Roman über Alltagsrassismus Jung, schwarz, weiblich - und verloren?

Autorin Candice Carty-Williams: Als erste schwarze Autorin gewann sie den British Book Award für das beste Buch des Jahres.
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Noch auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl schreibt Queenie Nachrichten mit ihrem Smartphone: "In den Steigbügeln. Wünschte, du wärst hier..." Und um ihrem Freund zu "beweisen, dass ich nicht so emotional unbeteiligt war, wie er mir immer vorwarf", schickt sie drei X hinterher, Zeichen für "I love you". Die Gynäkologin sprach während der Untersuchung "ein bisschen zu fröhlich" und "schob dabei ohne weitere Vorwarnung etwas in mich rein, das sich anfühlte wie der am wenigsten ergonomische Dildo der Welt".
So fängt der aufwühlende Debütroman von Candice Carty-Williams, 31, an; ein bisschen schnodderig wirkt das, ein bisschen witzig auch, doch bald bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Denn es entfaltet sich eine bittere Traurigkeit, unmerklich, aber gnadenlos, bis man merkt, trotz aller Selbstironie der Ich-Erzählerin: Hier spielt sich eine Tragödie ab.
Zu viel schlechter Sex, um überhaupt etwas zu fühlen
Die Titelheldin dieses Buches sucht ihren Platz im Leben - und dabei geht jede Menge schief. Sie liebt weiße Männer, was bei Großmutter und Tante schlecht ankommt; sie trödelt bei der Arbeit, womit sie ihre Chefin sauer macht; sie spricht nicht gern über ihre Gefühle, ein Umstand, mit dem ihr Freund nicht zurechtkommt.
Der, wie sich schnell herausstellt, gar nicht mehr ihr Freund ist. Liebeskummer der schlimmsten Art erfasst Queenie und löst eine schwere Lebenskrise aus. Mithilfe von zu viel erniedrigendem Sex versucht sie, überhaupt wieder etwas zu fühlen – bis sie erkennt, dass sie sich einem Kindheitstrauma stellen muss, sonst geht sie zugrunde.
Queenie: Roman
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25.03.2023 10.10 Uhr
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Was lange unausgesprochen ihr Leben beschwerte, wird ihr nun schmerzlich bewusst: Sie ist anders als all ihre Familienangehörigen, denn sie ist die Erste, die einen Collegeabschluss vorzuweisen hat; und sie ist anders als die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Kulturredaktion einer Zeitung, denn sie ist schwarz.
Verloren zwischen den Kulturen
Diese Geschichte ist natürlich nicht ganz neu: Die problembeladene Identitätssuche einer jungen Erwachsenen; loyale Freunde und Familienangehörige, die trotz allem Unverständnis liebevoll sind, Intelligenz, Ehrlichkeit, Humor - all das hilft, das Drama zum Guten zu wenden. Bei Queenie spielt die Verlorenheit zwischen den Kulturen eine verstärkende Rolle in der Krise, und gleichzeitig gibt ihr die Black-Lives-Matter-Bewegung Zuversicht: Sie ist eben doch nicht allein.
Der allgegenwärtige Rassismus in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft ist das große Thema dieses Romans, für den Carty-Williams bei den British Books Awards 2020 die Auszeichnung "Book of the Year" erhielt - als erste Schwarze. Sie freute sich, doch sie sei auch "traurig und verwirrt" gewesen, weil diese Premiere so überfällig war. Nach Lektüre ihres Buches können weiße Leser hoffentlich besser verstehen, was sie meint.