Terrorismus Wie eine Journalistin die RAF-Rentner finden wollte

Burkhard Garweg, Daniela Klette, Ernst-Volker Staub (Fahndungsplakat): Wie eine Schweigemauer
Foto: LKA NiedersachsenStaub, Klette, Garweg - bitte wer? Schlagartig rückten Anfang 2016 drei frühere RAF-Terroristen in den Blick, die längst vergessen schienen. In Stuhr bei Bremen hatten sie offenbar einen Geldtransporter überfallen. Im Fluchtfahrzeug fand die Polizei DNA-Spuren - und war alarmiert.
Auch dank neuer technischer Methoden entdeckten die Ermittler Schritt für Schritt eine Serie aus zwölf Raubüberfällen, die sie dem Trio zuschreiben. Erste Tat 1999 - ein Jahr nachdem sich die Terrortruppe aufgelöst hatte. Jüngste Tat: Juni 2016. Womöglich braucht das Trio stets neues Geld für ein Leben im Untergrund.
Als die Journalistin Patrizia Schlosser zum ersten Mal davon hörte, wollte sie mehr erfahren. Mit ihrem Vater, einem Ex-Polizisten, begab sie sich auf Spurensuche. Das Ergebnis war zunächst der Podcast "Im Untergrund", der 2018 den Deutschen Radiopreis gewann. Nun ist die Geschichte auch als Buch erschienen.
Im Interview erzählt Schlosser, warum ihr Vater für die Recherche so wichtig war. Wie verbohrt sie frühere RAF-Unterstützer erlebt hat. Und was sich an ihrem linken Weltbild geändert hat.

Patrizia Schlosser, 32, ist Autorin und Filmemacherin beim NDR ("Panorama - die Reporter"). Sie studierte Geschichte und Kultur des Nahen Ostens, volontierte beim Bayerischen Rundfunk. Die Journalistin lebt in Hamburg und München.
SPIEGEL: Frau Schlosser, in Ihrem Buch beschreiben Sie Ihre Recherchen zu drei früheren RAF-Terroristen, die seit fast 30 Jahren verschwunden sind. Warum begaben Sie sich eigentlich auf die Suche? Die Polizei ist doch dran.
Schlosser: Ich war 2016 überrascht, als die drei wegen einer Raubserie in die Schlagzeilen gerieten. Da gibt es Leute, die wie Gespenster aus der Vergangenheit unterwegs sind - und wir wissen fast nichts über sie. Das hat meine Neugier geweckt. Hinzu kam, dass mein Vater mich damals aufgeregt anrief. Er war Anfang der Siebzigerjahre Streifenpolizist, in der Hochphase der RAF. Von seinen Erlebnissen hatte er nie viel erzählt. Für uns beide, das stand rasch fest, war die RAF-Zeit längst nicht abgeschlossen.
SPIEGEL: Sie haben Ihren Vater überreden können, gemeinsam zu suchen.
Schlosser: Ich habe ihn gewissermaßen gezwungen. Er ist pensioniert, lebt in Bayern und hielt das am Anfang für großen Schmarrn. Unser Ziel war, die drei zu finden und mit ihnen ein Gespräch zu führen. Das klingt total naiv. Aber wenn man immer nur danach geht, was realistisch ist, braucht man mit vielen Recherchen nicht zu beginnen. Und heute bin ich sehr froh über das Ergebnis, auch wenn wir die drei natürlich nicht gefunden haben.
SPIEGEL: Wie wichtig war Ihr Vater für die Geschichte über die Spurensuche?
Schlosser: Die Geschichte hätte ohne meinen Vater nicht funktioniert. Er würde sagen, ich bin an die Recherche herangegangen wie eine linksgrünversiffte Träumerin. Ich fand, er war ein piefiger, grantiger Beamter mit einer sehr konservativen Sicht auf alles Linke. Der Kern der Geschichte ist die Auseinandersetzung zwischen meinem Vater und mir, das hat sich im Laufe der Recherche so entwickelt. Wir mussten uns ständig über unterschiedliche politische Positionen verständigen.

