Rock 'n' Roll Das einfach Schöne ist ein Traum

Der Mann provozierte, war voller Hass und konnte doch unendlich zärtlich sein: Wo Rolf Dieter Brinkmann auftauchte gab es Ärger. Eine Ausstellung in Bremen läßt den großen Lyriker des Undergrounds wieder brüllen und flüstern. Von Julia Encke

Bremen - Wie einen Rockstar holte man ihn auf die Bühne: "Ladies and Gentlemen, Rolf Dieter Brinkmann!" Und es hätte nur noch gefehlt, daß er die Gitarre auspackt. Aber er konnte nicht Gitarre spielen. Das war es ja gerade. "Ich kann nur Schreibmaschine schreiben, dazu nur stotternd, mit zwei Fingern." Also las er seine Gedichte vor wie Songs, in diesem wirklich nicht besonders tollen Englisch und mit lispelnd-rauher Stimme: "My name is Rolf Dieter Brinkmann. I'm from Cologne. And Cologne is a dark industrial city. There is little poetry in it every day. And this perhaps makes my poetry very simple. The beautiful simplicity is a dream", rumpelte er ins Mikrophon und sprach seinen eigenen Namen dabei lustigerweise auch gleich englisch aus.

Das war auf dem Cambridge Poetry Festival, im April 1975. Wenige Tage später war er tot. Rolf Dieter Brinkmann starb um zehn Uhr abends in London auf der Westbourne Grove, als er auf dem Weg zu einem italienischen Restaurant die Straße überqueren wollte, um kurz noch im Pub "The Shakespeare" vorbeizuschauen, das er gut kannte.

Und jetzt liegt hier diese Postkarte. Die letzte, die er schrieb. Drei Tage vor seinem Tod. Unter Glas liegt sie in der kleinen Ausstellung "Wörter Sex Schnitt - Rolf Dieter Brinkmann", die gerade in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst in Bremen eröffnet wurde. Eine typische Kings-Parade-Cambridge-Postkarte, auf deren Rückseite Brinkmann an seinen Verleger Klaus Willbrand nach Köln schrieb: "Lieber Klaus, die große Lesung ist vorbei, es war Samstagabend und es war wirklich eine Starlesung, Flutlicht, BBC-TV, ich hab meine Sachen in meinem Stil vorgetragen, der voll Energie durch den alten Saal gezogen ist, die danach kamen hatten's schwer, es war Rock 'n' Roll." Und, heute gehört, war es auch ein bißchen wie Hip-Hop. Cambridge, das war seine Show, sein Vermächtnis, und es waren seine letzten Worte.

Wo Brinkmann auftauchte, gab es Ärger

Man fragt sich ja immer, was in Schriftstellerausstellungen eigentlich zu sehen sein soll, außer Fotos, aufgeschlagenen Büchern und Manuskriptseiten in Vitrinen, weshalb viele solcher Ausstellungen auch sehr langweilig sind. In Bremen ist, neben Postkarten, die komplette Sammlung von Brinkmanns Schriften ausgestellt, was diesmal tatsächlich sehr schön ist, weil all diese Ausgaben - von der Zeitschrift "Der Gummibaum" über den knallbunten Collagen-Einband der "Piloten" bis hin zur Fotoserie "Wie ich lebe und warum" - kaum noch zu haben sind oder nach Erscheinen eingestampft wurden: Wo Rolf Dieter Brinkmann auftauchte, gab es immer auch Ärger.

Doch geht es gar nicht so sehr um diese Publikationen. Es geht um den Hörkosmos Brinkmanns. "Wörter Sex Schnitt" ist eine Hommage an die gleichnamige CD-Box, die vor einigen Monaten bei Intermedium Records erschien, soeben als Hörbuch des Jahres ausgezeichnet wurde und ein einzigartiger großer Furor ist: Für die Sendereihe "Autorenalltag" des Westdeutschen Rundfunks war Brinkmann mit Uher- und Nagra-Tonbandgeräten von Oktober bis Dezember 1973 durch Köln gelaufen und hatte auf neunundzwanzig Spulen alles mögliche aufgenommen. Er haßte Köln. Er haßte den schmutzigen gelben Kölner Himmel. Die ganze Lichtlosigkeit. "Köln", sagt er, das Tonband unterm Arm, ins Mikrophon, "ist die mieseste, dreckigste, verpißteste Stadt, die ich kenne."

