Roman "Superhero" Zum Sterben komisch
Dieser Roman kann einen krank machen. Krank vor Traurigkeit, weil der Held Leukämie hat und sterben muss. Krank vor Zorn, weil das Leben manchmal genau so ungerecht ist, wie es Anthony McCarten in seinem Buch "Superhero" beschreibt. Es rafft einen 14-Jährigen dahin, zerbricht fast seine Familie, lässt Freunde ratlos zurück.
Krank macht einen dieser Roman aber auch vor Sehnsucht: nach mehr solchen Texten, die pathetisch sind, ohne in Kitsch umzuschlagen. Die Coolness nicht mit Zynismus verwechseln; die nicht so tun, als gäbe es keinen Film, keine Comics, keine Videospiele, kein Internet.
"Superhero" ist ein Drehbuch, ein Comic, ein Prosamix. Ein toller Roman, der sich traut, noch einmal Herz auf Schmerz zu reimen. Der in die Vollen geht und auf Risiko spielt. Das fängt schon mit dem Protagonisten an: Donald Delpe, "haarlos, augenbrauenlos, bleich, klapperdürr, ein wandelndes Kondom". Ein Junge, den die Chemotherapie entstellt hat und der sich in eine Parallelwelt aus Comics und Filmfantasien rettet, wo er als Miracle Man unsterblich ist.
Will man so einem beim Verfall zuschauen? Will man seinen Leidensweg, von ihm selbst mit viel Galgenhumor kommentiert, mitgehen: "zuerst ein wenig Salzwassereinlauf. Danach ein wenig Kotzen. Dann um die Mittagszeit ein kleiner Ausflug in die Radiologie, eine Art Mittagspause auf dem Atomwaffentestgelände"?
Will man seine rührend tapferen Eltern, Renata ("Glaubt an Lebensversicherungen, geht nie unter einer Leiter hindurch, hält immer Ausschau nach einem Stück Holz, damit sie 'Klopf auf Holz' sagen kann") und Jim ("Wenn er ein Boot wäre, wäre er eine behäbige alte Schaluppe, verlässlich, stabil. Ideal, um sich durch die Eisschollen der Nordwestpassage zu kämpfen") begleiten, wie sie zwischen Trauer und Wut alles Mögliche versuchen, um am Ende zu scheitern?
Und braucht man noch einmal einen Therapeuten wie Adrian ("Mustert seine Klienten über den Rand einer imaginären Brille. Jede Geste wird zelebriert, ein Leben im Adagio"), der dem Jungen Lebensmut herbeireden soll und dessen Leben selber ziemlich zerbeult ist?
Große Gefühle auf die Schnelle
Man braucht sie - die Literatur braucht sie, weil sie in "Superhero" nicht Figuren einer durchschnittlichen lllusionsprosa sind, die immer so tut, als sei das Buch ein sakrosanktes Medium, unabhängig von anderen Formen. Stattdessen treten sie in einem Text auf, der mit Regieanweisungen arbeitet und verschiedenen Typographien, der filmische Verfahren wie Close-ups und Zeitlupen, Schnitte und Rückblenden kennt und damit - das ist das Entscheidende - formal das innere Erleben seines Helden zum Stilprinzip macht.
"Dieser Junge wird sehr schnell erwachsen, er lebt sein Leben mit einer großen Dringlichkeit", sagt Anthony McCarten, 46. Der Autor spricht leise, die Augen versteckt hinter einer Bono-artigen Riesenbrille. "Weil er es so eilig hat, konnte ich keinen Zola-Stil verwenden, wo man 200 Seiten lange Beschreibungen der Szenerie verfasst. Und ich wollte diese Dringlichkeit nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf Stilebene deutlich machen."
Tatsächlich: So zurückhaltend wie der neuseeländische Schriftsteller seine Arbeit beurteilt, so laut, schnell und hektisch geht es oft in seinem Buch zu. Donald, der Todgeweihte, ist noch Jungfrau - ein unerträglicher Zustand: "Ich sterbe vielleicht, ohne dass ich je nackte Brüste gesehen habe!"
Die Zeit läuft; wenn schon kein happy, dann wenigstens ein sexy end. Deshalb besorgt ausgerechnet der von den Eltern angeheuerte Therapeut eine Prostituierte. Die muss natürlich nach dem Vorbild einer Comic-Göttin ausgesucht sein: "eine Kriegerkönigin in Lederkluft, in einem zerfetzen Lendenschurz und mit Brüsten wie Basketbällen."
Ganz real medial
Donald bekommt seine Liebesnacht; sie verläuft, nach allen Regeln einer ausgebufften Überraschungsdramaturgie, ganz anders als erwartet, auch wenn die engagierte Tanja so artifiziell schön ist, wie sich das ein Teenagerkünstler (Donald ist der Schöpfer des Miracle Man-Comics) nur vorstellen kann: "Tanja tritt endlich in Erscheinung. Eine Silhouette in der Tür. Dramatisches Gegenlicht. Weichzeichner an den Kanten. Später Stan Lee, steht in Donalds Denkblase, vielleicht sogar Frank Miller, seine Daredevil-Arbeiten aus den frühen Achtzigern."
Adäquater und plastischer kann man unsere moderne Wahrnehmungswelt nicht darstellen: Die Art wie wir leben, lieben, arbeiten und planen folgt bestimmten Scripts, ist geprägt von Images aus Kunst, Kino und Literatur. Selbst das Sterben ist gezeichnet von medialer Erfahrung. "Dankeee", sagt der "Luftröhrenmann", Donalds Zimmergenosse auf der Sterbestation im Krankenhaus. "Wenn das eine Sprechblase wäre, überlegt Don, würde er den Rand gezackt malen und auch eine gezackte Drucktype nehmen."
Was prädestiniert McCarten für so eine kleine Revolution der literarischen Form? Ist es seine Erfahrung als Bühnen- und Filmautor (er schrieb gemeinsam mit Stephen Sinclair, dem Drehbuchautor der "Herr der Ringe"-Reihe, das Erfolgstück "Ladies Night", das als "Full Monty" Kinokarriere machte)? "Ich hatte gerade zwei Scripts für Hollywood fertig, als ich mit dem Buch anfing", sagt er, vor sich die deutsche Übersetzung von "Superhero", über und über mit Anmerkungen versehen. "Es war ein Experiment. Ich wusste nicht, ob es funktionieren würde."
Der Filmbuchfilm
Es hat funktioniert so gut, dass dieser höchst filmische Roman nun von Hollywood adaptiert werden soll. Dann würde sich das postmoderne Zeichenrad noch einmal weiterdrehen: vom Text, der die Ästhetik der Bildmedien kopiert und collagiert, zum Bildmedium, dass die literarische Sensibilität visualisieren will. Ob das Besondere dieses Romans, seine Energie, seine Warmherzigkeit, seine todtraurige Heiterkeit, dabei erhalten bleiben?
Einen Darsteller für Adrian hat McCarten schon im Auge. "Neulich habe ich Kevin Spacey in einer Buchhandlung gesehen", sagt der Autor, in die leise Stimme mischt sich Aufregung. "Er hat mein Buch gekauft. Das ist doch ein gutes Omen."
Anthony McCarten: "Superhero". Diogenes, 302 Seiten, 19,90 Euro