
Krieg im Kino Die ewige Front in Hollywood

"Film ist wie ein Schlachtfeld: Liebe, Hass, Action, Gewalt, Tod... Mit einem Wort: Emotion." An diesem Bonmot des Filmemachers Samuel Fuller kommt auch Elisabeth Bronfen nicht vorbei. In ihrem Band "Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung" greift die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin das Zitat indes auf, um die Analogie zwischen militärischem und filmischem Spektakel weiter zu denken und zu wenden. Denn für Bronfen sind Kriegsfilme "Kino par excellence" und Hollywood im 20. Jahrhundert der Ort, an dem Amerika über seine Kriegstraumata nachdenkt.
"Specters of War", Geister des Krieges, beschwört der ungleich bildhaftere Titel der Originalausgabe. Tatsächlich sucht und findet Bronfen in ihrer assoziationsreichen Analyse der Re-Imaginationen des Krieges auf der Leinwand etliche ästhetische und narrative Wiedergänger. Über klassische War Movies und Dokumentationen hinaus verfolgt sie diese gespenstischen Schemen durch andere Genres wie den Film Noir, den Western, das Melodrama bis hin zu Fernsehserien. Im Einklang mit den Thesen Michel Foucaults, der Krieg als "Motor der Institutionen und der Ordnung" identifizierte, sieht Bronfen eine permanente Präsenz von Krieg in der Gesellschaft, auch in nominellen Friedenszeiten. Und allgegenwärtig schreibe er sich in die Kulturproduktion ein, die Hollywood mit am ertragreichsten leistet.
Recycling der Formalisierungen
Die realpolitischen Konflikte, vom Civil War bis hin zum zweiten Irak-Krieg, spielen in Bronfens Betrachtung nur eine Nebenrolle. Ebenso enthält sie sich weitgehend einer historischen Bewertung der Waffengänge und überlässt das Urteil über Filme dem Feuilleton. Wer eine Kanonisierung oder enzyklopädische Aufarbeitung der Genrehistorie erwartet, wird also mit den etwas mehr als 500 Seiten kaum glücklich werden. Doch weder ist das Buch deshalb unpolitisch, noch ist die auf den ersten Blick überraschende Filmauswahl zu eklektizistisch geraten. Denn was Bronfen gelingt, ist eine präzise, faszinierende Beschreibung andauernder, sich stets selbst zitierender und dennoch weiterentwickelnder Erinnerungsarbeit und -kultur im Kino.
Zwingend zeigt Bronfen die gleichzeitige Dringlichkeit und Unmöglichkeit des filmischen Unterfangens, durch Jahrzehnte und Genremutationen hindurch eine authentische Gewalterfahrung inszenatorisch zu fassen. Befreit von den Zwängen eines chronologischen Abrisses und dem Anspruch, möglichst vollständig Filmtitel aufzuzählen, entwickelt sie so einen auch in seinen akademischen Passagen bemerkenswert lesbaren Ansatz vom Kino als Denkraum, "in dem das kulturelle Überleben des Krieges als ständiges Recycling seiner ästhetischen Formalisierungen nachverfolgt werden kann." Eben dieses Recycling illustriert das Buch in sieben umfangreichen Kapiteln und unter Überschriften wie "Die Heimat und deren Unbehagen" und " Die Choreografie der Schlacht".
Inspiriert von der Schlusssequenz in Lewis Milestones "All Quiet on the Western Front" (1930), in der die zuvor gefallenen Soldaten erneut vorbeimarschieren, dabei die eigenen Gräber durchqueren und den Blick in die Kamera (und auf den Zuschauer) richten, entwickelt Bronfen ihre These einer wiederkehrenden kulturellen Heimsuchung. Jeder durch Hollywood re-imaginierte Konflikt, so ihr Argument, wird in einen Dialog mit jenen gebracht, die ihm vorangingen und denen, die ihm nachfolgen.
Register des Genregedächtnisses
So gelangt ihr Buch, das sie sehr treffend als Atlas verstanden wissen will, zu einer bisweilen verblüffenden Kartografie des Kriegskinos: D. W. Griffiths rassistisch durchwirkte Bürgerkriegserzählung "The Birth of a Nation" (1915) etwa - für Bronfen die Geburtstunde des klassischen Hollywood-Epos und zugleich die Urszene kultureller Schuld, welche nachfolgenden Filme wiedergutmachen müssen - führt hier über die klassische Studioproduktion "Gone With The Wind" (1939) und das Heldenrequiem "Glory" (1989) bis hin zu Martin Scorseses Geschichtsrevision "Gangs of New York" (2003).
In Fred Zinnemanns "From Here To Eternity" (1953) und Michael Ciminos "The Deer Hunter" (1978) sieht Bronfen wiederum exemplarisch vorgeführt, wie schwelende Konflikte im Zivilleben und zwischen Geschlechterrollen auf dem Schlachtfeld sublimiert werden. Ebenso findet die durchkomponierte Truppenunterhaltung der Musikrevuen im Zweiten Weltkrieg ein verzerrtes Echo im Auftritt der Playboy-Bunnys und dem von Wagners Ritt der Walküren untermalten Hubschrauberangriff in "Apocalypse Now Redux" (2001).
