikanischen Neokonservativen heran, als sich das etwa amerikanische Liberale trauen würden. Lévy hat sich sogar mit einigen von ihnen an einen Tisch gesetzt, darunter Richard Perle, Paul Wolfowitz, Francis Fukuyama, Samuel Huntington und Bill Kristol. Er habe, sagt er ohne Scham, vor den Treffen große Sympathie für diese Männer gehegt. Wie er selbst seien sie stets durch eine tiefempfundene Opposition gegen jede Form des Totalitarismus motiviert gewesen.
Mit ihrer Mission, möglichst viele Länder der Erde zu demokratisieren, stimmt Lévy auch überein - einem Kulturrelativismus, der arabischen oder afrikanischen Völkern das Bedürfnis nach Demokratie abspricht, kann er nichts abgewinnen. Und darüber hinaus haben sie eine ausformulierte politische Philosophie - das gefällt dem Philosophen. Wenn er sich dennoch in ihrer Gegenwart nicht wohlgefühlt habe, liege das nicht daran, dass er sie für die "Prinzen der Finsternis" hält, als die sie bisweilen karikiert würden. Es sind subtilere Aspekte ihrer Haltung, die ihn stören, beinahe Fragen des Geschmacks.
Da sei etwa ihr Selbstverständnis als Intellektuelle, das von seinem europäischen abweiche. Er könne nicht begreifen, warum sie das komplette Bush-Menü bestellen, obwohl ihnen nur ein oder zwei Gerichte davon schmecken. Sie seien eigentlich viel zu schlau, um sich zusammen mit der Bush-Außenpolitik auch Zutaten wie Abtreibungsgegnerschaft und Kreationismus vorsetzen zu lassen.
Irrglaube der Teleologie
Ein weiterer Grund für Lévys Unbehagen an den Neocons, ist deren teleologisches Geschichtsverständnis. Dem zufolge streben alle Gesellschaften von allein ihrem Endzustand, der Demokratie amerikanischen Typs, zu. Man müsse jeweils nur den Tyrannen beseitigen, der Rest erledige sich von selbst. Die fehlende Planung für die Zeit nach der Invasion des Irak, will Lévy damit sagen, sei nicht Nachlässigkeit gewesen, sondern der Irrglaube, dass sich menschliche Gesellschaften, wenn man sie nur lässt, von ganz allein demokratisch-rechtsstaatlich organisieren.
In ähnlicher Manier wie mit dem Feindbild Neocons geht Lévy mit den anderen Lieblingsvorwürfen amerikanischer Linker und arroganter Europäer gegen das zeitgenössische Amerika um. Er unterzieht sie einem skrupulösen Realitätscheck und kommt am Ende zu einem gemischten Urteil. So hat Lévy Vertrauen in den amerikanischen Säkularismus, auch wenn ihn der gegenwärtige außenpolitische "Messianismus" - wie er die Doktrin eines gottgegebenen historischen Auftrags nennt - verstört.
Er weigert sich, pauschal den Fundamentalismus-Verdacht auszuprechen, auch wenn er sich an der Banalität des evangelikalen Gottesbildes gehörig reibt. Es gebe jedoch noch immer Unterschiede zwischen kleingeistigen amerikanischen Hinterwäldlern und Selbstmordattentätern, die es zu beachten gelte. Auch im Umgang mit der Vokabel Imperialismus besteht Lévy auf Sorgfalt. Amerika als "Reich des Bösen" zu bezeichnen, sagt Lévy, bedeute, nichts von Imperien, nichts vom Bösen und nichts von Amerika zu verstehen.
Differenz macht den Unterschied
Der Abrechnung mit gängigen Vorurteilen folgt die Politisierung der Libido: Der Philosoph erklärt, warum Amerika eine so vorzügliche Geliebte ist - "a great fuck", wie er vergnügt formuliert. Amerika habe es besser, weil sein Integrationsmodell kulturelle Differenzen toleriere: Man könne hier guter Jude und guter Amerikaner, guter Araber und guter Amerikaner, ja sogar guter Franzose und guter Amerikaner sein. Das ginge in Frankreich nicht. Er bewundert den amerikanischen Mut zum sozialen Experiment - die Kraft und die Freiheit sich immer wieder neu zu erfinden. Diese Kraft, dessen ist er sich ganz sicher, wird Amerika auch helfen, sich wieder aus seiner gegenwärtigen moralischen Krise zu befreien. So schmeichelt sich der schneidige French Lover in die Herzen seiner amerikanischen Geliebten, bevor er sie endgültig wieder verlässt.
In Amerika war indes nicht jeder von den Avancen des Pariser Bohemiens betört. Das "Time"-Magazin beanstandete "übertriebene Philosophenzitate", die "New York Times Book Review" höhnte, hier sei "Spritzpistolen-Prosa" und "Collegestudenten-Großtuerei" am Werk. Der Radio-Moderator Garrison Keillor, der sich in seiner Sendung "Prairie Home Companion" gern zum Sprecher des Durchschnittsamerikas stilisiert, beklagte, dass sich Lévy nur mit den Klischees des Landes beschäftige. Diese zu demontieren sei vielleicht verdienstvoll - zum wirklichen Amerika dringe der Star-Denker jedoch nie durch.
Da schwingt freilich eine gehörige Portion Frankophobie mit - von einem dahergelaufenen Pariser Taugenichts lässt sich Keillor nicht sagen, was Amerika ist. Bleibt zu hoffen, dass sich wenigstens die Europäer von Lévy sagen lassen, was Amerika nicht ist.
Bernhard-Henri Lévy: "American Vertigo. Travelling America in the Footsteps of Toqueville". Random House, New York 2006, 308 Seiten, 24,95 Dollar.