Neuauflage der Kinderbuchklassiker »Fett«, »verrückt« und »Rudyard Kipling« aus Roald-Dahl-Romanen gestrichen

Mit Büchern wie »Charlie und die Schokoladenfabrik« hat der britische Autor Roald Dahl viele Fans gefunden, aber auch häufig provoziert. Nun stehen neu durchgesehene Fassungen in der Kritik; die Rede ist von Zensur.
Dahl-Figur Augustus Glupsch (in der Verfilmung von Tim Burton): Einfach nur noch »enorm«

Dahl-Figur Augustus Glupsch (in der Verfilmung von Tim Burton): Einfach nur noch »enorm«

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United Archives / ddp images

Kritiker werfen dem britischen Verlag von Roald Dahls Kinderbuchklassikern Zensur vor. Dieser hatte vermeintlich anstößige Formulierungen aus Werken wie »Charlie und die Schokoladenfabrik« und »Matilda« entfernt, um sie für ein modernes Publikum akzeptabler zu machen.

Eine Durchsicht der neuen Ausgaben von Dahls Büchern, die jetzt im Buchhandel erhältlich sind, zeigt, dass einige Passagen, die sich auf Gewicht, psychische Gesundheit, Geschlecht und Race beziehen, geändert wurden. Die Änderungen, die von Puffin Books, einer Abteilung des zu Bertelsmann gehörenden Verlagskonzerns Penguin Random House, vorgenommen wurden, wurden zuerst von der britischen Zeitung »Daily Telegraph« vermeldet .

Alte Ausgaben von Dahl-Romanen: »Werde sie sorgfältig verstauen«

Alte Ausgaben von Dahl-Romanen: »Werde sie sorgfältig verstauen«

Foto: Andrew Burton / AP

Augustus Glupsch, Charlies gefräßiger Gegenspieler in »Charlie und die Schokoladenfabrik«, das ursprünglich 1964 veröffentlicht wurde, ist nicht mehr »enorm fett«, sondern nur noch »enorm«. In der neuen Ausgabe von »Hexen« könnte eine Zauberin, die sich als normale Frau ausgibt, als »Top-Wissenschaftlerin oder Geschäftsführerin« arbeiten, anstatt »in einem Supermarkt zu kassieren oder Briefe für einen Geschäftsmann zu schreiben«.

Das Wort »schwarz« wurde aus der Beschreibung der schrecklichen Traktoren in »Der fantastische Mr. Fox« aus den Siebzigerjahren entfernt. Die Maschinen sind nun einfach »mörderische, brutal aussehende Ungeheuer«. Offenbar soll die Farbe »schwarz« nicht mit Bösem assoziiert werden. An anderer Stelle wird eine Figur nicht mehr »weiß im Gesicht«, sondern »recht blass«.

Rushdie: »Absurde Zensur«

Weitere der über hundert Änderungen, die der »Telegraph« auflistet, betreffen Begriffe wie »crazy«, »idiots« oder »mad«, auf die offenbar nach Möglichkeit verzichtet werden soll.

Eine besonders kuriose Änderung betrifft die Beispiele, mit denen sich das hochbegabte Mädchen Matilda im gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1988 mittels der Literatur davonträumt. In der früheren Fassung hieß es: »Sie fuhr mit Joseph Conrad auf Segelschiffen aus alten Zeiten. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit Rudyard Kipling nach Indien.« Womöglich sollen hier Bezüge zum Kolonialismus vermieden werden. In der Überarbeitung steht laut »Telegraph« auf jeden Fall: »Sie besuchte Landgüter des 19. Jahrhunderts mit Jane Austen. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit John Steinbeck nach Kalifornien

Der mit dem Bookerpreis ausgezeichnete Autor Salman Rushdie reagierte erbost auf die Umschreibung von Dahls Worten. Rushdie war jahrelang untergetaucht, nachdem der iranische Ajatollah Khomeini 1989 eine Fatwa erlassen hatte, in der er wegen angeblicher Blasphemie in seinem Roman »Die satanischen Verse« zum Tode verurteilt wurde. Letztes Jahr wurde er bei einer Veranstaltung im Bundesstaat New York angegriffen und schwer verletzt.