Um Choreografie, kollektives Bilderrepertoire und affektive Wahrheit geht es auch in der ausführlichen Betrachtung der Filme, die den D-Day und die Landung der US-Armee am Omaha Beach zum Gegenstand haben. Genau zeichnet Bronfen etwa nach, wie Steven Spielberg in "Saving Private Ryan" (1998) alle Register des Genregedächtnisses zieht, und in seiner Inszenierung authentische Berichte und ästhetische Umarbeitungen der Schlacht verzahnt.
Elisabeths Bronfens Schilderung, wie personalisierte Erzählungen des US-Kinos eine historische Gewalterfahrung für das Publikum greifbar machen und Kriegsfilme als Maßeinheiten nationaler Identitäten wirken, ist emphatisch und nie langweilig. Jedoch allein schon der Grundannahme der Autorin folgend kann diese Analyse nicht abgeschlossen sein.
Was ist Heimat, was ist Front?
So lässt der kurze Überblick im Schlusskapitel, das jüngere Filme wie "The Hurt Locker" (2008) und "Inglourious Basterds" (2009) streift und anreißt, zwangsläufig neue Fragen auftauchen. Beispielsweise wie Bronfens Lesart des Kriegsfilms auf die asymmetrischen Gefechte des "War on Terror" und seinen filmischen Repräsentationen umginge: Ein Konflikt, bei dem nicht mehr zwischen friedlicher Heimat und fremder Front unterschieden wird, und in dessen Erzählungen der Krieg - nicht nur als Chiffre im Focault'schen Sinne - alle Sphären der Gesellschaft durchdringt.
Es wäre lohnend zu forschen, ob und wie Hollywoods Re-Imaginationen die Neuartigkeit dieses gegenwärtigen Krieges fassen und als formalisiertes Pathos erinnerbar machen können. Ohne Frage, die Geister werden uns nicht loslassen. Bronfens Buch ist die eindringliche Aufforderung, ihnen offenen Auges zu begegnen.
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Amerika verarbeitet seine Kriegstraumata in seinen Hollywood-Filmen immer wieder: Elisabeth Bronfen beschäftigt sich in ihrem neuen Buch "Hollywoods Kriege - Geschichte einer Heimsuchung" mit den ständigen Re-Imaginationen des Krieges durch die Studios, die den Krieg im kollektiven Bewusstsein halten und kollektiv wandeln. Hier eine Szene aus Steven Spielbergs "Saving Private Ryan" (1998).
In "Apocalypse Now Redux" (2001) findet sich die durchkomponierte Truppenunterhaltung im Zweiten Weltkrieg als verzerrtes Echo im Auftritt von Playboy-Bunnys und dem von Wagners Ritt der Walküren untermalten Hubschrauberangriff wieder.
Oscar-Preisträger Christoph Waltz in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" (2009): Kino versteht Bronfen als Denkraum, "in dem das kulturelle Überleben des Krieges als ständiges Recycling seiner ästhetischen Formalisierungen nachverfolgt werden kann".
In Lewis Milestones Klassiker "Im Westen nichts Neues" von 1930 nach einem Roman von Erich Maria Remarque werden die Euphorie zu Beginn des Ersten Weltkriegs und das ungeheure Elend, das folgte, sichtbar.
Der Film gilt als einer der bekanntesten und eindringlichsten Antikriegsfilme und gewann 1930 den Oscar für den Besten Film.
Inspiriert von der Schlusssequenz, in der die zuvor gefallenen Soldaten erneut vorbeimarschieren, dabei die eigenen Gräber durchqueren und den Blick in die Kamera (und auf den Zuschauer) richten, entwickelt Bronfen ihre These einer wiederkehrenden kulturellen Heimsuchung.
"Birth of a Nation": Der rassistisch durchwirkte Film von 1915 ist für Bronfen zugleich Geburtsstunde des klassischen Hollywood-Epos und die Urszene kultureller Schuld.
Der dreistündige Historienfilm von D.W. Griffith war einer der erfolgreichsten Stummfilme überhaupt. Schwarze Filmfiguren wurden von bemalten Weißen gespielt.
Der Ku-Klux-Klan ließ sich von diesem Film nicht nur optisch inspirieren.
Fred Zinnemanns "Verdammt in alle Ewigkeit" (1953): Schwelende Konflikte im Zivilleben und zwischen Geschlechterrollen werden auf dem Schlachtfeld sublimiert.
Bronfen beschränkt sich in ihrer Analyse nicht auf das klassische Hollywood. Auch Martin Scorseses "Gangs of New York" (2001) ordnet sie der Legion der geschichtsrevisionistischen Werke zu.
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