Rezensionen Gerhard Roth: "Der Plan" - Tödliche Reise ins Archiv
Konrad Feldt ist ein manischer Leser, sein bevorzugtes Jagdrevier auf der Suche nach guten Büchern ist sein Arbeitsplatz: die Österreichische Nationalbibliothek. Feldt ist süchtig nach ersten Sätzen, nach diesen Erzählauftakten, deren gelungenste aus einem guten Buch ein fesselndes machen.
Auch der österreichische Schriftsteller Gerhard Roth (Jahrgang 1942) hat nun wieder einmal einen ersten Satz konstruiert: "Auf eine komplizierte Weise hing Feldts Verbrechen mit seiner Leidenschaft für das Lesen zusammen, das ihm zur Sucht geworden war." Ein Satz - und schon ist die Spannweite des Buches skizziert: Leidenschaftliches Lesen ist an sich harmlos, führt bei Roth aber geradewegs ins Verbrechen. Bereits nach diesem ersten Satz ist klar, daß eine Geschichte erzählt werden wird - in der deutschsprachigen Literatur keine Selbstverständlichkeit mehr.
Da ist zum einen die Krimi-Handlung, schnell wiederzugeben: Als Feldts Vorgesetzter ihm den Diebstahl eines Fragmentes von Mozarts "Requiem" gesteht und sich dann entleibt, übernimmt Feldt das Autograph und auch den vom Vorgesetzten hergestellten Kontakt zu einem japanischen Händler. Der Bibliothekar in desaströsen Finanznöten reist mit der kostbaren Handschrift nach Tokio und gerät dort endgültig in einen Strudel krimineller und tödlicher Verwicklungen.
Die spannenderen Teile aber sind die Passagen des Buches, die sich der Konfrontation mit einer unbekannten Welt widmen: den unverständlichen, fremden Symbolen und Zeichen der japanischen Kultur. Eine Welt, gesehen mit den Augen eines Menschen, der sein abendländisches Bildungsgut hier ganz vergeblich mit sich schleppt. Noch nicht einmal die Oberfläche des Landes ist mit westlichen Hilfsmitteln zu dechiffrieren.
In diesen Passagen spielt Roth all die Stärken aus, die seine Bücher kennzeichnen: die Detailbesessenheit, die Lust am naiven Beobachten, die akribische Beschreibung von Seelenzuständen und das verständnisvolle Schildern diverser menschlicher Schwächen. Feldts Reise nach Tokio wird schließlich eine Reise in sein Ich, wird zum Versuch, sein ständiges Torkeln zwischen Realität und Imagination (die er in den Büchern fand) in den Griff zu bekommen. Ein Krimi als Rahmenhandlung für somnambule und sinnierende Abschweifung - das ist eine Lösung, die völlig unspektakulär scheint, aber herrlich aufregend zu erlesen und erfahren ist.
Autor Gerhard Roth lernte Japan kennen, als er vor eineinhalb Jahren eingeladen wurde, ein Seminar über seinen siebenteiligen Romanzyklus "Die Archive des Schweigens" abzuhalten - das Werk, an dem er 15 Jahre lang gearbeitet hatte. Was bei Roths letztem Roman "Der See" aber noch angestrengt wirkte und anstrengend zu lesen war - die beständigen Querverweise auf politische und gesellschaftliche Vorgänge in Österreich -, das ist hier mit leichter Hand und doch in bestechend sicherer Sprache geschrieben. "Der Plan" ist eine empfindsame Reise mit dramatischem Ausgang, ein sinnierendes, weltgetränktes Buch, ein Lesebuch im besten Sinn des Wortes.
Gerhard Roth: "Der Plan". S. Fischer Verlag, Frankfurt; 304 Seiten; 39,80 Mark.