Vater und Tochter Schlosser auf Recherchereise: Aushalten, dass es Differenzen gibt
Foto: privatSPIEGEL: In welcher Frage zum Beispiel?
Schlosser: Der Staat ging damals hart gegen RAF-Sympathisanten vor und behandelte sie fast wie Terroristen. Ich finde, ein Rechtsstaat darf so nicht reagieren. Mein Vater sagte dazu: "Wo gehobelt wird, da fallen Späne." Zugleich konnte er meine Sicht verstehen. Wir haben während der knapp anderthalbjährigen Recherche gelernt, dass man nicht immer alles durchfechten muss. Man kann auch aushalten, dass es Differenzen gibt. Am Ende einer Diskussion muss der andere nicht den eigenen Argumenten folgen. Gerade heute würde ich diese Erkenntnis vielen Menschen wünschen.
SPIEGEL: Inwiefern?
Schlosser: Ich habe das Gefühl, dass es zurzeit eine große Kluft gibt zwischen den Generationen. Nehmen Sie die Flüchtlingsfrage oder Pegida. Da zerbrechen Familien, weil Jung und Alt so uneins sind und es nicht schaffen, vernünftig zu diskutieren.
SPIEGEL: Wie wollten Sie an das flüchtige Trio herankommen?
Schlosser: Ich habe mich in die RAF-Geschichte eingewühlt, habe versucht, alles zu lesen. Dann habe ich geschaut: Welche früheren Mitglieder leben heute legal in Deutschland, was ist mit dem Umfeld von früher? Wer von denen kann mir weiterhelfen bei der Frage, wer die drei sind? Dann habe ich Briefe geschrieben, so ungefähr 30. Mit der Bitte um ein Gespräch. Und bin schnell an Grenzen gestoßen. Ich stand vor einer Schweigemauer. Als wären wir im Jahr 1985. Zum Glück gab es ein paar Ausnahmen.
SPIEGEL: Was waren die Schlüsselmomente Ihrer Recherche?
Schlosser: Es gab zwei Erlebnisse, die mir gezeigt haben, wie verhärtet die Fronten noch sind. Ich hatte mal einen Kaffeeplausch mit Karl-Heinz Dellwo, Mitglied der zweiten RAF-Generation. Sie hätten damals gewusst, wofür sie kämpfen, sagte er. Meine Generation wüsste ja nicht einmal mehr, für was sie steht. In einem Wald in Niedersachsen habe ich außerdem mit meinem Vater zwei Leute aus dem früheren Sympathisantenumfeld getroffen. Sie verteidigten wortreich den Mord an Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer 1977. Beeindruckt hat mich die Geschichte meines Vaters von seinem Einsatz beim Olympia-Attentat 1972 in München.
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25.01.2021 02.06 Uhr
Keine Gewähr
SPIEGEL: Diese Episode schildern Sie im Buch sehr ausführlich. Warum?
Schlosser: Die Erlebnisse sagen viel darüber aus, warum mein Vater so denkt, wie er denkt. Die RAF hatte damals dem Staat den Krieg erklärt - und damit auch meinem Vater. Bei Olympia brachten palästinensische Attentäter neun Israelis in ihre Gewalt. Mein Vater sollte als junger Polizist in einem Flugzeug die Geiselnehmer liquidieren. Das Vorhaben wurde aber abgebrochen. Stattdessen musste er zusehen, wie der gesamte Einsatz auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck in einer wilden Schießerei endete.
SPIEGEL: Inwiefern hat ihn das geprägt?
Schlosser: Es ist ein Trauma, das sein Leben bedroht war. Neben den Geiseln kam auch einer seiner Kollegen um. Verantwortlich dafür waren Terroristen, die explizit auch RAF-Leute aus dem Gefängnis freipressen wollten. Zugleich sah mein Vater aus der Nähe drei Terroristen, als man sie überwältigt hatte. Ganz junge Männer. "Sind halt auch Menschen gewesen", hat er immer gesagt. Bei allem Hass und aller Wut auf die RAF.
SPIEGEL: Wann war Ihnen klar, dass Sie das Trio nicht finden würden?
Schlosser: Nach etwa einem halben Jahr, nach dem Gespräch mit den Ex-Sympathisanten in Niedersachsen. Niemand würde auspacken, auch wenn er etwas wüsste. Zugleich wurde die Geschichte immer besser. Weil ich das Gefühl hatte, es gab über wichtige Fragen viel herauszufinden: Wie weit darf der Staat gehen, wenn er Terror bekämpft? Welcher Widerstand ist legitim?
SPIEGEL: Wie hat die Recherche Ihren Blick auf den Linksextremismus verändert?
Schlosser: Mir sind linke politische Ziele näher als rechte politische Ziele. Und da neigt man dazu, Gewalt im linken Milieu zu verharmlosen. Da bin ich sicher nicht die Einzige, ich sehe das auch im Journalismus allgemein. Beim G20-Gipfel 2017 etwa waren linke Gewalttäter häufig nur "Chaoten". Das ist eine Verniedlichung. Im Laufe der Recherche hat sich meine Einstellung geändert: Gewalt ist nicht weniger schlimm, wenn sie von links kommt. Sie ist immer schlimm.
SPIEGEL: Haben Sie irgendwelche Hinweise darauf gefunden, wo das Ex-RAF-Trio sich aufhält?
Schlosser: Nein, leider nicht. Ich vermute, sie sind im außereuropäischen Ausland. Nur für Überfälle kommen sie nach Deutschland und haben hier ein Unterstützernetzwerk. Aber das ist Spekulation. Immerhin würde es erklären, warum die drei trotz Fahndungsbildern bisher nicht erkannt wurden.
SPIEGEL: Der Untertitel Ihres Buches heißt: "Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich." Warum kommt der Hintern des früheren bayerischen Ministerpräsidenten so prominent vor?
Schlosser: Bei dem Einsatz auf dem Flugplatz damals war mein Vater im Tower, dort war auch Strauß. Als die Schießerei losging, haben sich alle auf den Boden geworfen und versucht, die Treppe runter zu kommen. Und vor meinem Vater war der riesige Arsch von Strauß, der mitrobbte. Da musste ich lachen. Man muss sich auch mal erholen vom Schrecken des Terrorismus.