»Roald Dahl war kein Engel, aber das ist absurde Zensur«, schrieb Rushdie auf Twitter. »Puffin Books und die Dahl-Erben sollten sich schämen.«

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Rushdie wurde daraufhin jedoch selbst zur Zielscheibe von Kritik. Die britische Komikerin Abi Roberts warf ihm vor, sich mit der Beschreibung Dahls als »kein Engel«, der »zensierenden Linken« anzubiedern. Rushdie stellte daraufhin klar, dass er zwar das Werk Dahls gegen eine »kriecherische Befindlichkeitspolizei« verteidige, aber Dahl ein »bekennender Antisemit mit ausgeprägten rassistischen Tendenzen« gewesen sei.

Kinderliteratur »inklusiver und zugänglicher« machen

Die Änderungen an Dahls Büchern sind das jüngste Scharmützel in einer Debatte über kulturelle Sensibilität, in der Aktivisten versuchen, junge Menschen vor kulturellen, ethnischen und geschlechtsspezifischen Stereotypen in der Literatur und anderen Medien zu schützen. Kritiker bemängeln, dass die Anpassung an die Empfindlichkeiten des 21. Jahrhunderts die Genialität großer Künstler untergraben und die Leser daran hindern könnten, sich mit der Welt, wie sie ist, auseinanderzusetzen.

Die Roald Dahl Story Company, die die Rechte an den Büchern besitzt, erklärte, sie habe mit dem Puffin-Verlag an einer Überarbeitung der Texte gearbeitet, um sicherzustellen, dass »Dahls wunderbare Geschichten und Figuren auch heute noch von allen Kindern genossen werden können«.

Die Sprache wurde in Zusammenarbeit mit Inclusive Minds  überprüft, einer Organisation, die sich dafür einsetzt, Kinderliteratur inklusiver und zugänglicher zu machen. Alle Änderungen seien »klein und sorgfältig überlegt«, so das Unternehmen.

»Nicht unüblich, die Sprache zu aktualisieren«

Die Analyse begann bereits im Jahr 2020. Also bevor Netflix 2021 die Roald Dahl Story Company aufkaufte  und Pläne zur Produktion einer neuen Generation von Filmen auf der Grundlage der Bücher des Autors in Angriff nahm.

»Bei der Veröffentlichung neuer Auflagen von Büchern, die vor Jahren geschrieben wurden, ist es nicht unüblich, die verwendete Sprache zu überarbeiten und gleichzeitig andere Details zu aktualisieren, zum Beispiel den Einband und das Seitenlayout eines Buches«, erklärte die Roald Dahl Story Company. »Unser Grundprinzip ist es stets, die Geschichten, die Figuren, die Respektlosigkeit und den scharfen Geist des Originaltextes beizubehalten.«

Dahl starb 1990 im Alter von 74 Jahren. Seine Bücher, von denen mehr als 300 Millionen Exemplare verkauft wurden, wurden in 68 Sprachen übersetzt und werden von Kindern auf der ganzen Welt gelesen. Fans von Dahls Büchern feiern die manchmal düstere Sprache, die die Ängste von Kindern anspricht, ihnen aber auch Spaß bereitet.

Dahl ist aber auch eine umstrittene Figur wegen antisemitischer Äußerungen, die er im Laufe seines Lebens gemacht hat. Die Familie Dahl entschuldigte sich im Jahr 2020 und erklärte, sie sei sich der Verletzungen bewusst, die so verursacht wurden.

»Volle, böse, bunte Pracht«

PEN America, eine Vereinigung von rund 7500 Schriftstellern, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzt, zeigte sich »alarmiert« über die Berichte über die Änderungen an Dahls Büchern.

»Wenn wir anfangen, vermeintliche Kränkungen zu korrigieren, anstatt den Lesern zu erlauben, Bücher so zu rezipieren und darauf zu reagieren, wie sie geschrieben wurden, riskieren wir, die Arbeit großer Autoren zu verzerren und die bedeutende Linse, die die Literatur auf die Gesellschaft wirft, zu trüben«, twitterte Suzanne Nossel, Geschäftsführerin von PEN America.

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Laura Hackett, Dahl-Fan aus Kindertagen und heute stellvertretende Literaturchefin der Londoner »Sunday Times«, reagierte auf die Nachricht persönlich verstimmt. »Die Herausgeber von Puffin sollten sich schämen für die verpfuschte Operation, die sie an einigen der besten Kinderbücher Großbritanniens vorgenommen haben«, schrieb sie und kündigte an, ihre alten Originalexemplare von Dahls Geschichten sorgfältig zu verstauen, »damit meine Kinder sie eines Tages in ihrer vollen, bösen, bunten Pracht genießen können.«

feb/AP

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