Ralf König zeichnet Lucky Luke Bettgeflüster am Bareback-Mountain

Erotisch knarzt die Lederhose: Der Comicautor Ralf König schreibt die Lucky-Luke-Geschichte weiter. Herausgekommen ist dabei eine schwule Cowboy-Romanze im Stil von »Brokeback Mountain«.
Lucky Luke mit schwulem Cowboy-Liebespaar: Der wilde Westen als Fetischparadies

Lucky Luke mit schwulem Cowboy-Liebespaar: Der wilde Westen als Fetischparadies

Foto: Egmont Ehapa

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Willkommen im milden Westen: Während des Zurechtmachens für das Nachtlager ergötzen sich die Cowboys daran, wie praktisch der Unterwäsche-Einteiler ist, der für die Nachtruhe zugleich als Pyjama getragen werden kann. Bei der anschließenden endlosen Kaffeesauferei am Lagerfeuer sinnieren sie darüber, wie schwierig ein Coming-out zwischen Viehtrieb und Saloonschlägerei sein kann. Und während des gegenseitigen Abcheckens auf der Straße eines Westernkaffs erfreuen sie sich an der »knartschengen« Lederkleidung, die andere Cowboys tragen.

Der schwule Comiczeichner Ralf König hat das neue Abenteuer des Revolverhelden Lucky Luke gezeichnet. Und es ist bemerkenswert, wie es ihm gelingt, den Westernkosmos um den Comichelden in ein gediegenes schwules Fetischparadies zu verwandeln, ohne die Hauptfigur dafür plump ironisch zu brechen. König nimmt einfach, was schon immer in der Lucky-Luke-Welt vorhanden war und akzentuiert es mit dem liebevollen Strich des Fans neu.

Die Long John genannte Höschen-Hemd-Trikotage kennt man ja aus etlichen Szenen, in denen Banditen und Falschspieler geteert und gefedert aus der Stadt verscheucht werden. Auch die für den Viehtrieb getragenen Leder-Chaps, die sich über Hüften und Schenkel schmiegen, den Schritt aber aussparen, ist dem Lucky-Leser bestens vertraut – nur dass hier der vom Leder ausgesparte Schritt perspektivisch hervorgehoben wird. Eines aber hat König der Ausstattung der Figuren beherzt hinzugefügt: Sie haben jetzt Brustwarzen; die gab es in der Lucky-Luke-Anatomie bislang nicht. Und, natürlich: Alle Figuren tragen die König-typischen Knollen-Nasen.

Wie divers war der Westen?

75 wird der Comic-Cowboy in diesem Jahr. Und dass er sich als so langlebig erweist, hat vielleicht auch damit zu tun, wie offen die Lucky-Luke-Lizenzgeber für Neuerungen sind. Erst im Herbst erschien ein regulärer Band, der vor dem aktuellen Black-Lives-Matter-Hintergrund mit einer fulminant gezeichneten und getexteten Geschichte Rassismus und Sklaverei zum Thema machte. Warum sollte man den alten, weißen Cowboy canceln, wenn man das Tableau um ihn herum divers ausgestalten kann? Wie komisch und konsistent das sein kann, zeigt nun eben auch Königs souveräne Aneignung des Lucky-Luke-Mythos, die als fünfter Band der sogenannten Hommage-Reihe erscheint.

Schon Lucky-Luke-Schöpfer Morris schmuggelte auf leichtfüßige Weise schwierige gesellschaftliche Stoffe in die Storys, es herrschte stets ein progressiver Blick auf die primitive Gesellschaftsordnung zwischen Prärie und Saloon. In dem Band »Der Richter« etwa trichterte Lucky Luke einem schießwütigen Hillbilly-Juristen ein, was Gewaltenteilung meint; in »Daily Star« verteidigte er die Pressefreiheit gegen Saloonbesitzer, die mit Waffengewalt dagegen vorgingen, dass in dem Blatt die Wahrheit über ihren gepanschten Schnaps verbreitet wurde.

Lucky Luke, die Jungfrau

Königs Regenbogen-Western kommt dagegen fast gänzlich ohne grotesk ins Heitere verdrehte Gewalt daher. In seinem Jubeljahr muss Lucky Luke lediglich fünf lila Milchkühe durch eine weichgezeichnete Berglandschaft treiben, was ihm viel Zeit lässt, mit seinem Begleiter Bud Willlis über dessen schwules Coming-out am Bareback Mountain zu sprechen. Die Milchkühe stammen von einem Schweizer Schokofabrikanten, der von dem »zarten Schmelz« seines Produkts schwärmt. Aber dieser zarte Schmelz bezieht sich natürlich auch auf die »Brokeback Mountain«-artige Liebesgeschichte, die Lucky Luke hier während Bade-Stopps und Bettgeflüster im Zeltlager von dem anderen Cowboy erzählt bekommt.

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Ralf König

Zarter Schmelz: Eine Lucky-Luke-Hommage

Herausgeber: Egmont Comic Collection
Seitenzahl: 64
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Preisabfragezeitpunkt

30.05.2023 11.06 Uhr

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Der Titelheld bleibt auch hier die ewige »Jungfrau« – so wird er nun jedenfalls von seiner alten Freundin Calamity Jane bezeichnet, die inzwischen offen lesbisch lebt. Sie unterhält eine Beziehung mit der »Chicoree«-Kriegerin Sitting Butch, die ihr Pferd in Regenbogenfarben geschmückt hat. König zwingt Lucky Luke nicht mit vorgehaltener Knarre zum Coming-out, macht ihn aber zum Objekt schwuler Begierden, indem er unterschiedliche Körperpassagen abzoomt, etwa den anrasierten Nacken unter dem kecken Undercut.

Mit seinen eigenen Comicfiguren brachte König ab den Achtzigern die schwule Subkultur einem großen Mainstreampublikum nahe. Auch in seinem Lucky-Luke-Band streut er allerlei Hardcore-Verweise in die Softcore-Liebelei – der Sehnsuchtsort Bareback Mountain etwa verweist im Namen auf ungeschützten Analverkehr.

Doch König geht es nicht um kleine Provokationen, sondern um die große Westernerzählung in schwuler Variante. Großartig, wie er dafür eine komplexe Erzählstruktur entwickelte und über Rückblenden verschiedene Zeitebenen miteinander verzahnt. Da erinnert er an die späten Westernepen des Regiegroßmeisters John Ford, von dem sich auch schon Lucky-Luke-Schöpfer Morris inspirieren ließ.

In langen So-war-das-damals-Passagen schmücken die Helden bei König ihre eigenen Legenden aus – nur, dass es in diesen Legenden nicht darum geht, wie viele Männer man umgelegt hat, sondern wie der Mann der Träume gefunden wurde.

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