Abschreiben bei Wikipedia Zwei Historiker geraten in Plagiatssturm

Im renommierten Verlag C.H. Beck ist ein 400-Seiten-Historienschinken über große Seeschlachten erschienen. Die Autoren, zwei Historiker, haben dafür bei Wikipedia kräftig geplündert - und teilweise wortwörtlich abgeschrieben.
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"Liebe Follower, sagt mir, was ich tun soll" - mit dieser Aufforderung beginnt Arne Janning seinen Facebook-Post , es folgt eine sehr lange, sehr ausführliche Darstellung von etwas, das für den renommierten Münchner Verlag C.H. Beck unangenehm werden könnte. Der Vorwurf: Zwei Autoren sollen Teile ihres Buchs bei Wikipedia abgeschrieben haben.

2013 erschien das 429-Seiten-Werk "Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte von Salamis bis Skagerrak" der Historiker Arne Karsten und Olaf Rader. "Eine ungewöhnliche Weltgeschichte aus maritimer Perspektive", heißt es im Vorwort. "Dieses Buch ist vollständig aus Wikipedia-Einträgen zusammenkopiert", heißt es nun vollmundig auf Facebook.

Janning, 39, hat in Heidelberg Philosophie, Soziologie, Geschichtswissenschaft und Germanistik studiert und arbeitet derzeit freiberuflich. Auf Facebook hat er vier Beispiele für vermeintliche Plagiate aufgelistet und weitere angekündigt.

Im Buch heißt es beispielsweise: "Die Tatsache, dass die Rumpfgeschwindigkeit nur von der Wasserlinienlänge abhängt, ist der Grund, warum längere Schiffe - bei entsprechend starkem Antrieb durch Wind oder Ruderer - höhere Geschwindigkeiten erreichen können als kürzere Schiffe." Und im Wikipedia-Eintrag zum Thema Rumpfgeschwindigkeit  steht: "Die Tatsache, dass die Rumpfgeschwindigkeit nur von der Wasserlinienlänge abhängt, ist der Grund, warum größere Schiffe - bei entsprechend starkem Antrieb durch Wind oder Motorleistung - in Verdrängerfahrt höhere Geschwindigkeiten erreichen können als kleinere Schiffe." Die Textstellen sind zwar nicht vollständig identisch, aber doch auffällig ähnlich, wenngleich der Grad der Übereinstimmung schon bei den Beispielen von Janning durchaus unterschiedlich ist.

Nur durch Zufall sei er darauf gestoßen, sagt Janning. "Ich dachte erst, Wikipedia hätte aus dem Buch abgeschrieben. Aber in der Historie des Eintrags kann man nachverfolgen, dass dieser viel älter ist als das Buch." Einmal fündig geworden, überprüfte Janning weitere Textstellen. Nach rund 30 Fällen habe er angeblich aufgehört zu suchen. "Das ist dreist und nicht in Ordnung", behauptet er.

Früher Brockhaus, heute Wikipedia

"Ein Plagiat ist für mich der Diebstahl geistigen Eigentums. Und dessen habe ich mich nicht schuldig gemacht", sagt dagegen Autor Rader. Der Historiker unterrichtet als Privatdozent an der Berliner Humboldt-Universität Kulturgeschichte. Sein Mit-Autor Arne Karsten hat eine Juniorprofessur für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Bergischen Universität Wuppertal inne.

In dem historischen Werk seien ausschließlich technische Details aus dem Online-Lexikon übernommen worden, sagt Rader. "Früher hat man dafür den Brockhaus benutzt, heute eben Wikipedia."

Der Facebook-Post sei eine "überaus ärgerliche Sache", sagt Rader. Sowohl für die Autoren, als auch für den Verlag sei es sehr rufschädigend. Ihn persönlich ärgert vor allem der zweite Vorwurf von Arne Janning - Rader spricht von "übler Nachrede" und davon, dass er eine Klage in Erwägung zieht. Denn Janning wirft den Historikern in seinem Facebook-Post neben dem Plagiat auch vor, Geld der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) veruntreut zu haben. "Die DFG hat Karsten und Rader für ihr Buch Forschungsreisen nach Venedig, Kopenhagen und San Francisco finanziert. Man stelle sich das vor: die DFG finanziert zwei Historikern einen mehrwöchigen Forschungsaufenthalt in San Francisco, um die USS Iowa zu studieren, und dann kehren die mit nichts zurück als - Wikipedia?"

"Die DFG hat keine der Reisen finanziert", sagt Rader, "das ist von vorne bis hinten gelogen". Er habe sich beispielsweise die USS Iowa während einer privaten Reise angesehen. Der DFG selbst überprüft eigenen Angaben zufolge derzeit, ob das Buch-Projekt finanziell unterstützt wurde.*

"Beck hat viel zu verlieren"

Geprüft wird derzeit auch im C.H. Beck-Verlag. "Wir nehmen den Plagiatsvorwurf ernst", sagt Andreas Kurzal, der im Verlag für das Online-Marketing verantwortlich ist. "Zeitnah" soll geklärt werden, ob und welche Stellen aus Wikipedia übernommen wurden. Erst dann werde das weitere Vorgehen entschieden. Einen ähnlichen Fall habe es im Verlag noch nicht gegeben. "Bisher wurde höchstens aus unseren Büchern plagiiert."

Janning ist sich bewusst, dass der Fall auch wegen des prominenten Verlags großes Interesse nach sich ziehen dürfte. "Beck hat viel zu verlieren", sagt er. "Das wird jetzt sehr, sehr ernst." Er wolle dem Verlag aber nichts Böses, im Gegenteil. Er habe freundschaftliche Verbindungen.

Janning bezeichnet sich selbst als einen "Privatgelehrten". Er hat eigenen Angaben zufolge keine persönliche Beziehung zu den Autoren. Auf Facebook hat er seine eigene Kritik inzwischen teilweise abgeschwächt: "'Vollständig aus Wikipedia zusammenkopiert" ist selbstverständlich überzogen, das würde ich heute vorsichtiger formulieren", kommentierte er seinen eigenen Post. "Aber es sind eben doch ziemlich viele Stellen. Im Prinzip überall, wo man nur danach sucht."

Der Vorfall gehöre in die Öffentlichkeit. "Hoffentlich regt es eine Debatte an: Historiker sollten sich Gedanken machen, wie sie künftig mit Online-Quellen und neuen Medien umgehen."

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