Wenn es sich ausgeliebt hat Die Trockenheit des Herzens

Szene wie aus Pehnt-Roman: das Ende einer Liebe
Foto: CorbisKann man mit der Macht der Sprache eine Beziehung zurückholen? Lässt sich eine Trennung mit Worten ungeschehen machen? Die Erzählerin in Annette Pehnts neuem Roman ist vor längerer Zeit von ihrem Freund verlassen worden. Aber sie selbst denkt gar nicht daran, sich von ihm zu trennen: Sie schreibt unzählige Briefe an Charley, in denen sie die gemeinsame Beziehung Revue passieren lässt, Erinnerungen aufblättert. Die Sprache als Möglichkeit, jemanden an sich zu binden, Zugriff auf die Person zu bekommen, die nicht mehr Teil des eigenen Lebens ist.
So versucht die Erzählerin, die Realität der Trennung ein Stück weit auszuhebeln, gleichzeitig weiß sie, dass das nicht geht. "Briefe an Charley" lebt von diesem Paradox, das den Roman wie ein roter Faden durchzieht. Das Buch ist eine Beschwörung der Kraft des Wortes. Und gleichzeitig ein Eingeständnis, dass die Macht der Sprache begrenzt ist.
Wer in diesem Briefroman eine sinnlich-pralle Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht. Es gibt keine durchgängige Handlung, sondern Anekdoten, Beobachtungen, Gedankenkreise. Ein Buch, das nachdenklich ist, abwägend, in postmoderner Manier selbstreferentiell. Immer wieder denkt die Autorin auf einer Meta-Ebene darüber nach, was sie eigentlich tut und warum sie diese Briefe schreibt.
Lässt sich Liebe durch Sprache überhaupt rekonstruieren?
Das Misstrauen gegenüber dem eigenen Tun ist ein durchgängiges Motiv. Dabei gelingt es Pehnt, die Allgemeinplätze der Liebe immer wieder infrage zu stellen. Zum Beispiel: Wieso glauben wir eigentlich, dass eine Liebesgeschichte nur eine gültige Version hat? Immerhin besteht eine Beziehung aus mindestens zwei Protagonisten.
Die Erzählerin schreibt über die Beziehung, die sie mit Charley erlebt hat. Aber auch er hatte eine Geschichte mit ihr, und wer sagt, dass die beiden Versionen deckungsgleich sind? Und wie viele Überschneidungen gibt es überhaupt? Solche Reflexionen durchziehen den Roman, der viele kluge Einzelbeobachtungen enthält, aber insgesamt doch etwas blutleer und konstruiert wirkt.
Dazu passt, was die Erzählerin in Anlehnung an Roland Barthes ihre "Krankheit" nennt: die "Trockenheit des Herzens". "Sie hat sich in mir ausgebreitet, papierne Lustlosigkeit, und selbst wenn eine Begeisterung entsteht, hat sie nicht die gleiche Saftigkeit wie früher, weil ich sie für mich behalte." Diese papierne Lustlosigkeit strahlt zum Teil auch dieser Roman aus.
Daran ändern die vielen Zitate aus Roland Barthes' Klassiker "Fragmente einer Sprache der Liebe" von 1977 nichts, die die Autorin in ihren Roman einstreut - so als traue sie dem eigenen Text nicht und müsse ihn durch ein philosophisches Fundament untermauern. Pehnts Briefroman ist die etwas zähe Versuchsanordnung darüber, inwieweit sich die Liebe durch Sprache überhaupt rekonstruieren lässt. Ein größerer Gegensatz zu dem berühmtesten Briefroman der deutschen Literatur - Goethes hoch emotionalem Klassiker "Die Leiden des jungen Werther" - lässt sich kaum vorstellen.
Aneinandergereihte Anekdoten und Zitate
Wer die Erzählerin ist, was sie ausmacht, lässt die Autorin bewusst im Unscharfen. Als Leser müssen wir sie uns zusammenpuzzeln - so wie die Erzählerin ihre Liebesgeschichte aus der Erinnerung zusammensetzt. Wir erfahren, dass die Hauptfigur - wie die Autorin - Bücher schreibt. Sie hat eine große Tochter, lebt zurückgezogen und neigt dazu, sich von anderen Menschen vereinnahmen zu lassen.
Als sie auf eine Nordseeinsel reist, um eine Bekannte, Karin, zu besuchen, lässt sie sich von ihr permanent klein machen. Erst als sie abfährt, begreift sie, "wie schnell man sich verliert und aufgibt". Auch diese Geschichte - eine der stärksten im Roman - erzählt sie Charley, der hier zu ihrem Vertrauten wird. Charley, der, wie wir erfahren, kein Talent zum Small Talk hat, ein Eigenbrötler, der nie ganz bei sich ist und auch nie ganz bei seiner Geliebten.
Was also ist es, das die beiden Liebenden überhaupt aneinander gebunden hat? Die Freude an der Improvisation, der besondere Blick für den ungewöhnlichen Moment, das bewusste Aufschieben von Entscheidungen, die Weichen stellen können, so wie das gemeinsame Kind oder die gemeinsame Doppelhaushälfte. Dass die Unentschiedenheit als Programm auf Dauer nicht gut gehen kann, weiß die Erzählerin natürlich. Und trotzdem hätte sie gern länger an dieser Liebesversion festgehalten.
Annette Pehnt gilt zu Recht als äußerst subtile Erzählerin. Ihr neues Buch wirkt jedoch zusammengestückelt. Neben den zum Teil beliebig aneinandergereihten Anekdoten und den Roland-Barthes-Zitaten finden sich, nummeriert und grafisch abgesetzt, Fantasien der Erzählerin über das Leben ihres Ex-Freundes. Das sind nicht wenige Ebenen in diesem eher schmalen Buch. Leider bleibt dabei das Verhältnis zwischen Erzählerin und Charley letztlich blass. Und das ist, zumal für einen Liebesroman, nicht wirklich verzeihlich.

Annette Pehnt:
Briefe an Charley
Piper; 176 Seiten; 18,00 Euro.
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