"Wann hammse denn zum letzten Mal gefickt?"

Er überfällt - zwischen Hustern, Versprechern, Schnitten - die Leute auf der Straße ("Wann hammse denn zum letzten Mal gefickt?"), nimmt seine Frau Maleen beim Abwaschen auf oder fragt sie nach ihren Erinnerungen an den Bombenkrieg ("Warum brüllst du denn immer so, Rolf?" fragt dagegen Maleen). Er schimpft auf die langhaarigen Pop-Muffen-Hänger, die mickjaggerartig durch die Straßen laufen, rezitiert Gedichte oder hält die Motorgeräusche des "kleinen Nödelwagens" fest, der eben vorbeifährt ("Der Verkehr erinnert mich immer an Krieg"). Wie ein Beat hallen seine Absätze dabei auf dem Asphalt wider.

In der Ausstellung hat man mit Theaterrequisiten die 50er und 60er Jahre nachgestellt. Also kann man in muffigen Sesseln Kopfhörer aufsetzen, Brinkmann hören und sich zugleich wieder Hinauskatapultieren aus dem Muff. Das ist grundsätzlich eine gute Idee, weil man Rolf Dieter Brinkmann tatsächlich hören muß und nicht nur lesen: "Reden ist etwas völlig anderes als schreiben", heißt eine der Kölner Aufnahmesequenzen. Das Problem ist nur, daß man nicht stillsitzen kann beim Hören. Daß man rausmuß, mit einem CD-Player in der Tasche und seiner Stimme im Ohr, am besten auf die Straße. An den alten Nierentischen kommt man sich, wie er sagen würde, "vollkommen blödsinnig" vor.

Voller Haß auf die Realität

Das andere Problem ist, daß es in Bremen, von der letzten Postkarte einmal abgesehen, eigentlich nichts Neues zu sehen gibt, was weniger auf die Aussteller als auf die Nachlaßverwalterin Maleen Brinkmann zurückzuführen ist: Was sie verwaltet, sind nicht allein die Dokumente eines berauschend kompromißlosen Dichters der BRD-Nachkriegszeit, sondern eben auch die einer sehr schwierigen Ehe. Wer "Keiner weiß mehr" gelesen hat, ahnt, worum es geht. Daß sie dieses Jahr die Tondokumente freigegeben und im Booklet unter dem Titel "Kratzgeräusche auf der Haut" selbst einen Text verfaßt hat, ist ihr hoch anzurechnen. Trotzdem würde man so gerne mehr sehen, die experimentellen Super-8-Filme vor allem, die er gedreht hat. Das wäre noch einmal ein neues Medium.

Rolf Dieter Brinkmann war nicht nur voller Haß gegen die Realität, die ihn bedrängte. Er kannte auch diese andere, zarte Tonlage, die seine Stimme plötzlich leise werden ließ; changierte zwischen diesen beiden Registern, zu denen er keine Mitte fand. Das macht ihn so groß: "Hier, kleine zärtliche Zimmer", heißt es einmal. Unablässig flüstert er "Zärtlich ist die Nacht" ins Dunkel. Oder er denkt zurück an ein Konzert von "Soft Machine" nahe der Portobello Road in London: "Ich erinnere mich", sagt er da, "an die Tomatensuppe zu dieser Musik."

Die Ausstellung ist bis zum 8. Januar in der GAK in Bremen zu sehen. "Wörter Sex Schnitt" ist bei Intermedium Records erschienen und kostet 45 Euro.

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